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Eisingen
Warum im St. Josefs-Stift in Eisingen nicht die Größe zählt
Im Eisinger St. Josefs-Stift stehen Veränderungen an. Ein Gespräch mit dem Leiter der Einrichtung und zwei Bewohnern über das Leben im Stift und das Bundesteilhabegesetz.
Geschäftsführer Bernhard Götz (links) mit den Bewohnern Andreas Hein (Mitte) und Stefanie Bodach (rechts) in einer der Wohngemeinschaften. Beide engagieren sich im Heimbeirat des Stifts.
Foto: Tim Eisenberger | Geschäftsführer Bernhard Götz (links) mit den Bewohnern Andreas Hein (Mitte) und Stefanie Bodach (rechts) in einer der Wohngemeinschaften. Beide engagieren sich im Heimbeirat des Stifts.
Tim Eisenberger
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:58 Uhr

"Ich kann hier ganz normal anders sein", schreibt Bernhard Götz, seit 1996 Geschäftsführer, auf der Webseite des Eisinger St. Josefs-Stifts über das Motto der Einrichtung. Darauf legt Götz viel Wert. Es zeigt, wie wichtig ihm die Menschen, die dort und in den anderen Wohneinrichtungen des Stifts leben und arbeiten, sind. Mit 425 Bewohnern gehört es zu den größeren in Unterfranken.

Andreas Hein und Stefanie Bodach wohnen im Eisinger St. Josefs-Stift. Während Hein dort in einer Wohngruppe lebt, ist Bodach in eine Gruppe außerhalb des Stifts in Höchberg eingezogen. Die beiden verdeutlichen beispielhaft die Entwicklung der Einrichtung in den letzten Jahren. Wir haben in unserer Reihe der Sommerinterviews mit den dreien gesprochen.

Warum im St. Josefs-Stift in Eisingen nicht die Größe zählt
Frage: Konversion von Komplexeinrichtung sind große Thema bei ihnen. Was bedeutet das?

Bernhard Götz: Für uns bedeutet das vor allem die Auflösung von alten Gebäudestrukturen. Es gibt neue Außenwohnlandschaften. Es geht rein in die kleinen Wohngemeinschaften in den Gemeinden. Dieser Prozess hat bei uns 2002 begonnen. Über allem stand damals der Leitgedanke der UN-Behindertenkonvention: Menschen mit Behinderung sollen selbst wählen können, wo sie wohnen. Wir befinden uns aber noch mittendrin in diesem Prozess. 

Wie viele Bewohner haben diese Möglichkeiten seitdem genutzt?

Götz: Seit 2002 sind 74 Plätze in Außenwohngruppen entstanden. Viele dieser Plätze wurden aufgrund der großen Nachfrage nachbesetzt. Schon 1972 bei der Eröffnung sind viele hier eingezogen und sind deshalb schon etwas älter. Deshalb renovieren wir aktuell das Haus 14.

Welche Anreize gibt es für einen Bewohner umzuziehen?

Stefanie Bodach: Ich bin nach Höchberg gezogen. Dort gibt es viele Geschäfte zum Einkaufen. Man ist näher an der Stadt. Ich habe das auch nicht bereut. Wir leben dort sehr selbstständig und gehen oft raus. Es ist wirklich unser Zuhause.

Götz: Wir haben die Inklusion dort ein Stück weit mitgeschaffen. Wir haben in einem Baugebiet gebaut und wir waren dort mit die ersten. Heute ist alles zugebaut. So entsteht dann eine andere Gemeinschaft. Wenn man von Anfang an dabei ist, ist das ideal.

Was macht das St. Josefs-Stift ihrer Meinung nach aus?

Götz: Wir sind wahrscheinlich nicht die größte Einrichtung, aber das ist für mich auch nicht wichtig. Entscheidend ist, was beim einzelnen Menschen ankommt. Da müssen wir uns nicht verstecken. Das Stift hier hat schon etwas Heimeliges, die Wege zum Arzt, in die Kirche oder zu den Werkstätten sind natürlich sehr kurz. Das sind viele Menschen seit Jahrzehnten gewohnt und möchten es nicht mehr missen. Dies ermöglicht auch Menschen mit einem höheren Unterstützungsbedarf ein weitgehend selbstständiges Leben.

Andreas Hein bei der Arbeit im Eisinger St. Josefs-Stift. Er engagiert sich im Heimbeirat des Wohnstifts und möchte es für junge Menschen attraktiver machen.
Foto: Tim Eisenberger | Andreas Hein bei der Arbeit im Eisinger St. Josefs-Stift. Er engagiert sich im Heimbeirat des Wohnstifts und möchte es für junge Menschen attraktiver machen.
Welche unterschiedlichen Betreuungsmodelle bieten Sie an?

Götz: Wir haben ein differenziertes Wohnkonzept. Vom ambulanten Wohnen – das sind Bewohner, die nur stundenweise bei ihren Behördengängen, finanziellen Dingen oder dem Wocheneinkauf Hilfe brauchen – bis zum anderen Extrem: Menschen, die in unserem Wohnpflegeheim leben und aufgrund ihrer körperlichen Einschränkung viel pflegerischen und medizinischen Aufwand benötigen. Viele Bewohner sind aber sehr selbstständig, arbeiten hier tagsüber in den Werksstätten und brauchen nur danach etwas Hilfe, wie zum Beispiel Andreas und Stefanie.

