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Würzburg/Ebrach
Vor 100 Jahren unschuldig verurteilt: Felix Fechenbach und die Nacht im Eisenkäfig im Zuchthaus Ebrach
In einem Skandalprozess wurde der Würzburger Journalist und Politiker Felix Fechenbach im Oktober 1922 in München zu langer Haft verurteilt. Was ihn erwartete, schockierte.
Der Gefangene Felix Fechenbach im Oktober 1922. Kurz nach seiner Einlieferung ins Zuchthaus Ebrach wurden dem verurteilten Würzburger die Haare abgeschnitten und er erhielt die Häftlingskleidung.
Foto: Staatsarchiv Bamberg | Der Gefangene Felix Fechenbach im Oktober 1922. Kurz nach seiner Einlieferung ins Zuchthaus Ebrach wurden dem verurteilten Würzburger die Haare abgeschnitten und er erhielt die Häftlingskleidung.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 08.02.2024 19:07 Uhr

Heute wird er als unerschrockener Kämpfer gegen den Rechtsradikalismus gerühmt. In seiner Heimatstadt Würzburg hat man das Stadtteilzentrum in Grombühl nach ihm benannt und die Straßenbahnhaltestelle davor heißt "Felix-Fechenbach-Haus".  Vor 100 Jahren aber war alles anders.

Herbst 1922, Felix Fechenbach, ein ehemaliger enger Mitarbeiter des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, hat den Tiefpunkt seines bisherigen Lebens erreicht. In einem Verfahren, das an einen Schauprozess erinnert, verurteilt ihn ein ultrakonservativer Richter am 20. Oktober 1922 in München zu einer elfjährigen Zuchthausstrafe. Am Abend des 28. Oktober, einem kalten und feuchten Samstag, kommt der mit Handschallen gefesselte Fechenbach, begleitet von zwei Bewachern, im Zuchthaus im oberfränkischen Ebrach an, einer prächtigen ehemaligen Zisterzienserabtei.

Gefesselt und schwer bewacht: Nach Verurteilung in München ins Zuchthaus Ebrach gebracht

Fechenbach schaut sich in der Torwache um. Der Transportschein liegt auf dem Tisch. Am oberen Rand liest er, mit Rotstift dick unterstrichen: "Vorsicht!" Ein schwer bewaffneter Beamter führt ihn durch Arkadenhöfe und gewölbte Gänge. Alles sieht düster und gespenstisch aus. Ein großer Polizeihund knurrt misstrauisch.

Als die Zellentür geöffnet wird, prallt der Häftling entsetzt zurück. "Ich hatte mir unter dem Begriff 'Zuchthaus' allerhand Unangenehmes gedacht", schreibt Fechenbach später über die Erlebnisse in Ebrach. "Was ich aber in dieser Zelle zu sehen bekomme, übersteigt meine schlimmsten Vorstellungen. In die Zelle ist ein großer Käfig aus rotlackierten Eisenstangen eingebaut." Den 28-Jährigen überläuft ein kalter Schauder.

Häftling im Käfig - mit Fußfesseln und nur einem Hemd

Als er den Käfig betreten soll, hält Fechenbach das für einen Scherz. "Da soll ich hinein?" fragt er, immer noch ungläubig. Der Beamte bejaht und dreht seinen martialischen schwarzen Schnurrbart. "Das ist ja der reinste Tigerkäfig", sagt Fechenbach. "Jetzt sind's halt im Zuchthaus", kommt es lakonisch zurück. Der uniformierte Begleiter lächelt überlegen und rasselt mit seinem großen Schlüsselbund.

Vom 28. Oktober 1922 bis zum 20. September 1924 war Felix Fechenbach im Zuchthaus Ebrach, einer ehemaligen Zisterzienserabtei, inhaftiert.
Foto: Archiv der JVA Ebrach | Vom 28. Oktober 1922 bis zum 20. September 1924 war Felix Fechenbach im Zuchthaus Ebrach, einer ehemaligen Zisterzienserabtei, inhaftiert.

Der Käfig ist zwei Meter hoch. Die Rück- und die linke Seitenwand werden von der Zellenmauer gebildet. Ganz unten ist ein eiserner Ring in der Mauer befestigt, eine Vorrichtung für Fußfesselung. Der einzige Einrichtungsgegenstand steht in der Ecke: ein Holzkübel mit Deckel ohne Handgriff, ein primitives Klo. Bald werden Matratze, Kopfteil, zwei Schlafdecken und ein Leintuch gebracht und auf dem Boden zum Schlafen gerichtet. Fechenbach muss sich nackt ausziehen und eine demütigende Leibesvisitation über sich ergehen lassen. Er zittert vor Kälte.

