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Giebelstadt
Umgehungsstraße Giebelstadt kommt nicht: Warum die Wiesenweihe die Pläne stoppt
Das Ende des Planfeststellungsverfahrens für die B 19-Ortsumfahrung bei Giebelstadt ließ Fragen offen. Jetzt antwortet die Regierung von Unterfranken.
Seit Jahren machen Anwohner mit Transparenten auf ihre Forderung nach einer Umgehungsstraße aufmerksam, wie eine Aufnahme vom März 2016 zeigt.
Foto: Gerhard Meißner (Archivbild) | Seit Jahren machen Anwohner mit Transparenten auf ihre Forderung nach einer Umgehungsstraße aufmerksam, wie eine Aufnahme vom März 2016 zeigt.
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:36 Uhr

Aus und vorbei für die B19-Umgehungsstraße bei Giebelstadt, Herchsheim und Euerhausen - die Regierung von Unterfranken hat das Planfeststellungsverfahren in der vergangenen Woche beendet, weil die geplante Trasse erheblich in den Lebensraum der streng geschützten Wiesenweihe eingreift und deshalb nicht genehmigungsfähig ist. Unter den Befürwortern der Ortsumfahrung hat die Entscheidung Entsetzen ausgelöst und viele offene Fragen zurückgelassen. Anfragen der Redaktion an die Regierung von Unterfranken und das Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr liefern jetzt Antworten.

Wann ist ein Eingriff in den Lebensraum erheblich?

Im Falle der Wiesenweihe gilt ein Eingriff als erheblich, wenn dadurch Lebensraum von mehr als zehn Hektar verlorengeht. Das betrifft zum einen Felder mit Wintergetreide, in denen die Vögel ihre Horste bauen, nachdem sie Mitte April aus dem Winterquartier zurückgekehrt sind, zum anderen ihr Jagdgebiet, in dem sie ausreichend Feldmäuse - ihre Hauptnahrung - erbeuten können.

Wie viel Lebensraum würde der Wiesenweihe durch die Umgehungsstraße verlorengehen?

Das Fachgutachten, das Bestandteil der Antragsunterlagen für die Planfeststellung ist, ging von einem Lebensraumverlust von 9,3 Hektar aus, davon 3,7 Hektar Bruthabitat. Zur Berechnung wurde die sogenannte Beeinträchtigungszone der geplanten Trasse von 65,4 Hektar mit der mehrjährigen Anbaustatistik verglichen, wonach in dieser Zone auf durchschnittlich 5,6 Prozent der Fläche Wintergerste und Triticale angebaut werden. Daraus ergibt sich ein Brutplatzverlust von 3,7 Hektar. Der Eingriff wäre demnach kleiner als zehn Hektar und nicht "erheblich" im Sinne der Schutzverordnung.

Warum wurde der Eingriff jetzt dennoch als "erheblich" eingestuft?

Wie die Regierung von Unterfranken mitteilt, wurde bei der Berechnung des Brutplatzverlusts der Winterweizen zunächst nicht berücksichtigt. Das entspricht der früheren Praxis, weil der Winterweizen im April noch nicht hoch genug gewachsen war, um den Nester Deckung zu bieten und deshalb gemieden wurde. Tatsächlich seien inzwischen rund 40 Prozent der Wiesenweihen-Horste im Winterweizen zu finden, argumentiert der Landesbund für Vogelschutz. Ursache dafür sind zunehmend milde Winter, die den Weizen früher wachsen lassen. Durch die Folgen des Klimawandels vergrößert sich also das potenzielle Brutgebiet der Wiesenweihen. Gleichzeitig steigt dadurch der rechnerische Verlust von Lebensraum.

Wie viel Brutgebiet geht der Wiesenweihe tatsächlich verloren?

Nach der Anbaustatistik des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird in dem Untersuchungsgebiet tatsächlich auf 43,3 Prozent der Flächen Winterweizen angebaut. Die höhere Naturschutzbehörde an der Regierung von Unterfranken beziffert den Verlust an potenzieller Brutfläche deshalb auf rund 30 Hektar, also weit über der Erheblichkeitsschwelle von zehn Hektar.

