
93 Minuten haben Brigitte und Rike, die zwei, die bei den Kickers-Heimspielen normalerweise Tickets verkaufen, gebangt, gehofft, gelitten und mitgefiebert. 93 Minuten lang, haben sie, wie schon am vergangenen Mittwoch, im Postkutscherl die Daumen gedrückt für ihre Jungs, ihre Kickers. Man könnte meinen, dass die elf Spieler, die da 800 Meter entfernt in rot und weiß auf dem Feld stehen, die Unterstützung der beiden Frauen spüren. Denn die Würzburger Kickers haben es geschafft, nächstes Jahr spielen sie am Dallenberg wieder in der zweiten Liga.
- Lesen Sie auch: Aufstiegskrimi: Schuppan schießt die Kickers in die zweite Liga!
- Lesen Sie auch: Kickers-Trainer Schiele und die 148-Sekunden-Pressekonferenz

Als Sebastian Schuppan in der Nachspielzeit den 2:2-Ausgleich erzielte, brach es aus den Frauen heraus. Dabei hätten die Reaktionen kaum unterschiedlicher sein können bei den beiden, die seit über dreißig Jahren bei den Kickers Eintrittskarten verkaufen. "Früher konnten wir noch jeden persönlich begrüßen und ihm die Hand geben", erzählt Rike, die ihren Nachnamen lieber für sich behält. Heute gehe das leider nicht mehr, aber einige Bekannte aus früheren Zeiten kommen trotzdem immer mal wieder vorbei.
Tränen der Freude
Ab der kommenden Saison dann in der zweiten Liga, denn als Schiedsrichter Martin Petersen nach acht Minuten Nachspielzeit das Spiel abpfeift, steht fest, dass die Kickers zurück sind in Liga zwei. Im Postkutscherl beim Public Viewing brechen da alle Dämme. Rike jubelt wie viele andere. Kickers-Fangesänge werden angestimmt und dem Trainer Michael Schiele gehuldigt. Brigitte sitzt fast regungslos am Tisch, beobachtet das Geschehen um sich herum und trocknet sich mit einem Taschentuch die Tränen. So ganz realisiert hat sie den Erfolg der Mannschaft wohl noch nicht. "Es wäre ein viel schönerer Aufstieg dieses Mal", sagt Brigitte in der Halbzeitpause. "Weil es mit unserem Micha ist", erklärt sie. Gemeint ist Cheftrainer Schiele, dessen Vertrag trotz des Aufstiegs noch nicht verlängert wurde. Und weil es dieses Jahr so unerwartet sei. Der Plan des Vereins war es, bis 2025 zurückzukehren in die zweite Liga.

Bis zu dieser 93. Minute war es ruhig im Postkutscherl. Mit einem Zollstock hat Wirtin Birgit Seuffert den Abstand der Tische vorher nochmal abgemessen. Mehr als die erlaubten zehn Personen, die zusammen an einem Tisch sitzen dürfen, sind an keinem Tisch zu finden. Als die Spieler ins Stadion einlaufen, kommt zum ersten Mal Gänsehaut-Atmosphäre auf, denn wie im Stadion auch, stimmen die Fans im Postkutscherl an: "Werdet zur Legende, kämpfen bis zum Ende. Für die zweite Liga, FWK!" Doch dann läuft alles ganz anders, als erwartet. Die Kickers geraten in Rückstand, Zweifel am erfolgreichen Verlauf des Tages werden lauter. Zwar gleicht Luca Pfeiffer vor der Pause aus, doch in der zweiten Halbzeit führt ein folgenschwerer Fehlpass des Stürmers zum 1:2.
"Ich komm mir vor, wie ein Club-Fan, wenn wir das heute noch vergeigen", gibt ein Fan seine Gemütslage zum Besten. Der Verweis auf den fränkischen Nachbarn aus Nürnberg, der sich in seiner Geschichte schon häufiger blamiert hat, sorgt für Gelächter. Doch die Stimmung bleibt angespannt, vor allem, als der direkte Konkurrent aus Ingolstadt in Führung geht. Auf einmal stehen die Kickers virtuell auf dem Relegationsplatz. Ein Tor muss her, doch wenig gelingt dem Team vom Schiele. Immer wieder springen die Fans auf, aber nicht weil die Kickers in die Nähe des gegnerischen Tors kommen, sondern um sich zu beschweren. Über die Spieler und über den Schiedsrichter. Ungläubigkeit macht sich breit. Dann passiert es mal wieder. Es sind diese Geschichten, die nur der Fußball schreibt. Die Kickers bekommen den entscheidenden Elfmeter. Und Kapitän Schuppan stößt das Tor zur zweiten Liga mit dem verwandelten Elfmeter weit auf. Während die Fans auf den Abpfiff warten, sind sämtliche Corona-Abstandsregeln vergessen. Wildfremde Menschen, natürlich alle Teil der großen Kickers-Familie, liegen sich in den Armen. Gestandene Männer haben Tränen in den Augen vor Freude und selbst der Reporter der Main-Post wird abgeklatscht und umarmt.
Zu Fuß zum Dallenbergstadion
Etwa 20 Minuten später hat sich der Freudentaumel etwas entspannt. Jetzt heißt es für viele Fans sofort ab zum Stadion, "zu ihrer Mannschaft und zu ihrem Trainer" wollen sie jetzt, berichten die Frauen aus dem Kassenhäuschen. Zu Fuß laufen sie den knappen Kilometer zum Dallenbergstadion. Etwa 300 Fans haben sich dort eingefunden, als die Mannschaft auf der Treppe zum Stadion erscheint. Die Polizei überwacht das Geschehen, verhindern lässt sich diese Feier heute sowieso nicht. Außenverteidiger Leroy Kwadwo stimmt die traditionelle Humba an.
Erst bittet er alle Fans sich hinzusetzen, dann fordert er von den Fans: "Gebt mir ein H!". "H" bekommt er aus 300 Kehlen entgegengerufen. "Gebt mir ein: Scheiß FC Schweinfurt", auch der Seitenhieb gegen den Lokalrivalen wird lautstark erwidert. "Gebt mir ein U, gebt mir ein Aufsteiger" - Kwadwo zelebriert diesen Moment, als hätte er ihn die letzten 38 Spieltage vorbereitet. Am Ende tanzen die Kickers-Spieler und Verantwortlichen hinter dem Zaun, während die 300 Fans auf dem Parkplatz auf und ab springen. Bier, Wasser und Sekt werden verspritzt. Es ist einer dieser Momente, die man als Fan und als Spieler nicht vergisst. Es ist wegen Corona eine etwas andere Aufstiegsfeier, für die Frauen aus dem Kassenhäuschen ist sie deshalb aber nicht weniger schön.