Ferner Geschützdonner ist zu hören, als die ersten Pilger durch die Kniebreche den letzten steilen Anstieg zum Kreuzberg erklimmen. Er gilt nicht den Ochsenfurter Wallfahrern, sondern stammt vom unweit entfernten Truppenübungsplatz. Die gut 200 frommen Wanderer haben ihre eigene Schlacht geschlagen und kaum ein Ohr dafür. Eher für die Kreuzbergmusikanten, die sie mit flotter Marschmusik dazu antreiben, ihre letzten Kräfte zu mobilisieren.
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Oben atmet man erst mal durch, tauscht Glückwünsche aus zur bestandenen Tortur. Der eine oder andere Flachmann wird herum gereicht. Dann geht es zum Gipfelkreuz, wo ein Gebet und eine kurze Ansprache von Stadtpfarrer Oswald Sternagel die erste Hälfte der Wallfahrt beenden. Endlich angekommen nach 110 Kilometern Fußmarsch, meist in glühender Hitze.
Die Wallfahrt rufe dazu auf, im Vertrauen auf Gott sein Kreuz zu tragen, meint der Guardian des Kreuzberg-Klosters, Pater Georg Andlinger, als er die Wallfahrer später vor der Wallfahrtskirche empfängt. Einer, der es heute mit besonderem Stolz trägt, ist Manual Kernwein. Zu ersten Mal ist der 33-jährige Zeubelrieder zum Kreuzberg gewallt und darf als Debütant das hölzerne Kruzifix der Kreuzbruderschaft auf dem letzten Stück des Weges tragen. "Das ist schon eine Ehre für einen Neuling", sagt er.
"Ich wollt in der Schulzeit schon immer mit", erzählt Kernwein. Vor zwei Jahren hatte er sich angemeldet, dann kam ihm eine Verletzung dazwischen. Heuer hat es endlich geklappt. "Es ist super anstrengend, du spürst am Abend jeden Muskel", sagt er. "Wenn ich sehe, dass Leute mit 65 und 70 mitlaufen, habe ich es mir einfacher vorgestellt; da kann man sich echt ein Vorbild nehmen."
Zu diesen Vorbildern zählt Herbert Eger. Mit seinen 81 Jahren ist er der älteste unter den Wallleuten. Und er ist stolz darauf, dass er auch bei seiner 21. Wallfahrt nur während der größten Mittaghitze einige kurze Strecken im Begleitfahrzeug, dem "Marodi-Wagen", sitzen musste. 1979 hatte der gebürtige Willanzheimer nach Ochsenfurt geheiratet und gleich im ersten Jahr an der Wallfahrt teilgenommen. Es ist also nach 40 Jahren ein Jubiläum für Herbert Eger. Natürlich will er auch den Rückweg nach Ochsenfurt in Angriff nehmen. "Runterwärts geht's einfacher, da bist du schon eingelaufen."
Louis Hofmann ist sozusagen das Gegenstück zu Herbert Eger. Mit zehn Jahren in der Bub aus Bergtheim der jüngste unter den Wallfahrern. Gemeinsam mit seiner Oma Elisabeth Weisz hat er sich in Werneck der Wallfahrt angeschlossen und die rund 70 Kilometer, die es von dort zum Kreuzberg sind, klaglos gemeistert. "An der Kniebreche war ich als erster oben", berichtet er in jugendlichem Ungestüm. Paul Köhler aus Marktbreit ist schon seit den 60er Jahren dabei. Dass auch er heuer ein Jubiläum feiern könnte, soll nicht verraten werden, sagt er. Zum dritten Mal fährt er einen der beiden Marodi-Wägen und ist überrascht, wie wenige Wallfahrer trotz der Hitze die Mitfahrgelegenheit in Anspruch genommen haben.
"Ich bin zum neunten Mal dabei, aber das waren bisher die schwierigsten Bedingungen", sagt Matthias Schäffer, der als Vorstandsmitglied der Kreuzbruderschaft dem Organisationsteam um Präfekt Josef Pfeuffer angehört. "Am ersten Tag läufst du praktisch ohne Schatten." Und das bei anhaltend um die 30 Grad. Gerade nach der Mittagpause bekommen manche Wallfahrer Kreislaufprobleme.
Einige haben deshalb abgebrochen. "Nichts Ernstes", sagt Matthias Schäffer, "ich habe heuer mit mehr Ausfällen gerechnet." Am Dienstag nachmittag sorgte ein kurzer Regenschauer für eine willkommene Erfrischung. Doch die währte nicht lang, wie eine Wallfahrerin erzählt. Im nachfolgenden Waldstück sorgte die Feuchtigkeit für Sauna-Bedingungen und trieb den Schweiß erst recht aus allen Poren.
Allen Respekt zollt Debütant Konrad Grimm aus Ochsenfurt den übrigen Wallfahrern. Als erfahrener Wanderer kam auch er an seine Grenzen. "Es ist ein deutlicher Unterschied, ob du 20 Kilometer am Tag läufst, oder 47." Die Hitze hat ihm zu schaffen gemacht. "Das war anstrengender als der letzte Anstieg." Die Gebete, die unterwegs beinahe mandraähnlich gesprochen werden, empfinden viele der Wallfahrer als Unterstützung, um sich von der körperlichen Strapaze ablenken und ganz auf den Weg konzentrieren zu können. "Mir wäre etwas mehr Stille lieber gewesen", meint hingegen Konrad Grimm.
Nach der Ankunft am Kreuzberg, haben die Wallfahrer Gelegenheit sich auszuruhen, sich am deftigen Essen aus der Klosterküche und dem excellenten Kreuzberg-Bier zu stärken. Vor ihrem Aufbruch am Donnerstagmorgen nehmen viele der Wallfahrer den Wallfahrts-Segen entgegen. Der Priester legt ihnen dabei eine Monstranz mit Holzsplittern auf die Stirn, die der Überlieferung nach vom Kreuz Christi stammen sollen. Der vierte Tag endet nach 35 Kilometern in Arnshausen, einem Stadtteil von Bad Kissingen. Unterwegs wird Heidekraut gesammelt, das die Wallfahren an ihrem letzten Abend in Bergtheim zu Kränzchen binden, die sie später an die Wallfahrt erinnern.
Auch für das letzte Teilstück sind hochsommerliches Wetter und Temperaturen um die 30 Grad angekündigt. Am Samstag gegen 18 Uhr ziehen die Wallfahrer über die Alte Mainbrücke in Ochsenfurt ein und werden von Freunden und Verwandten mit üppigen Blumensträußen empfangen. Viele werden dann sicherlich erleichtert, dass die Hitzeschlacht zum Kreuzberg zu Ende ist.