Sind Ausnahmen möglich, auch wenn ein Eingriff erheblich ist?

Ausnahmen sind nach der europäischen Schutzverordnung und nach dem Bundesnaturschutzgesetz möglich wenn "zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses" vorliegen. Das setzt aber voraus, dass verschiedene Varianten untersucht und letztlich diejenige gewählt wird, die den mildesten Eingriff in den Lebensraum der geschützten Art bedeutet.

Wurden verschiedene Varianten untersucht?

Ja, in der Umweltvertraglichkeitsprüfung wurden zehn Varianten verglichen. Für alle zehn wurde  ein Habitatverlust von weniger als zehn Hektar ermittelt und der Eingriff deshalb als "nicht erheblich" bewertet. Die Wahl des Staatlichen Bauamts fiel schließlich auf die Variante drei, für die der Bund bereits Eigentümer der erforderlichen Flächen ist. Tatsächlich wurde für weitere Varianten ein geringerer Verlust von Lebensraum ermittelt.

Umgehungsstraße Giebelstadt kommt nicht: Warum die Wiesenweihe die Pläne stoppt
Hätten sich die Mängel im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens heilen lassen?

Nein, wie die Regierung von Unterfranken mitteilt, konnte die Planfeststellungsbehörde nur aufgrund der eingereichten Unterlagen entscheiden. Eine Ortsumgehung sei auf der bereits erworbenen Trasse nicht möglich. Die Regierung beruft sich dabei unter anderem auf eine höchstrichterliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshof aus dem Jahr 2004 (Az: EuGH EuZW 2004, 730)

Wäre der Bau auf einer anderen Trasse möglich?

Ja, das hätte aber nach Auskunft des Staatlichen Bauamts erneut umfangreiche Planungen zur Folge und berge weiterhin ein hohes naturschutzfachliches Konfliktpotenzial. Die Umgehungsstraße ist nach wie vor im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplan 2030 enthalten und mit den entsprechenden Finanzmitteln unterlegt. Um die nötigen Flächen zu erwerben, wäre vermutlich zusätzlich ein zeitaufwändiges Flurbereinigungsverfahren erforderlich. Wie das weitere Vorgehen aussehen soll, ist offen. Dazu will sich das Staatlichen Bauamt demnächst mit dem dem Bayerischen Bauministerium und dem Bund als Bauherrn abstimmen.

Kommt es öfter vor, das Planfeststellungsverfahren nach so langer Planungszeit gestoppt werden?

Dass ein Planfeststellungsverfahren vorzeitig gestoppt wird, kommt nicht häufig vor, teilt das Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr mit. Genaue Zahlen darüber liegen allerdings nicht vor. Die Regierung von Unterfranken teilt mit, dass die Beendigung eines Verfahren aus Gründen der Verwaltungsökonomie gängige Praxis sei, wenn ein positiver Planfeststellungsbeschluss ausgeschlossen werden kann. Zu dieser Einschätzung sei es erst im Laufe des Verfahrens gekommen.

 
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  • glubberer76
    In den 80er Jahren hat es das grüne Klientel in der Art Gott sei Dank nicht gegeben. Da hat man versucht, eine vernünftige Lösung zu finden und nicht durch eigennützige Interpretation des BNatSchG versucht, alles zu verhindern.
    Und ja, Ungarn agiert in vielen Sachen cleverer und lässt sich nicht so von der EU auf der Nase herumtanzen.
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  • Steler06501902
    Unangemessene Ausdrucksweise.
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  • martin-neuner@outlook.de
    Wieviele Wiesenweihen und Feldhamster sind von dem Eingriff betroffen?
    Es wird auf die Pendler geschimpft. Arbeitsplätze, Behörden u. Ärzte aufs Land und dann gibt es keine Pendler und die Würzburger haben ihre Ruhe.
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  • flyarcus@gmx.de
    ich denke mal auch die Anwohner werden durch den Verkehr erheblich gestört...is aber wurschd....Hauptsache dem Federviech gehts gut...Der Vogel sucht sich halt was neues, scheint aber für unsere Salatköpfe ein undenkbares Szenario zu sein!
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  • haen
    "Gleichzeitig steigt dadurch der rechnerische Verlust von Lebensraum."