Sozialdemokrat 26 Monate in Ebrach gefangen

In der Nacht, die er, nur mit einem Hemd bekleidet, im Käfig verbringt, schläft er nicht. Der Würzburger malt sich eine düstere Zukunft im Zuchthaus aus, er, der bis vor Kurzem geglaubt hat, dass er als Opfer eines offensichtlichen Fehlurteils bald wieder frei sein wird. Er hat sich getäuscht. Er bleibt 26 Monate in Ebrach gefangen.

Der 1894 geborene Felix Fechenbach war als Sohn eines Bäckers in Würzburg mit vier Brüdern in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Er hatte sich bald dem Sozialismus und der politischen Arbeit zugewandt. In München wirkte er vor dem Ersten Weltkrieg für die SPD-nahen Freien Gewerkschaften und für die Jugendorganisation der Partei. Obwohl er als Pazifist den Krieg ablehnte, widersetzte er sich der Einberufung nicht. 1915 erhielt er für seine Tapferkeit an der Front in Frankreich das Eiserne Kreuz.

An der Seite von Politiker und Schriftsteller Kurt Eisner

Nach einer schweren Verwundung und einem längeren Lazarettaufenthalt wurde Fechenbach in militärischen Büros in München eingesetzt. Hier näherte er sich dem Politiker und Schriftsteller Kurt Eisner an, mit dem gemeinsam er im November 1918 die Revolution in München organsierte. Die Situation war reif dafür, denn nach mehr als vier entbehrungsreichen Jahren hatte sich Kriegsmüdigkeit in der hungernden Bevölkerung ausgebreitet, zumal ein deutscher Sieg nicht mehr zu erwarten war.

26 Monate unschuldig im Zuchthaus: der Würzburger Felix Fechenbach.
Foto: Sammlung Roland Flade | 26 Monate unschuldig im Zuchthaus: der Würzburger Felix Fechenbach.

Die führende Rolle in der Revolution sowie Fechenbachs und Eisners jüdische Abstammung machten beide zu besonderen Hassobjekten konservativer Kreise. Kurt Eisner, nach der Revolution kurzzeitig bayerischer Ministerpräsident mit Fechenbach als persönlichem Referenten, wurde am 21. Februar 1919 von einem Rechtsradikalen ermordet.

Eisner war Fechenbachs Vorbild. Später sollte der Würzburger ein Buch über ihn verfassen. Und er benannte seinen Sohn nach ihm.

Politischer Rechtsruck und rechtsradikale Gewalt

Als in Bayern nach dem Chaos der kommunistischen Räterepubliken vom Frühjahr 1919, an denen Fechenbach nicht beteiligt war, ein politischer Rechtsruck folgte, gründete Fechenbach ein Pressebüro und belieferte Zeitungen in ganz Deutschland mit Berichten aus Bayern. Darin setzte er sich kritisch mit rechtsradikalen Aktivitäten auseinander, die auf die Förderung der seit März 1920 rein bürgerlichen Münchner Regierung stießen. Eine Welle rechtsradikaler Gewalttaten überschwemmte Deutschland und Bayern. Sie fand ihre Höhepunkte 1922 in der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau und im Hitlerputsch vom November 1923.

Während die bayerische Justiz völkische Gewalttäter vielfach mit Nachsicht behandelte, trat sie Vertretern der Linken mit ganzer Wucht entgegen. Im Herbst 1922 macht man Fechenbach unter anderem wegen der Veröffentlichung von Dokumenten zum Kriegsausbruch in München den Prozess. Nicht zuletzt ging es dabei um ein Telegramm, das der bayerische Gesandte beim Vatikan eine Woche vor Kriegsbeginn an die Münchner Regierung geschickt hatte. Das Kabel zitierte eine – später vom Vatikan dementierte – Äußerung Papst Pius X. zugunsten eines kriegerischen Vorgehend Österreich-Ungarns gegen Serbien und Russland.

Angeklagt wegen "Landesverrats"

Obwohl die Veröffentlichung dieses Schriftstücke nach dem bayerischen Pressegesetz überhaupt nicht hätte verfolgt werden dürfen, wurde Fechenbach wegen "Landesverrats" angeklagt. Das Telegramm habe die Verhandlungen zum Versailler Friedensvertrag zuungunsten Deutschlands beeinflusst, lautete eine der unhaltbaren Begründungen

Umschlagseite des umfangreichen Zuchthaus-Aktes über Felix Fechenbach.
Foto: Staatsarchiv Bamberg | Umschlagseite des umfangreichen Zuchthaus-Aktes über Felix Fechenbach.

In dem Verfahren, in dem der Richter seine Abscheu nicht verheimlichte, wurde Fechenbach am 20. Oktober 1922 zu einer elfjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Das Verhalten des Richters sei "in der deutschen Justizgeschichte später nur durch die Prozessführung von Roland Freisler während der NS-Zeit übertroffen worden", heißt es in einer Analyse.

