
Als Gründungsdirektor des Museums für Franken auf der Festung in Würzburg hatte er die Geschichte ganz Frankens im Blick. Als er vom Pustet Verlag gefragt wurde, ob er die „Kleine Geschichte Unterfrankens“ beisteuern würde, sagte Erich Schneider gerne zu. Klar, kein Problem. Er habe gedacht, das könne er so nebenbei machen. Aber dann habe er gemerkt: „Eine museale Aufbereitung und die Verschriftlichung sind doch zwei paar Stiefel. Und ich kann auch nicht ein Museum zwischen zwei Buchdeckel packen.“ Trotzdem hat der Kunsthistoriker aus Schwebheim (Lkr. Schweinfurt) versucht, die Sichtweise des Museumsmannes, der täglich mit Sachzeugnissen zu tun hat, ins Buch zu bringen. Was also hat Unterfranken geprägt von der Frühzeit bis in die Gegenwart? Und seit wann gibt es dieses "Unterfranken" überhaupt?

Dr. Erich Schneider: Naja, da fängt schon die Frage an: Was ist Unterfranken? Ist es das Hochstift Würzburg? Was gehört dazu? Aschaffenburg hat geschichtlich – zumindest vor der Säkularisation 1802/1803 – nie zum Hochstift gehört, das war Mainzisch. Aber ja, es geht.
Schneider: Eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg, der Begriff ist relativ jung. Die Nationalsozialisten haben „Mainfranken“ eingeführt. Vorher hat man vom Untermainkreis gesprochen, in Ergänzung zum Obermainkreis. Das war der Versuch der Bayern, dieses neue Gebiet zu erfassen und ihm einen Namen zu geben.
Schneider: . . . aus der Reichsstadt. Er kam vielleicht noch aus Franken.
Schneider: . . . kam aus dem Hochstift. Er kam möglicherweise – also kirchlich - aus dem Bistum, er kam aber vielleicht auch aus dem Herzogtum Franken. Das haben ihm aber ein Ansbacher oder ein Bayreuther schon nicht mehr so ohne Weiteres abgenommen.
Schneider: Mehr oder weniger ist das so. Das hat sich erst mit der Eisenbahn oder der A7 wirklich geändert.
Schneider: Nein, weil wir so frei sind und „Unterfranken“ gewissermaßen als Rechtsnachfolger des Hochstifts Würzburg betrachten. Damit gehen wir zurück bis in die Tiefen der frühmittelalterlichen Geschichte.
Schneider: Fangen wir mal mit den Anfängen an, wie sich das gehört. Am Anfang steht der Heilige Kilian, die Missionierung Frankens. Da kann man schon keine Ausrufezeichen dahinter setzen. Es gibt Historiker, die sagen, Kilian ist eine Mystifikation, eine Legende, eine fromme Geschichte. Historisch hat es ihn nie gegeben. Trotzdem hat das Datum dieses Martyriums – 689 n. Chr., das wäre also die erste Jahreszahl – eine Wirkmächtigkeit bis heute. Und sei es nur das Kiliani. Während des Zweiten Weltkrieges hatte man die Reliquien des Heiligen Kilian in Gerolzhofen verborgen. Als man sie in einer großen Prozession zurückgeholt hat, war das ein Riesenereignis. Eine Legende erzeugt da eine Wirkmächtigkeit wie manches andere Ereignis nicht.
Schneider: 741/742 nach Christus, die Einsetzung des ersten Bischofs von Würzburg durch den Heiligen Bonifatius. Da ist man auf gesichertem historischen Boden, da beginnt das Bistum Würzburg, damit setzt die Geschichte ein. Ein wichtiges Datum ist für mich – bitte ja, ich habe jahrelang in Schweinfurt gearbeitet – ist 1003.
Da war was?
Schneider: 1003, die Schweinfurter Fehde. Der Markgraf von Schweinfurt wehrt sich gegen den späteren Kaiser Heinrich, weil der ihm versprochen hatte: Du wirst mein Nachfolger als Herzog in Bayern. Das hat Heinrich nicht gehalten. Hezilo empört sich, begeht also Aufruhr. Wenn das erfolgreich gewesen wäre, dann wäre Bayern fortan nicht von den Wittelsbacher regiert worden – sondern von einem Schweinfurter Markgrafen. Ein gestandener Historiker lehnt solche Gedankenspielchen vielleicht ab – aus meiner Sicht sind sie hochspannend. Und dann, ein Datum, dass Sie vielleicht auch nicht auf der Rechnung haben . . .

Schneider: Ich meine nur, es ist alles sehr subjektiv. Ich kann nicht behaupten, „man“ muss diese Daten kennen, die ich für wichtig halte. 1133, der Bau der Mainbrücke in Würzburg. Das war eine geopolitische Großtat! Das muss man sich wirklich vor Augen halten: Heute ist das für uns eine romantische Brücke und es gibt nichts Schöneres, als da seinen Schoppen zu schlürfen. Aber das ist eine Straße, die Europa verbunden hat! Zunächst von Nürnberg nach Frankfurt: Bei der Kaiserkrönung sind die Reichskleinodien auf der heutigen Bundesstraße 8 von Nürnberg mit großer Entourage über diese Brücke transportiert worden – nach Frankfurt und wieder retour. Dass heute die A3 an Würzburg vorbei führt und eine der wichtigsten europäischen Transversalen ist, ist das Ergebnis dieser damaligen Entscheidung 1133. Das war die erste Brücke in nachrömischer Zeit! Damals ein technisches Meisterwerk. Es hat Auswirkungen bis heute. Man könnte noch viele solche Zahlen nennen . . .