    RECHNERISCH!
    Praktisch haben sich durch die Einrechnung des Winterweizens die Brutgelegenheiten der Vögel enorm vermehrt. WW wird ja nicht nur auf der Trasse angebaut, sondern überwiegend außerhalb dieser.

    "sind zunehmend milde Winter, die den Weizen früher wachsen lassen"

    Wieso sind wir dann gegen eine Erwärmung des Klimas? Aus Gründen des Vogelschutzes wäre diese doch wünschenswert. Verzicht auf Vogelschredder inclusive. zwinkern
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  • glubberer76
    Es ist einfach nur noch traurig, was die neue grüne Weltordnung in diesem Land veranstaltet. 30 Jahre Arbeit zunichte gemacht. Die Hoffnung vieler lärmgeplagter Anwohner mit einem Schlag begraben, wegen eines Vogels. Wie viele Anhörungen und Untersuchungen hat es in den letzten Jahrzehnten gegeben? Und dann noch auf ein Urteil des EuGH berufen. Interessiert der EuGH in anderen Ländern irgendjemanden? Einfach nur lächerlich was hier geschieht. So kommen wir in diesem Land nicht mehr voran. Ich bin froh, daß ich so alt bin, aber für meine Enkel sieht es düster aus. Wir älteren haben dieses Land durch unsere Arbeit aufgebaut, damit es unsere Kinder und Enkel einfacher haben und nicht damit es die neue Grüne für ihre Ideologien opfert.
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  • Steler06501902
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • aljoscha.labeille@vcd-bayern.de
    Also ich möchte ehrlich gesagt, dass meine Enkel noch ein bisschen Natur erleben können und die Wiesenweihe und den Feldhamster nicht nur als ausgestorbene Tierarten aus dem Naturkundemuseum kennen. GERADE für die kommenden Generationen sollten wir den Flächenfraß endlich eindämmen. Die Enkel als Grund für Straßenbau anführen ist schon reichlich absurd. Wohin hat der exzessive Straßenbau denn geführt ? Immer mehr Menschen pendeln immer weitere Wege und erzeugen damit immer mehr Verkehr. Ist dadurch irgendwas gewonnen ? Lärm, Dreck und Naturzerstörung sind alles Folgen von ZUVIEL Straßenbau, sicher nicht von ZUWENIG. Eine Ortsumgehung würde nur noch mehr Verkehr anziehen und ca. 1/2 des Verkehrs ist ohnehin aus Giebelstadt selbst, den kriegen sie mit einer Ortsumgehung nicht reduziert sondern eher mit guten Fußwegen, Radwegen, ÖPNV-Ausbau und wohnortnaher Nahversorgung statt Supermärkten auf der Grünen Wiese.
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  • flyarcus@gmx.de
    Unangemessene Ausdrucksweise.
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  • aljoscha.labeille@vcd-bayern.de
    Nein, nicht "eines Abends" und nicht einfach so. Aber bei der Wohnortwahl und Arbeitssuche spielt es natürlich eine Rolle wie lange man unterwegs ist und da erweitert sich der Suchradius wenn Orte schnell erreichbar sind. Die Zeit, die die Menschen bereit sind für die Arbeitswege aufzubringen, sind immer gleich geblieben. Einzig die Entfernungen haben sich vergrößert. Es spart also niemand Zeit sondern die Wegelängen und damit der Verkehr wachsen immer weiter. Googlen Sie mal "induzierter Verkehr" und "konstantes Reisezeitbudget". Sie werden erstaunt sein !
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