47 Kilometer Fußmarsch werden die Ochsenfurter Wallfahrer nach ihrem Aufbruch am heutigen Montagmorgen bewältigt haben. Wer die hinter sich hat, möchte am Abend nur noch eines: duschen und sein müdes Haupt zur Ruhe betten. Das jedem der 221 Teilnehmer zu ermöglichen, die in diesem Jahr bei der Ochsenfurter Kreuzbergwallfahrt dabei sein werden, ist die Aufgabe von Renate Juks. Sie hat 2013 bei der Kreuzbruderschaft das Amt der Quartiermeisterin übernommen und kümmert sich seitdem um die Unterbringung der Pilger. Eine anstrengende Aufgabe, denn während der sechstägigen Wallfahrt kann Renate Juks abends nicht zu Bett gehen, bevor nicht auch der letzte Pilger eine Unterkunft hat.
Bis jetzt sei das noch immer gelungen, sagt die Quartiermeisterin, die auch selbst bei der Wallfahrt mit läuft. Doch die theoretische Möglichkeit, dass sich einmal nicht genügend Gastgeber finden, um alle unterzubringen, beschäftigt sie im Geist fast ständig. Denn immer wieder geben Privatleute, die in früheren Jahren regelmäßig Wallfahrer bei sich aufgenommen hatten, ihr Engagement aus Altersgründen auf. Und neue Gastgeber zu gewinnen, ist nicht ganz einfach. Wer sich für die Wallfahrt nicht interessiert und die entsprechenden Aufrufe nicht liest, an dem geht das Ereignis ganz einfach vorbei.
Vor der Kirche finden sich Wallfahrer und Gastgeber
Auf dem Kreuzberg selbst erhalten alle Pilger von Renate Juks ein Bett entweder in einem der Zimmer oder im Matratzenlager. In einigen der Orte, in denen die Pilger auf ihrem Weg zum Kreuzberg und zurück übernachten, gibt es Hotels und Gasthöfe. Dort kommt schon mal ein Teil der Wallleute unter. Diese Zimmer hat Renate Juks bereits vergeben, die ersten festen Anmeldungen kommen meist schon im Januar. "Wir fahren die Hotels schon im März ab und fragen, wie viele Pilger dort wohnen können", sagt die 63-Jährige. Wohin aber gehen die, für die dort kein Platz ist? "Viele machen das privat aus. Es gibt etliche, die übernachten schon seit 20 Jahren immer bei denselben Leuten."
Und diejenigen, die sich auch auf diesem Weg im voraus noch kein Bett sichern konnten, die stehen am Abend mit ihrem Köfferchen vor der Kirche des jeweiligen Ortes und warten, gemeinsam mit Renate Juks. Dorthin kommen, ohne vorherige Absprachen, die Einheimischen, die einen oder auch mehrere Schlafplätze zur Verfügung stellen wollen. An diesem Sammelplatz finden sich dann Gast und Gastgeber, Menschen, die sich nie zuvor gesehen haben, um sich für eine Nacht das Dach über dem Kopf zu teilen.
Der weitere Verlauf des Aufenthalts gestaltet sich entsprechend unterschiedlich. Die Gastgeber sorgen für ein Abendessen und das Frühstück am nächsten Morgen. Der Umfang der Verköstigung kann durchaus variieren. "Manche kochen richtig auf, mit Schweinebraten und Klößen", sagt Renate Juks. Andere bieten eine Brotzeit an. Wobei auch eine solche erstaunliche Ausmaße annehmen kann, wie die Ochsenfurterin selbst schon feststellen konnte, als sie bei den Inhabern einer Wurstmanufaktur einquartiert war.
Empfohlen wird den Pilgern, ihren Gastgebern eine Aufwandsentschädigung in Form von Geld zu hinterlassen. Nicht alle aber wollen das annehmen, weiß Renate Juks aus eigener Erfahrung. Ihr Versuch, die Großzügigkeit ihrer Gastgeber mittels heimlich im Quartier zurückgelassener Geldscheine zu hintertreiben, löste ehrliche Entrüstung aus. "Einige Gastgeber sehen die Aufnahme von Pilgern als ihren Beitrag zur Wallfahrt und wollen kein Geld dafür", so die Quartiermeisterin.
Derartige Konflikte sind bei einer Übernachtung im Hotel nicht zu erwarten. Aber auch diese Möglichkeit schwindet zusehends. "In manchen kleineren Orten hat das einzige Gasthaus inzwischen dicht gemacht", weiß Renate Juks. Falls einmal alle Stricke reißen sollten und einzelne Wallfahrer am Abend noch ohne Schlafplatz wären, würde die Quartiermeisterin auch mal auf ein Feuerwehrhaus als Notlösung zurückgreifen.
An jedem Tag der Wallfahrt gehen Renate Juks diese Gedanken durch den Kopf. Dabei würde sie gerne wieder einmal mitlaufen, ohne diesen Sack voll Verantwortung mitzuschleppen. Deshalb ist sie derzeit dabei, eine Nachfolgerin in das Amt einzuarbeiten. Dann kann sie wieder fühlen, was sie bei ihrer ersten Kreuzbergwallfahrt im Jahr 2005 so begeisterte: "Man ist total weg von allem und nur bei sich", sagt sie. "Die Wallfahrt ist ein tolles Erlebnis für die Seele. Davon zehrt man noch Wochen später."