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WÜRZBURG
Die verhängnisvolle Rede des Würzburger Bürgermeisters Behr
Grundsteinlegung der Konstitutionssäule in Gaibach im Jahr 1821 auf einem zwei Jahre später entstandenen Gemälde von Peter Hess. Wir entnahmen die Illustration dem Kirchenführer „Gaibach, Pfarrkirche und Kreuzkapelle“.
Foto: flade | Grundsteinlegung der Konstitutionssäule in Gaibach im Jahr 1821 auf einem zwei Jahre später entstandenen Gemälde von Peter Hess.
Bearbeitet von Lucas Kesselhut
 |  aktualisiert: 02.04.2019 11:23 Uhr

Dass er an jenem denkwürdigen 27. Mai 1832 „unser Frankenkönig“ genannt worden sei, bestritt der Würzburger Bürgermeister Wilhelm Joseph Behr später entschieden. Denn in Bayern, zu dem Unterfranken seit zwei Jahrzehnten gehörte, konnte es naturgemäß nur einen König geben, und der hieß 1832 Ludwig I. und residierte in München.

Behr hatte beim „Gaibacher Fest“, einer Demonstration an der Konstitutionssäule in Gaibach (Lkr. Kitzingen), vor fünf- bis sechstausend Menschen gesprochen und demokratische Reformen in Bayern gefordert. Dies sollte seinem Leben eine entscheidende Wende zum Schlechteren geben.

Viele Menschen waren dankbar dafür, dass Ludwigs Vorgänger König Max Joseph I. den Bayern 1818 eine Verfassung („Konstitution“) gegeben hatte. Und die 1828 in Anwesenheit von Ludwig eingeweihte Konstitutionssäule in Gaibach, heute ein Ortsteil der Stadt Volkach, war ein Beleg für diese Dankbarkeit. Aber: Viele Bayern kritisierten, dass die Möglichkeiten der Verfassung nicht ausgeschöpft wurden.

Als liberaler Wortführer Aufsehen erregt

Einer dieser Kritiker war der 1775 in Sulzheim bei Gerolzhofen geborene Wilhelm Joseph Behr, seit 1821 erster Bürgermeister von Würzburg. Der Konflikt eskalierte, als König Ludwig I. ab 1830 einen konservativen Kurs einschlug.

In den Dreißiger Jahren schwappte nach der französischen Julirevolution 1830 eine revolutionäre Welle in die deutschen Staaten und erfasste auch Würzburg, wo das wirtschaftlich aufstrebende Bürgertum wie anderswo versuchte, sich größeren politischen Einfluss zu verschaffen. Zur Symbolfigur dieser Bestrebungen wurde Behr, der 1818 als Vertreter der Universität Würzburg erstmals in den Landtag gewählt worden war und dort als liberaler Wortführer Aufsehen erregte. Zu seinen Zielen gehörten Pressefreiheit und volle Gewerbefreiheit.

1821 wurde Behr auch Würzburger Bürgermeister, was die Regierung umgehend zum Anlass nahm, ihm die Juraprofessur zu entziehen. Damit verlor er automatisch sein Abgeordnetenmandat, denn die Volksvertreter repräsentierten nach der bayerischen Verfassung damals nicht die gesamte Bevölkerung, sondern nur bestimmte Gruppen.

Als Behr 1825 und 1830 als Abgeordneter der Städte und Märkte Unterfrankens erneut in den Landtag gewählt wurde, verhinderte die Regierung mit fadenscheinigen Argumenten die Annahme des Mandats. Der neuerliche Ausschluss Behrs und anderer liberaler Abgeordneter und die Wiedereinführung der Pressezensur durch Ludwig I. im Januar 1831 veranlassten 399 Würzburger Bürger, eine Eingabe an den König zu unterzeichnen, in der diese Maßnahmen als verfassungswidrig gerügt wurden.

