Was hätte der Angeklagte Ilker A. getan, wenn vier junge Frauen in jener Nacht vor zwei Jahren die Hilferufe in der Dunkelheit ignoriert hätten? Diese Frage rückt im Würzburger Prozess um das Sexualleben eines 30-jährigen Studenten immer mehr in den Mittelpunkt.
Zwei unterschiedliche Schilderungen
Laut Anklage wurde eine junge Frau das Opfer einer brutalen Vergewaltigung mit Würgen und Schlägen. Das ist im Prozess noch nicht bewiesen. Denkbar ist - wenn man Verteidiger Martin Reitmaier folgt -auch eine andere Variante: Dass sie nach einer durchzechten Nacht nicht mehr erkennbar "nein" sagen konnte oder wollte, als sich der Kickboxer auf dem Heimweg an ihr verging.
Beide Möglichkeiten prüft jetzt das Landgericht Würzburg in einem 17-tägigen Prozess, in dem das Sexualleben des Angeklagten im Mittelpunkt steht – und in drei Fällen der Vorwurf, seine Wünsche mit Gewalt durchgesetzt zu haben. Der 30-Jährige hatte vor Gericht eine andere Version präsentiert: Demnach erfüllte er das Bedürfnis seiner Bekannten nach Geschlechtsverkehr im Park, bei dem er sie - auf ihren Wunsch - auch hart anfasste.
Passantinnen kamen Zweifel: Klang das nach liebevollem Miteinander?
Vier junge Frauen auf dem Heimweg hatten einen ganz anderen Eindruck, als sie die beiden auf der Wiese neben dem Weg am Kriegerdenkmal hörten. Eine andere Gruppe war zu diesem Zeitpunkt bereits an ihnen vorbei gekommen, und beruhigt die junge Frauen: "Da haben zwei Spaß miteinander!" Sie waren laut eigener Schilderung schon weitergegangen, als sie leise Hilferufe zu hören glaubten. Für sie hörte es sich nicht wie ein SM-angehauchtes Rollenspiel mit Würgen und Schlagen an, wie es der Angeklagte andeutet.
"Meine Freundin rannte los, ohne zu zögern," beschrieb eine Zeugin die Situation. Sie sei dann hinterher in den dunklen Park gerannt. Im Schein ihrer Handy-Taschenlampen sahen sie einen Mann mit heruntergelassenen Hosen auf einer Frau liegen, die sich kaum rührte.
"Ist das einvernehmlich?"
"Ist es einvernehmlich?" fragten sie. "Ja", beruhigte der Mann, küsste demonstrativ die Frau, die mit hochgeschobenem Kleid reglos unter ihm lag. Ihre Unterwäsche lag ein paar Meter entfernt. "Ich will es von ihr hören: Ist das einvernehmlich?", insistierte eine Zeugin hartnäckig. Keine Reaktion. "Geh von ihr runter!", forderten sie.
Der Mann begann, sich anzuziehen. Man werde das mit der Polizei klären, erklärte ihm eine der jungen Frauen. Plötzlich haute ihr der Kickboxer die flache Hand ins Gesicht und floh, verfolgt vom Freund einer der Frauen. Erst jetzt habe sich das Opfer aufgerappelt, an den gewürgten Hals gegriffen und geweint, berichten die Augenzeuginnen. Die Frau wollte selbst von den Sanitätern nicht angefasst werden. "Sie wirkte geschockt."
Zeuginnen hätten "vorbildlich reagiert"
Sie hätten "vorbildlich reagiert" attestiert Oberstaatsanwalt Jürgen Bundschuh einer der Zeuginnen. Ihre Aussagen bewegen die Richter dazu, den Angeklagten noch einmal aufzufordern, seine Aussage zu überdenken. Dass er unschuldiges Opfer masochistischer Begierden seiner Begleiterin wurde, glaubt man ihm erkennbar nicht mehr.
Wie deutlich er gewohnt war, zu zeigen, wo es in intimen Momenten lang ging, zeigen seine heimlichen Aufnahmen vom Sex mit elf anderen Frauen, die ebenfalls Teil der Anklage sind. Die Polizei hatte sie - eher zufällig - bei Ermittlungen wegen eines Drogendeliktes auf seinem Handy und Laptop beschlagnahmt.
Diese Szenen in einer Gesamtlänge von sieben Stunden stehen dem Gericht noch bevor. Richter Claus Barthel musste sie vor dem Prozess sichten und nimmt den Angeklagten ins Gebet, seine Aussage zu überdenken: "Einen devoten Herrn A. habe ich da nicht gesehen. Da habe Sie dick aufgetragen."
Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.