Andreas Hein: Unsere Betreuer sind nur Assistenten. Sie schreiben uns nichts vor und helfen uns dann, wenn wir ihre Hilfe brauchen. In einem Rahmen natürlich, der es zulässt, dass sie noch die Verantwortung übernehmen.

Der Betreuer ist mehr wie ein großer Bruder als eine Mutter?

Bodach: Ja genau. Aber sie gewähren uns auch Einhalt, wenn es einmal zu weit geht. Aber das funktioniert alles.

Was bedeutet das Bundesteilhabegesetz für ihre Einrichtung?

Götz: Gerade befinden wir uns in einer Phase, in der das Gesetz eingeführt wird. Das wird noch einige Jahre dauern. Grundsätzlich ändert sich viel. Die Idee ist, dass man den Wohnraum von der Fachleistung trennt. Das Wohnen wird zum Kostenanteil, den die Klienten künftig selbst bezahlen. Dafür müssen sie ein Girokonto eröffnen. Damit haben manche aber schon Probleme, weil es eine Verweigerungshaltung von Banken gibt.

Was passiert, wenn das dann doch gelingt?

Götz: Der Assistenzbedarf der Bewohner wird neu beurteilt. Hierfür wird unter dem Dach des Gesamtplanverfahrens ein neues ICF-gestütztes Bedarfsermittlungsverfahren eingeführt, dass das Leben der Bewohner in neun verschiedenen Bereichen abbildet. Dann wird das Ganze kostenneutral verrechnet. Das heißt, wir bekommen das gleiche Geld, nur die Verteilung ändert sich. Ich erwarte keine großen Veränderungen bei der personellen Ausstattung. Das würden wir uns erhoffen, weil wir dann mehr leisten könnten, aber da sehe ich bisher keinen Ansatz im Gesetz.

Wieso gibt es dieses neue Gesetz dann überhaupt?

Götz: Das Bundesteilhabegesetz wurde verkauft als ein Gesetz, um die Lebensverhältnisse der Menschen mit Behinderung zu verbessern. Es ist sozusagen ein Ergebnis der UN-Behindertenrechtskonvention. Es war die erste große weltweite Reform in dieser Hinsicht und wurde jetzt auf Landesebene heruntergebrochen.

Welche Auswirkungen hat es für die Bewohner?

Götz: Andreas und Stefanie werden sich daran bestens beteiligen, aber für zwei Drittel unserer Bewohner wird das nicht gehen. Die Kernaussage ist: Nichts über uns ohne uns. Das gilt seit Jahren, da werden alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten beteiligt. Die Bewohner, die es können, werden sagen, was sie wollen oder nicht wollen. Es werden sich die Überschriften ändern. Es gibt mehr Kostenträger, aber nicht mehr Geld.

Herr Hein und Frau Bodach sitzen im Heimbeirat. Das ist eine Art Betriebsrat im Stift. Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich dort?

Hein: Aktuell haben wir das Thema: Wie können wir das Stift attraktiver für junge Leute machen? Was müssen wir dafür verändern und wie? Deshalb haben wir eine neue Gruppe gegründet. Die nennt sich die "Jungen Wilden". Das ist eine Freizeit- und Ausgehgruppe, in der wir auch verschiedene Angebote anbieten können. Da sind wir jetzt auch schon dran. Wir wollen Ehrenamtliche oder Studenten für uns gewinnen, dieses Projekt zu unterstützen.

Welche Aktionen sind dabei geplant?

Hein: Wir veranstalten am nächsten Samstag mit den "Jungen Wilden" einen Kinoabend. Wir wollen in die Disko, auf Kiliani, zum Frühjahrsvolksfest, an den Stadtstrand oder Würzburg bei Nacht erleben. Ob wir das alles auch so verwirklichen können, wie wir es uns vorstellen, ist noch offen. Ich habe auch die Aufgabe bekommen, mich um ein Fitnessstudio zu kümmern, weil das Sportangebot freitags öfter ausgefallen ist. Darüber muss ich mit Herrn Götz sprechen, dann müssen wir die Vor- und Nachteile abwägen und schauen, was möglich ist.

Bodach: Aber unser größtes Projekt ist die Kantine und die Essensauswahl. Wir hätten gern eine größere Auswahl beim Essen.

So wollen die Bewohner genannt werden
Im Zusammenhang mit einem solchen Thema spielt auch die Benennung der Bewohner eine große Rolle. Der Heimbeirat im St. Josefs-Stift hat dazu eine Stellungnahme verfasst. Denn viele Bezeichnungen, auch in der Presse, haben die Bewohner gestört, da sie diese als abwertend empfunden haben oder den Menschen in eine Schublade steckten. Statt "geistig behindert" solle die Formulierung "Mensch mit Lernschwierigkeiten" verwendet werden. Menschen mit schwerer geistiger oder körperlicher Behinderung sollten "Menschen mit Behinderung", aber ohne weitere Klassifizierung, genannt werden.
 
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