Herbert Lehmann aus Dresden, Jahrgang 1909, hatte eine Karriere als Einbrecher und Gelegenheitsdieb hinter sich, als er im April 1943 nach Würzburg kam. Zwölfmal war er ab 1926 in Gefängnis und Zuchthaus gesessen, dann geriet er in die Fänge der Nationalsozialisten. Für die war er ein „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“, eine „asoziale Erscheinung“, die „auszumerzen“ war.
Der gelernte Schlosser wurde als „Vorbeugungshäftling“, ohne Aussicht auf Entlassung, seit März 1937 durch die Konzentrationslager Sachsenburg, Sachsenhausen und Buchenwald gereicht. Im April 1939 verlegte man ihn schließlich in das KZ Flossenbürg, das ein Jahr zuvor speziell für „kriminell vorbelastete Häftlinge“ eröffnet worden war. Seine letzte Station wurde das kleine KZ-Außenlager in Würzburg.
Die Häftlinge dieses Lagers dienten der SS als Arbeitskräfte für die Erweiterung des SS-Teillazaretts für Nervenkranke und Hirnverletzte an der Uniklinik Würzburg in der Füchsleinstraße 15.
Initiator des Lagers und „Arbeitgeber“ der Gefangenen war der SS-Obersturmbannführer und Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Würzburg, Dr. Werner Heyde,der davor als Obergutachter und Koordinator der Euthanasie-Aktion T4 für den Massenmord an Heilanstaltsinsassen verantwortlich war.
Untergebracht waren die schwer bewachten Häftlinge bis Herbst 1943 im sogenannten Notgefängnis der Gestapo-Außendienststelle Würzburg in der Friesstraße im Frauenland. Es diente hauptsächlich als Transitgefängnis vor der Einlieferung der Inhaftierten in ein Konzentrationslager.
Herbert Lehmann auf der Flucht
Zu ihrem Arbeitsplatz in der Füchsleinstraße hatten die Gefangenen eine beträchtliche Strecke zu Fuß zurückzulegen. Herbert Lehmann entschloss sich, diesen Umstand zu nutzen.
Als sich die Häftlingsgruppe am Mittwoch, den 18. August 1943 auf dem Weg zur Arbeitsstelle befand, flüchtete er um kurz nach 7 Uhr und machte sich flink über die Weinberge bei Grombühl und vermutlich das Bismarckwäldchen davon.
Er trug die weiß-blau gestreifte Häftlingskleidung und ein schwarzes Hemd. Um nicht aufzufallen, dürfte er sich als erstes seiner Jacke entledigt haben. Zügig muss er sich, vermutlich von einer Wäscheleine, auch eine neue Hose verschafft haben.
Obwohl nach 8.30 Uhr sämtliche Polizeibeamte der Region alarmiert waren, gelang es Lehmann noch, auf die andere Mainseite zu wechseln. Eilig marschierte er weiter in Richtung Karlburg. In der Nähe des Ortes traf er auf zwei Gendarmen. Weil er Zivilkleidung trug, erkannten sie ihn nicht.
Lehmann gab an, in Karlburg einen Mann namens Hinkel besucht zu haben, er müsse nun nach Lohr in die Arbeit. Ein Herr Hinkel war freilich, wie die Überprüfung schnell zeigte, in Karlburg unbekannt. Lehmann wurde nun festgenommen, um in Karlstadt einer näheren Überprüfung unterzogen zu werden.
In den Händen der SS
Am Ortseingang von Karlburg versuchte er zu fliehen, aber die Gendarmen holten ihn sofort ein. Offenbar gab er nun seine Sache verloren, er gestand seine Identität. „Ich habe die Flucht ergriffen und Widerstand geleistet“, soll er ausgesagt haben, „weil ich mir die Freiheit wieder verschaffen wollte.“
Drei SS-Männer holten ihn im Auftrag von Heyde ab. Auf der Rückfahrt hielten sie gegen 18.30 Uhr zwischen Thüngersheim und Veitshöchheim an, angeblich, weil sie austreten mussten. Später gaben sie an, Lehmann habe dem Oberscharführer B. beim Verlassen des Wagens einen Hieb auf die Brust versetzt und sei über den Straßengraben gesprungen. B. habe nachgesetzt und Lehmann im Laufen mit der Pistole erschossen.
Das Gerichtsmedizinische Institut Würzburg gab als Todesursache „Halswirbelsäulenschussverletzung“ an. Ein Treffer aus dem vollen Lauf heraus genau in die Halswirbelsäule ist allerdings kaum realistisch. Der „Fluchtversuch“ war mit größter Wahrscheinlichkeit nur die gängige Formulierung für die Akten, um den blutigen Vorfall für die Beteiligten zu einem schnellen Abschluss zu bringen.
Da im Raum Würzburg keine Möglichkeit einer schnellen Einäscherung bestand, wurde Lehmanns Leiche am 20. August durch das Städtische Bestattungsamt Würzburg auf dem Heidingsfelder Friedhof in einem anonymen, unbekannten Grab beerdigt. Die Kosten übernahm vorerst die Gestapo-Außendienststelle Würzburg.
Am 8. November 1943 reichte die Gestapo die Rechnung an die Stadt Würzburg weiter, weil der Fürsorgeverband der Stadt Dresden die Kostenübernahme für ihren ehemaligen Bürger abgelehnt hatte. Gut zwei Wochen darauf teilte das Stadtwohlfahrtsamt Dresden mit, es habe dem Städtischen Bestattungsamt die Kosten für Lehmanns Beerdigung erstattet.
Über den Autor: Peter Fasel ist Historiker, er lebt in Würzburg. Schwerpunkte seiner Forschungsarbeiten sind die NS-Zeit und der Antisemitismus.
Das KZ-Außenlager im Frauenland
Das KZ-Außenlager Würzburg war eines von 92 Außenlagern des an der oberpfälzisch-tschechischen Grenze gelegenen KZ Flossenbürg. In Würzburg waren 60 Männer – vor allem Deutsche, Polen und Russen inhaftiert.
Ab April 1943 internierte die SS die Gefangenen zunächst in einem Gefängnis der Gestapo in der Friesstraße (auf dem Gelände der heutigen Franz-Oberthür-Schule), ab Herbst 1943 in der Füchsleinstraße 15, in einem stacheldrahtumzäunten Kellergeschoss der Uni-Nervenklinik.
Die Häftlinge musste Zwangsarbeit leisten, unter anderem beim Ausbau der Nervenklinik und bei der Erweiterung des Waldhauses im Steinbachtal zum SS-Lazarett.
Ein zweiter Tod ist neben der mutmaßlichen Ermordung des Herbert Lehmann im Zusammenhang mit dem KZ-Außenlager dokumentiert. Heinrich Podjaworcek starb am 12. März 1944 in Flossenbürg kurz nach seiner Rücküberstellung aus Würzburg.
Am 22. März 1945 löste die SS das Außenlager Würzburg auf und verlegte die Häftlinge – 50 waren es da noch – zurück ins KZ Flossenbürg. Am 20. April evakuierte die SS Flossenbürg; 5000 Häftlinge starben während des anschließenden Gewaltmarsches nach Dachau. Text: wolf