
Besondere Momente, außergewöhnliche Reaktionen. Was beim Fußball-Drittligisten FC Würzburger Kickers derzeit abläuft, ist alles andere als normal. Der Mittwoch hätte ein ganz großer Tag für den Klub werden können. Ein Remis hätte gereicht, um zum dritten Mal in die Zweite Bundesliga aufzusteigen. Es kam anders: Die Kickers verloren 1:5 bei der bereits gerettet und mit einem 1b-Team angetretenen Viktoria in Köln. "Das ist natürlich ein Brett", sagte Trainer Michael Schiele selbst noch am Abend. Verloren haben die Rothosen abgesehen von dieser einen Partie aber nichts. Ein Unentschieden im letzten Saisonspiel gegen Halle am Samstag (14 Uhr) reicht. Sollte der FC Ingolstadt bei 1860 München nicht gewinnen, können sich die Kickers sogar eine Niederlage leisten und steigen trotzdem auf.
Als Schiele am Donnerstagvormittag im Presseraum am Dallenberg bereit saß zur in Corona-Zeiten üblichen Videokonferenz mit Medienvertretern, führte er bereits etwas im Schilde. Es war im Jahr 2007, als Klaus Augenthaler als Trainer des VfL Wolfsburg im Erstliga-Abstiegskampf eine noch immer legendäre Pressekonferenz gab. Er startete damals mit denn Worten: "Meine Herren, es gibt vier Fragen und vier Antworten. Die Fragen stelle ich, die Antworten gebe ich auch." Nach 42 Sekunden war das Ding durch. Augenthaler verließ das Podium.
Schiele redete an diesem Donnerstag 148 Sekunden lang. Deutlich länger also als Augenthaler damals. Fragen gab es gar keine, nicht einmal eigene. Der Kickers-Trainer fand nämlich, es sei am Ende alles gesagt. Es war ein Appell, ein Statement, in dem er für gute Stimmung sorgen wollte. Das 1:5 in Köln ist abgehakt, lautete die Botschaft. Schiele, der das Wort Aufstieg über Wochen nicht in den Mund genommen hat, akzeptiert jetzt keinen Zweifel mehr.
"Männer, passt mal auf", richtete der Kickers-Trainer seine Worte an die zugeschalteten Journalisten. Er wollte offenbar etwas los werden. Was folgte, war ein Loblied auf seine Mannschaft und das Umfeld des Teams. Schiele wollte keine Abrechnung, wollte sich nicht über die Berichterstattung auslassen, wollte keine schlechte Stimmung. "Und dann schauen wir nicht mal, sondern dann mach' mer", endete er mit Blick auf den kommenden Samstag. Sprach's, stand auf und ging. Es war ein höchst ungewöhnlicher Auftritt, der womöglich mehr über die Befindlichkeiten bei den Kickers aussagte als jede mit einer Floskel beantwortete Frage. Der Trainer ist wild entschlossen.
Klar, hätte es da noch einige Fragen gegeben nach der 1:5-Klatsche in Köln. Wirklich erklärbar war die nach den letzten Wochen nämlich nicht. Am Abend, unmittelbar nach dem Spiel, hatte sich Schiele noch an diesen Erklärungen versucht. Nein, die Nerven hätten seinem Team keinen Streich gespielt. "Ich glaube nicht, dass wir an der fehlenden Lockerheit gescheitert sind", fand er. Schließlich habe sein Team doch in der ersten Spielhälfte genügend Chancen gehabt, in Führung zu gehen - wie bei einem Lattenfreistoß von Robert Herrmann.
Dass wie schon bei der 4:5-Niederlage in Unterhaching am zweiten Spieltag ein Regenguss, diesmal zur Halbzeit, das Spiel gegen die Kickers kippen ließ, war zumindest auffällig. Die Gastgeber hatten jedenfalls deutlich weniger Probleme, sich auf die neuen Umstände einzustellen. Auch die individuelle Abwehrleistung einiger Würzburger Akteure hinterließ zumindest Fragezeichen. Und das gilt nicht nur für die Abwehr, wo der zuletzt stark agierende Hendrik Hansen diesmal als stabilisierender Faktor fehlte. Das Nachsetzen nach Ballverlusten, der schnelle Rückzug nach Ballverlusten - all das, was die Kickers zuletzt ausgezeichnet hatte, war in Köln nicht zu sehen. Und das, nachdem es in den fünf vorangegangenen Partien gerade einmal drei Gegentore gegeben hatte. Erinnerungen wurden wach an die Vorrunde, als die Würzburger als Schießbude der Liga verspottet wurden.
Es hätte viele Fragen gegeben, die Schiele gestellt worden wären. Der Kickers-Coach aber schien am Donnerstag auf das übliche Fragespielchen keine Lust mehr zu haben. Der Worte, so findet er offensichtlich, sind genug gewechselt. Jetzt braucht es Tatkraft. Und seine Mannschaft ist da, so ist Schiele überzeugt, genau die richtige. Es ist fürwahr erstaunlich, wie schnell aus übertriebener Tiefstapelei bei den Kickers nun zur Schau getragenes Selbstvertrauen wurde. Noch vor wenigen Tagen vermied jeder das Wörtchen Aufstieg unter allen Umständen, sprach Schiele noch von "einem einstelligen Tabellenplatz". Nun präsentiert Schiele unerschütterliche Zuversicht und Selbstvertrauen.
"Eine absolut geile Situation" sei es, in der die Kickers nun sind, findet Schiele. Es ist tatsächlich so. Das Tor zu Liga zwei, es steht weit offen. Die Kickers müssen noch hindurch gehen. Und Schiele? Der hat sich mit seiner 148-Minuten-Pressekonferenz noch einmal ein zusätzliches Denkmal in Würzburg gesetzt. So einen Auftritt vergisst man nicht so schnell. Schiele ist mit seinem Werk bei den Kickers nicht fertig, noch nicht. Aber egal, wie die Sache am Samstag ausgeht, die Fragen nach seiner Zukunft werden ihn spätestens dann wieder einholen.
Es wäre eine Tragödie wenn die Kickers, wo sie so nahe dran sind, noch scheitern. Ich drücke die Daumen - wir schaffen den Aufstieg.
Und hoffentlich heißt dann unser Coach weiterhin Michael Schiele.