Bei der Mitarbeitergewinnung, Unternehmensnachfolge oder Kundenbindung stehen regionale Unternehmen vor großen Herausforderungen. Der Landkreis Würzburg möchte deshalb die werteorientierte Unternehmensführung mit einem Wertebündnis stärken. Unternehmen sollen dabei unterstützt werden, sich als verantwortungsvolle Akteure neu auszurichten.
An dem Konzept vom Wertebündnis war auch Professor Harald Bolsinger von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt beteiligt. Im Interview erklärt der Würzburger Wirtschaftsethiker, warum Werte für lokale Unternehmen so wichtig sind, wie man diese richtig einsetzt und welche Werte in Unterfranken besonders gelebt werden.
Harald Bolsinger: Die wissenschaftliche Antwort ist eindeutig: Eine passende Unternehmenskultur zahlt immer auf den Erfolg von Unternehmen ein. Wenn diese Kultur zum Unternehmen, den Produkten und Dienstleistungen passt, wird es für Kundinnen und Kunden attraktiv. Hinzu kommt noch der Fachkräftemangel. Bewerberinnen und Bewerber schauen sich heute ein Unternehmen genau an, ob es zu den eigenen Vorstellungen passt. Die pragmatische Antwort ist, dass wir in einer unsicheren Welt voller Krisen leben. Da ist es unheimlich wichtig, dass Unternehmen einen Kompass haben, der dauerhafte Orientierung bietet.
Unternehmen werden gestaltet von Menschen. Deren Wertvorstellungen kommen aus einer intrinsischen Motivation heraus. Wenn diese Vorstellungen dazu passen, was die Menschen draußen vom Unternehmen wahrnehmen und erwarten, wird ein Schuh draus. Wenn man gute Geschäfte machen will, braucht man gute Werte.
Bolsinger: Gute Werte sind die Werte, die Menschen von sich aus mitbringen. Man kann die Menschen im Unternehmen nicht moralisch wesentlich verändern, sondern nur Werte aktivieren, die schon in ihnen angelegt sind. Ich muss als Unternehmer also zuerst herausfinden, was meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitbringen - wie sie "ticken". Gewinn und Ertrag sind natürlich Grundvoraussetzung, um als Unternehmen im Spiel zu bleiben. Ich kann aber heute niemanden mehr begeistern, indem ich als Unternehmensleitung sage "Meine Vision ist, dass wir in ein paar Jahren Marktführer für Schnickschnack sind. Für das lohnt es sich, zu leben und zu arbeiten!" Immer noch geben viele Betriebe solche Losungen aus - aber für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist sowas doch völlig egal.
Bolsinger: Die Generation, die jetzt nachwächst, schaut genau darauf, ob etwas echt ist und lässt sich immer weniger durch Marketingplattitüden blenden. Wie Sie schon sagen, jeder zweite ist heute nachhaltig, fair und vertrauenswürdig – man kann es ja gar nicht mehr hören. Der Fehler ist, immer nur von außen auf das Unternehmen zu schauen und zu planen, wie man sich darstellen muss, um der Zielgruppe zu gefallen. Die Wertebildung muss auch von innen kommen. Ein Unternehmen muss sich also darauf einlassen, mit dem Team gemeinsam herauszufinden: Was bewegt uns und was stärkt unseren Zusammenhalt? Erst dann hat man eine Basis, auf der man sich überlegen kann, welche Werte aktiv gestaltet und glaubwürdig nach außen getragen werden können.
Bolsinger: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja gleichzeitig auch Kundinnen und Kunden. Also wenn wir sie in den Prozess einbeziehen, bilden wir automatisch die Gesellschaft ein Stück weit ab. Die Werte verändern sich aber auch, deswegen muss man diese Prozesse regelmäßig wiederholen. Manche sind heute noch überrascht, dass Nachhaltigkeit jetzt ein Thema ist. Dabei hätten sie nur auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören müssen, die seit Jahren sagen: "Ich finde es unterirdisch, dass wir unsere Umwelt kaputt machen."
Bolsinger: Wir haben bereits 2013 das Wertesystem der Region Würzburg untersucht. Dabei standen Werte wie Zuverlässigkeit, Vertrauen und Kompetenz ganz oben. Außerdem haben wir damals festgestellt, dass wir hier in der Region mit der höchsten Stiftungsdichte Deutschlands leben. Es ist gigantisch, wie viele Stiftungen es allein in Würzburg gibt. Das heißt, es gibt hier eine lokale Wertetradition, in der man das ertragreiche Geschäft mit dem Guten und der gesellschaftlichen Unterstützung verbindet. Meine subjektive Einschätzung ist darüber hinaus, dass man hier viel Gutes tut, aber wenig darüber spricht, weil es einem selbstverständlich erscheint – das ist es aber nicht. Das scheint mir eher eine Eigenheit der Unterfranken zu sein.
Bolsinger: Das funktioniert auf drei Ebenen: Die erste Ebene ist das Compliance-Management, also die Überwachung der Regeltreue, auf der ungewünschtes Verhalten bestraft wird. Die zweite ist das Wertemanagement. Hier geht es darum, Werte zu denen niemand verpflichtet werden kann mit Anreizen zu fördern. Die dritte Ebene ist die gesellschaftliche Wertegrundlage, die eine Motivation bietet, bestimmte Werte im Alltag zu leben. Heute haben sich diese gesellschaftlichen Grundwerte so weit gewandelt, dass es das Normalste der Welt ist, dass jede und jeder die gleiche Würde besitzt. Eigentlich ist die Gesellschaft also schon weiter, aber es gibt auch vereinzelt immer noch normativ sehr fragwürdige Vorstellungen. Da kann und soll man aktiv in die Gestaltung gehen, wobei man dabei auf den gültigen normativen Rahmen, wie das Grundgesetz, verweisen kann.
Gerade weil wir uns aktiv mit unseren eigenen Werten beschäftigen, können und wollen wir uns in vielen Grauzonen klar positionieren. Hier braucht es im Unternehmen Vorbildfunktionen und ein kommunikatives "Klare-Kante-zeigen" bis hin zu entsprechenden Sanktionen. Wenn jemand beispielsweise wegen seiner Herkunft diskriminiert wird, ist das heute ein klares Compliancethema. Dann muss vorbei sein mit dem Gutzureden.
Bertold Brechts Lehrspruch aus der Dreigroschenoper ist auch heute noch hochaktuell und wird sich in der kommenden Krisenzeit erneut bewahrheiten:
"Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben
Und Sünd und Missetat vermeiden kann
Zuerst müßt ihr uns schon zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an.
Ihr, die ihr euren Wanst und unsere Bravheit liebt
Das Eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muß es möglich sein, auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden..."