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Würzburg
Warum Festivals wie "Kammermusik! Würzburg" die Rettung der Klassischen Musik sein könnten
Das preisgekrönte Festival kombiniert traditionelle und moderne Elemente und zeigt, wie Klassische Musik nicht nur überleben, sondern relevant bleiben kann.
Riesiger Applaus nach der Uraufführung. Im Bild von links: Daniela Koch (Flöte), Nemorino Scheliga (Klarinette), Jonas Gleim (Klavier), Henrik Ajax (Komponist), Theresa Maria Romes (Sopran), Jaromir Kostka (Cello), Johanna Stier (Oboe)
Foto: Mathias Wiedemann | Riesiger Applaus nach der Uraufführung. Im Bild von links: Daniela Koch (Flöte), Nemorino Scheliga (Klarinette), Jonas Gleim (Klavier), Henrik Ajax (Komponist), Theresa Maria Romes (Sopran), Jaromir Kostka (Cello), ...
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 18.10.2023 03:08 Uhr

Wenn die sogenannte Klassische Musik eine Überlebenschance hat, dann zum Beispiel so: Das Kammermusik Festival Würzburg, soeben ausgezeichnet mit dem Kulturförderpreis der Stadt Würzburg, bietet thematisch schlüssige Programme, kombiniert Bewährtes und Neues, mixt Unterhaltsames und Forderndes. Und vor allem: Es macht keine Kompromisse. Aufs Programm setzen die beiden Gründerinnen, die Sopranistin Theresa Maria Romes und die Pianistin Marie-Thérèse Zahnlecker, nur, was künstlerisch passt.

Am Freitag begann mit "Play!" im nahezu ausverkauften Maschinenhaus auf dem Würzburger Bürgerbräugelände die dritte Ausgabe des dreitägigen Festivals. "Play!" steht für den Befehl (oder den Tastendruck), der ein mechanisches Abspielgerät in Gang setzt. Oder für Musik, die solche Geräte imitiert, also Spieluhr-Charakter hat. Oder für Musik, die sich mit dem Thema Kindheit befasst. Und: "Play!" ist eine Aufforderung an Zuhörende wie Musizierende, das Spielerische in der Musik zu entdecken und zu genießen.

Dass das nicht immer fröhlich-verspielt klingen muss, zeigen etwa die beiden Mozart-Fantasien "für ein Orgelwerk und eine Uhr", einmal mit dem Monet Bläserquintett, Hausensemble für diese Festival-Ausgabe, einmal mit dem Onyx Klavierduo (Marie-Thérèse Zahnlecker und Jonas Gleim). Beide Stücke sind im Grunde Trauermusiken, die, wenn man so will, das Ende des Spiels, in diesem Fall: des Lebens, behandeln.

Kindheit besteht eben auch aus jeder Menge Unerklärlichkeiten

Dazwischen ein besonderer Moment: Eine Spieluhr trägt die "Widder"-Melodie aus Karlheinz Stockhausens (1928-2007) "12 Melodien der Sternzeichen für Spieluhren" vor. Für wenige Minuten bannt ein helles, einsam angeleuchtetes Holzkästchen mit leisen, kunstvoll ineinander verzwirbelten Motiven einen ganzen Saal.

Für wenige Minuten bannt ein helles, einsam angeleuchtetes Holzkästchen mit leisen, kunstvoll ineinander verzwirbelten Melodien einen ganzen Saal.
Foto: Mathias Wiedemann | Für wenige Minuten bannt ein helles, einsam angeleuchtetes Holzkästchen mit leisen, kunstvoll ineinander verzwirbelten Melodien einen ganzen Saal.

Modest Mussorgskys Liederzyklus "Kinderstube", entstanden um 1871, ist eine faszinierend moderne, stellenweise surrealistische Auseinandersetzung mit kindlicher Erlebniswelt und Perspektive. Wunderbar, wie Teresa Maria Romes in blindem Verständnis mit Marie-Thérèse Zahnlecker diese eigentümliche Mischung aus euphorischer und furchtsamer Weltaneignung charakterisiert. Kindheit besteht eben auch aus jeder Menge Unerklärlichkeiten. 

Benjamin Brittens Cellosonate aus dem Jahr 1961 kommt trotz einer gewissen Sprödheit beim Publikum immer gut an. Vorausgesetzt, man trägt sie so nuancenreich und wahrhaft spielerisch vor wie Jaromir Kostka und Jonas Gleim. Und so erklingen im Maschinenhaus mehrere zustimmende "Ja!", als Kostkas Bogenarm nach dem letzten Ton des fulminanten letzten Satzes in die Luft fliegt.

Musikalische Spitzenqualität und die furchtlose Verweigerung jeglicher Anbiederung

Bevor das fabelhafte Monet Quintett mit Daniela Koch (Flöte), Nemorino Scheliga (Klarinette), Johanna Stier (Oboe), Theo Plath (Fagott) und Marc Christian Gruber (Horn) mit einer farbigen und vitalen "Nussknacker"-Suite von Tschaikowsky die Hitsektion eröffnet und den Abend beschließt, erklingt die Uraufführung dieses Festivals: Henrik Ajax, Jahrgang 1980, hat das Rilke-Gedicht "Das Karussell" nicht vertont, sondern für Sopran, Flöte, Klarinette, Oboe, Cello und Klavier nachgedichtet.

Ajax überlagert die ziellose Unausweichlichkeit der Kreisbewegung (mit fast unmerklichen Anklängen an Ravels "La Valse") mit immer neuen Melodieansätzen - auch bei der leitmotivischen Zeile "Und dann und wann ein weißer Elefant" -, die erlebbar machen, wie sich die immer wiederkehrenden Tiere des Karussells langsam in reine Farbe auflösen.

Riesiger Applaus für das Ensemble um Theresa Maria Romes, den Komponisten und ein Festivalkonzept, das sein Publikum mit musikalischer Spitzenqualität, vor allem aber mit furchtloser Verweigerung jeglicher Anbiederung an vielen Stellen abholt und zu einer begeisterten Gemeinde zusammenführt.

Kammermusik! Festival Würzburg - die weiteren Konzerte im Maschinenhaus auf dem Bürgerbräugelände: 
"Maskerade": Sa., 14. Oktober, 19 Uhr, Werke von Casella, Debussy, Milhaud, Rameau, Rota, Schumann, Sondheim und Strawinsky.
"Nachkonzert": Sa., 14. Oktober, 22 Uhr, Werke von Ajax, Ben-Haim und Laitman.
"Divertimento": So., 15. Oktober, 19 Uhr, Werke von Berio, Chaplin, Fauré, Françaix, Poulenc, Smit und Strauss. - Karten unter www.kammermusik-wuerzburg.de/tickets

 
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  • Jochen Freihold
    Schade nur, dass der abschließend angekündigte Termin des 14. Oktober bereits verstrichen ist.
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