Wenn ein Text kurz nach seinem Erscheinen von vielen anderen Medien weiterverbreitet wird und im Laufe der nächsten Stunden deutschlandweit tausendfach kommentiert wird, dann heißt das in Zeiten des Online-Journalismus nicht notwendigerweise, dass der Text einen bedeutenden Vorfall beschreibt.
Sicher aber behandelt er ein Thema, das starke Emotionen hervorruft. Das ist passiert bei dem Bericht über den Kopftuch-Streit an der Würzburger Uni. Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass dem Würzburger Kopftuch-Streit in den nächsten Jahren viele ähnliche Debatten folgen werden.
Mehr als ein Stück Stoff
Denn das Kopftuch ist ja nicht nur ein Stück Stoff. Sondern ein mächtiges, hochexplosives Symbol. Hochexplosiv ist es deshalb, weil es nicht eine einzige klare Bedeutung transportiert, sondern, je nach Blickwinkel, gleichzeitig viele verschiedene Bedeutungen zulässt – Bedeutungen, die sich widersprechen. Jeder kennt wohl dieses irritierende Kippbild, das manchen eine alte Hexe, manchen eine junge Frau sehen lässt. Aber nicht beide gleichzeitig. Ein Blickwinkel schließt den anderen aus.
- Ein Streit - zwei Bewertungen: Ein anderer Redakteur hält das Kopftuch in Hörsälen für kein Problem.
Genauso ist es mit dem Kopftuch. Für tolerante, gutmeinende Liberale steht es fürs Recht auf freie Religionsausübung, das in einer multikulturellen Gesellschaft keinerlei Problem darstellen sollte. Aus Sicht konservativer Rechter ist diese Einschätzung arglos und naiv. Sie deuten das Kopftuch als Unwillen zur Integration, für ihre aggressiv rechtspolitischen Cousins etwa von der AfD steht das Stück Stoff in Zeiten der Masseneinwanderung symbolisch für die Bedrohung durch Überfremdung.
Feministinnen gegen die Kopfbedeckung
Feministinnen halten diese Sichtweise für rassistisch, bekämpfen das Kopftuch aber ebenfalls. Für sie ist das Kopftuch, das es einer Frau verwehrt, sich frei und mit schöner Haarpracht zu zeigen, ein Symbol der Unterdrückung – tatsächlich wird ja in vielen islamischen Ländern immer noch das Erscheinungbild der Frau von Männern kontrolliert, werden dort Verstöße gegen archaische Kleidungsvorschriften strengstens bestraft. Und als ob das alles noch nicht kompliziert genug wäre, gibt es neben diesen drei verbreiteten Sichtweisen auch noch die Sichtweise von Professorin Müller-Brandeck-Bocquet.
Müller-Brandeck-Bocquet begründet die Aufforderung an die Studentin nach Abnehmen des Kopftuchs mit dem Argument, die Universität sei ein säkularer Raum, religiöse Bekenntnisse hätten dort nichts zu suchen. Auch wenn diese Haltung Akademikern sympathisch sein dürfte, ist die Argumentation nicht wohl überlegt. Nicht angemessen einer Professorin, die an einer Uni lehrt, die sich immer noch Konkordatslehrstühle leistet – also Lehrstühle, bei deren Besetzung die katholische Kirche mitbestimmt. Säkular?
Harte Debatten sind zu erwarten
Von wegen. Auch die Gesetzeslage spricht gegen Müller-Brandeck-Bocquet. Das Grundgesetz erlaubt freie Religionsausübung. Das Bundesverfassungsgericht hat in letzter Zeit überwiegend Muslimas, die das Recht aufs Kopftuchtragen auch im öffentlichen Raum oder in öffentlichen Ämtern einklagten, Recht gegeben. Das sollte eine Politikprofessorin wissen.
Nichtsdestotrotz weist das kleine Würzburger Kopftuch-Scharmützel über sich hinaus. Es lässt uns ahnen, welche harten Islam-Debatten auf uns zukommen. Es zeigt, dass es dabei keine „richtige“ Sichtweise gibt, sondern nur gesetzeswidrige und gesetzeskonforme. Seine Sichtweise anderen aufdrücken kann nur, wer übers Parlament oder übers Bundesverfassungsgericht Gesetzesänderungen erwirkt. Wäre ein schönes Langzeitprojekt für eine Politikprofessorin.