Schneider: Ich mache jetzt mal einen ganz großen Sprung. Die bayerische Verfassung 1818 und in ihrer Folge die Errichtung der Konstitutionssäule in Gaibach. Nicht nur ein Denkmal dieser Verfassung, sondern auch ein Mahnmal einer Demokratisierung, an der wir bis heute arbeiten.
Schneider: Aber hallo! Das Gaibacher Fest 1832 ist vergleichbar mit dem Hambacher Fest. Da hat der Würzburger Oberbürgermeister Behr gesprochen, hat den bayerischen König Ludwig I. darin erinnert, dass er bitte die Verfassung, die sein Vater erlassen hatte, ernst nehme möge. Die Volksmassen waren begeistert, das waren einige Tausend Leute! Man muss sich nur überlegen, wie die in den abgelegenen Ort gekommen sind und wie sie da alle irgendwie versorgt wurden. Ein paar Hitzköpfe haben den Behr zum König von Franken ausgerufen. Mit dem Ergebnis, dass der bayerische König ihn bis 1848 wegen Hochverrats in Festungshaft genommen hat.

Schneider: Aber sicher. Diese Konstitutionssäule, die heute für manche einfach ein Punkt in der Landschaft ist – dahinter steht viel, viel mehr. Das sind Entwicklungen hin zu unserem heutiges Demokratieverständnis, die hier bei uns, in Unterfranken, stattgefunden haben.
Schneider: Die Vielgestaltigkeit. Dass es nicht eine unterfränkische Geschichte gibt, sondern viele Ereignisse – die oft scheinbar gar nicht richtig zusammenpassen, die sich am Ende aber doch zusammenfügen. Zum Beispiel Reformation und Bauernkrieg, der viel mehr war als nur ein Krieg der Bauern. Da ist vieles zusammengekommen und hatte gerade in Unterfranken einen Höhepunkt. Wenn die Bauern besser geschossen hätten, wenn also die Festung gefallen wäre, dann hätte unsere Geschichte ganz anders ausgeschaut. So hat sie noch 200, 300 Jahre überstanden.
Schneider: Ach wissen Sie, das Wort Konflikt möchte ich eigentlich gar nicht hören. Wie alle geistlichen Staaten war das Hochstift Würzburg seit dem Dreißigjährigen Krieg von der Säkularisation bedroht. Am Ende seinem Ende sind nicht die Bayern groß schuld gewesen. Das war Teil einer langen, politischen Entwicklung. Und den Unterfranken ging es doch gut unter den Bayern. Die haben sich rührend bemüht um die Franken. Der Kronprinz musste in Würzburg und in Aschaffenburg wohnen, er hat sich eine Prinzessin aus Hildburghausen zur Frau genommen. Man hat Strukturmaßnahmen begonnen, den Main zur Großschifffahrtsstraße ausgebaut. Man hat alles getan, um die neu erworbenen Gebiete groß werden zu lassen. Dieses „Franken“, das man heute so beschwört, das gibt es als gemeinsame politische Identität nicht. Mit dem rot-weißen Rechen, der die Würzburger Farbe ist und der jetzt auf der Nürnberger Kaiserburg weht, biegt man sich die Geschichte jetzt ein bisschen zurecht.
Schneider: Man redet immer über das Fränkische Herzogschwert, auch so eine Mystifikation. Ja, das Schwert war wichtig. Der Würzburger Fürstbischof hat dieses Schwert bei wichtigen politischen Ereignissen demonstrativ mitgeführt. Aber für mich, als Ding, das man kennen sollte, viel wichtiger ist die Kiliansfahne.

Schneider: . . . sie bei der Schlacht 1266 in Kitzingen zwischen dem Würzburger Bischof und den Herren von Henneberg mitgeführt worden ist. Ein Riesending, fünf Meter lang. Sie war wohl auf einem Karren befestigt, damit zeigte man als Würzburger Truppe, dass man im Zeichen des Heiligen Kilian kämpft.
Schneider: Ein Stück, das wir kaufen konnten: ein zwei Meter hoher DDR-Grenzstein, der irgendwo auf der Höhe von Bad Königshofen die deutsch-deutsche Grenze markiert hat. Den halte ich für sehr wichtig. Aber auch technische Dinge. Die Industrialisierung spielt bis heute eine wichtige Rolle in Franken. Kugellager und Motoren und Fahrräder und Druckmaschinen – aus diesem Bereich wird man auch etwas finden müssen, woran man Geschichte festmachen kann. Ein bisschen stolz bin ich darauf, dass ich ein Motorrad von 1953 habe erwerben können. Mit einem Sachs-Motor und einem Rahmen von Hercules. Wenn Sie so wollen: ein fränkisches Motorrad!