Aufruf zu Verbesserung der Verfassung

Am 27. Mai 1832 war Behr einer der Redner beim „Gaibacher Fest“ an der Konstitutionssäule in Gaibach, wo an deren Grundsteinlegung elf Jahre zuvor erinnert wurde. Doch die Versammelten brachen nicht in die von München erwarteten Jubelchöre aus. Manch flammende Rede dokumentierte den Wunsch nach durchgreifenden Reformen.

Behr betonte in seiner Ansprache, dass die bayerische Verfassung von 1818 die Erwartungen des Volkes enttäuscht habe. Er rief dazu auf, dem König einen Brief mit der Forderung zu schicken, die Verfassung zu verbessern, was schließlich auch geschah, nachdem fast 2000 Menschen ihre Unterschrift unter den Brief gesetzt hatten.

Die Menge an der Konstitutionssäule, unter der sich viele Studenten befanden, war sichtlich erregt, die Marseillaise und weitere Revolutionslieder wurden gesungen. Doch Behr bestand auch später immer darauf, dass er nicht zum Umsturz aufgerufen, sondern lediglich Reformen angemahnt habe.

Dennoch ließ der unterfränkische Regierungspräsident gegen Behr wegen „hoch- und staatsverräterischer Umtriebe und Majestätsbeleidigung“ ermitteln. Am 24. Januar 1833 wurde Behr verhaftet, nach München verlegt und nach zwei Jahren Untersuchungshaft zu unbefristeter Festungshaft verurteilt. Die strikte Pressezensur verhinderte mehrere Monate lang, dass das Urteil überhaupt publik wurde. Auch Behrs engste Freunde und Anhänger wurden zu öffentlicher Abbitte, Arbeitshaus und Gefängnis verurteilt. Der Lehrkörper der Würzburger Universität wurde von sämtlichen des Liberalismus verdächtigen Professoren „gesäubert“; über 30 Prozent der ordentlichen Professoren verloren ihr Lehramt.

Behr musste am 22. Juni 1836 in aller Öffentlichkeit vor dem Bild des Königs Abbitte leisten, schreibt der langjährige Leiter des Würzburger Stadtarchivs Ulrich Wagner im Buch „Wilhelm Joseph Behr. Professor, Bürgermeister, Hochverräter“. Ludwig hatte kurz zuvor ein Begnadigungsgesuch abgelehnt. Am 1. Juli 1936 trat Behr seine Haftstrafe in der Festung Oberhaus bei Passau an. Ab August 1838 wurde ihm bewilligt, sich tagsüber unter militärischer Aufsicht in Passau aufzuhalten, später durfte er in der Stadt ein Wohnung mieten und 1842 zu seiner Schwester nach Regensburg ziehen. Er blieb jedoch ein Häftling, dessen Bewegungsfreiheit eingeschränkt war und der nichts publizieren durfte.

Behr-Medaille für Engagement

Jedes Jahr richtete Behr Begnadigungsgesuche an den König, die zunächst keinen Erfolg hatten. 1847 erließ der König ihm zumindest den Rest der Festungsstrafe, doch da war Behr schon körperlich gebrochen und finanziell ruiniert. 1848 wurde er rehabilitiert und im selben Jahr ins gesamtdeutsche Paulskirchen-Parlament gewählt, wo er jedoch keine bedeutsame Tätigkeit mehr entfalten konnte. In Bayern war inzwischen die Zeit von König Ludwig I. zu Ende gegangen, unter anderem wegen dessen Affäre mit der Tänzerin Lola Montez.

Diesmal gelang es ihm nicht, liberale Forderungen, wie sie Wilhelm Joseph Behr vorgebracht hatte, abzubügeln. Bevor er am 20. März 1848 abdankte, hatte er volle Pressefreiheit gewährt, öffentliche Gerichtsverhandlungen eingeführt und das Heer auf die Verfassung vereidigt.

Behr konnte sich bestätigt fühlen, doch war seine Gesundheit bereits so geschwächt, dass er am 1. August 1851 starb. Er wurde in Bamberg begraben. In Würzburg ist eine Straße nach ihm benannt. Seit 1983 wird die Behr-Medaille von der Stadt für bürgerschaftliches Engagement verliehen.

Text: Roland Flade

 
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