Elf Jahre Zuchthaus für Fechenbach, Bewährungsstrafe für Hitler

Ganz anders dagegen die Behandlung Adolf Hitlers, nachdem dieser im November 1923 erfolglos versucht hatte, gegen die Münchner und Berliner Regierung zu putschen. Im Hochverratsprozess gegen ihn ließ der Richter es zu, dass Hitler Zeugen im Stil eines Anklägers verhörte und lange Propagandareden hielt. Am 1. April 1924 fiel in München das Urteil: Fünf Jahre Haft mit Aussicht auf Bewährung schon nach sechs Monaten. In der Begründung wurde zudem auf den "rein vaterländischen Geist und edelsten Willen" des Angeklagten verwiesen. Das Republikschutzgesetz, das das nach der Ermordung Rathenau erlassen worden war, sah die Ausweisung von ausländischen Straftätern – Hitler war Österreicher – vor, doch diese unterblieb.

Die Haftbedingungen Hitlers in der Gefangenenanstalt Landsberg am Lech waren kommod: Der Putschist konnte Besucher empfangen und den ersten Band von "Mein Kampf" verfassen. Schon am 20. Dezember 1924 wurde er nach weniger als neun Monaten entlassen, übrigens am selben Tag wie Felix Fechenbach, der über 26 Monate lang die Härte eines Zuchthauses erlebt hatte, selbst wenn er nicht mehr in den roten Eisenkäfig zurückmusste.

Ebracher Erfahrungen 1925 in einem Buch beschrieben

Seine Erfahrungen in Ebrach fasste Felix Fechenbach 1925 im Buch "Im Haus der Freudlosen" zusammen. Er zog er nach Berlin und arbeitete für sozialdemokratische Zeitungen. Immer wieder befasste er sich mit Fragen der politischen Justiz und schrieb große Sozialreportagen. Im September 1929 wurde er Redaktionsleiter bei der SPD-Zeitung "Volksblatt" in Detmold. Hier nahm er den publizistischen Kampf mit der NSDAP auf und sprach auf Versammlungen seiner Partei.

Am 3. März 1933 wurde das "Volksblatt" verboten, am 11. März 1933 kam Fechenbach für mehrere Monate in sogenannte "Schutzhaft" ins Detmolder Gefängnis. Hier verfasste er den Roman "Der Puppenspieler", der in seiner Heimatstadt Würzburg spielt und in den autobiographische Elemente einflossen.

Erst Schutzhaft, dann KZ: 1933 tödlich verwundet 

Am 7. August 1933 wurde er bei der angeblichen Überführung ins KZ Dachau durch mehrere Schüsse aus den Waffen der ihn begleitenden SA- und SS-Männer tödlich verwundet. Seine Frau Irma floh mit den drei Kindern des Ehepaars in die Schweiz.

Zwei von Fechenbachs Brüdern wurden, wie er, im Dritten Reich ermordet. Der Bruder Max überstand das KZ Theresienstadt und war bis zu seiner Auswanderung in die USA 1946 Vorsitzender der im Sommer 1945 von Überlebenden wiedergegründeten jüdischen Gemeinde Würzburg. Das Zuchthaus Ebrach ist seit 1958 einen Jugendvollzugsanstalt. Die Bücher "Der Puppenspieler" und "Im Haus der Freudlosen" wurden 1988 bzw. 1993 neu veröffentlicht.

Im Eisenkäfig: Illustration aus dem Buch 'Im Haus der Freudlosen', in dem Felix Fechenbach 1925 seine Erfahrungen im Zuchthaus schilderte.
Foto: Repro: Roland Flade | Im Eisenkäfig: Illustration aus dem Buch "Im Haus der Freudlosen", in dem Felix Fechenbach 1925 seine Erfahrungen im Zuchthaus schilderte.
 
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  • G. K.
    @simonhard
    War vermutlich die bescheuerte Autokorrektur am Handy...
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Eine furchtbare Justiz, die ja noch bis lange nach dem WK2 gewütet hat.
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  • R. S.
    Ja, die Zeiten ändern sich. Jetzt werden die Linken, die sich auf Straßen, an Gemälden festkleben und Baumhäuser bauen mit Samthandschuhen angefasst von der Justiz. Während bei den Rechten bei jedem Vorfall ein Skandal in den Medien stilisiert wird. Mehr sag ich lieber nicht.
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    @simonhard Sie verkennen, dass die Justiz auf dem rechten Auge immer noch, nur eingeschenkt Sehfähig ist.
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  • R. B.
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  • R. S.
    Eingeschenkt??

    Aha🦧
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  • R. B.
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