Danilo Lemp ist ein Missbrauchsbetroffener. Der 54-Jährige hat als Kind im Internat der Regensburger Domspatzen in Etterzhausen Demütigungen erlebt, Mobbing, sexualisierte Gewalt. Aber auch, wie der gebürtige Würzburger betont: "eine vorbildliche Aufarbeitung" der Missbrauchsfälle.
Lemp ist einer von mindestens 550 betroffenen Sängerknaben. Heute lebt er im österreichischen Bregenz. Sein Leben bezeichnet er als gut. Bis dahin sei es jedoch ein langer Weg gewesen, sagt der Musik- und Theaterpädagoge.
Lemp inszeniert den Roman "Die Summe des Ganzen" über einen Missbrauchsfall
Nun spielt Lemp auf der Theaterbühne einen Missbrauchstäter, einen Priester mit pädophiler Neigung. Vorlage zu dem Theaterstück ist der Roman "Die Summe des Ganzen" von Steven Uhly. Darin geht es um einen Betroffenen, der seinen Täter überführen beziehungsweise seine Standhaftigkeit überprüfen möchte - und so selbst indirekt zum Täter wird.
"Wie stark bedingen traumatische Ereignisse der Kindheit unsere Gefühlswelten?" "Wie sehr leiten ungelöste Probleme unser Handeln?" Solche Fragen stehen laut Danilo Lemp im Mittelpunkt. Es sind Fragen, die auch in seinem Leben eine Rolle spielten und spielen.
Missbrauchsbetroffener löst bei Priester eine "Raserei der Gefühle" aus
Lemp inszeniert den Roman als intensives Zwei-Mann-Stück. Roman Wegmann übernimmt die Rolle des Betroffenen. Schauplatz ist ein Beichtstuhl.
Der Betroffene erzählt nach und nach von einer schweren Sünde. Damit löst er bei dem Priester, der zugleich Leiter des Knabenchors der Gemeinde ist, eine "Raserei der Gefühle" aus und bringt jemanden in Gefahr, sagt Lemp. Am Ende fühlt sich der Betroffene schuldig.
Seine eigenen Täter konnte Lemp nicht konfrontieren. Der eine, ein Präfekt, sei bereits gestorben. Der andere, ein Oberschüler im Regensburger Internat, habe sich "nach Asien abgesetzt".
Lange Zeit habe er "berauschende Mittel genutzt", um seine Missbrauchserfahrungen zu bewältigen, sagt Danilo Lemp. Andere Domspatzen hätten sich das Leben genommen. Bei diesem Satz stockt das Gespräch. Erinnerungen kommen hoch. Emotionen überwältigen ihn. Doch er will weitererzählen.
Danilo Lemp konnte "Weichen" seines Lebens nach dem Missbrauch gut stellen
Er spricht von Urvertrauen, das er in seinem Elternhaus erlebt habe. So konnte er eine gewisse Resilienz entwickeln. Ein früher Schicksalsschlag war jedoch der Tod seiner Mutter. Da war er acht Jahre alt. Zwei Jahre später kam er ins Domspatzen-Internat.
Als Erwachsener habe er unter anderem durch seine Arbeit in SOS-Kinderdörfern in Ungarn und in Österreich "die Weichen" seines Lebens gut stellen können. Auch seine eigene Familie - seine Frau und fünf Kinder - und viele Freunde seien dafür entscheidend gewesen.
Lemp verwirklichte Musikprojekt mit Domspatzen-Chorleiter Roland Büchner
Vor acht Jahren sah Lemp die TV-Dokumentation "Sünden an den Sängerknaben" über die Fälle von körperlicher und sexualisierter Gewalt im Domspatzen-Internat. Damals stand er mit dem Stück "Jetzt wird geredet" über Gewalterfahrungen bei Heimkindern auf der Bühne.
Beides zusammen sei eine Retraumatisierung für ihn gewesen. Damals sei er sich seiner eigenen Vergangenheit richtig bewusst geworden – ein Auslöser dafür, seine schlimmen Kindheitserfahrungen zu konfrontieren.
Danilo Lemp ist heute Mitglied im Betroffenenbeirat Regensburg
Dass er die schmerzlichen Erinnerungen loslassen konnte, ist auch ein Verdienst von Roland Büchner, bis 2019 Chorleiter der Domspatzen. Er habe auf einem Ehemaligentreffen sehr verständnisvoll reagiert. "Ein toller Mensch", sagt Lemp über den aus Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) stammenden Büchner. Mit ihm sowie ehemaligen und derzeitigen Domspatzen verwirklichte Lemp ein Musik-Projekt. So konnte er Brücken bauen, Hände reichen, sagt Lemp.
Seit Juni 2022 ist er Mitglied im Betroffenenbeirat Regensburg. Ziel sei, so Lemp, "die Gesellschaft zu sensibilisieren für die Folgen der physischen und psychischen Gewalt" und Präventionsarbeit. Auch als Theaterpädagoge will Lemp Kindern Selbstvertrauen vermitteln "Nein" sagen zu können
Die öffentliche Generalprobe von "Die Summe des Ganzen" mit anschließender Podiumsdiskussion ist am Samstag, 21. Oktober, um 19 Uhr im Café Ton in der Töpferei in Fabrikschleichach (Lkr. Haßberge).