Knapp zwei Jahre lang betrieb die SS in Würzburg ein Außenlager des KZ Flossenbürg. Vor 70 Jahren, am 17. April 1943, zum ersten Mal erwähnt.
Das KZ Flossenbürg war das vierte große Konzentrationslager im Deutschen Reich, eröffnet am 1. Mai 1938, nach Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald. Jörg Skriebeleit, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenburg, berichtet im 56. Band des Mainfränkischen Jahrbuchs für Geschichte und Kunst, unter den 92 Außenlagern sei des KZ sei Würzburg mit insgesamt 60 Häftlingen aus acht Nationen eines der kleineren gewesen. Zunächst internierte die SS die Gefangenen in einem Gefängnis in der Friesstraße (auf dem Gelände der heutigen Franz-Oberthür-Schule), ab Herbst 1943 dann in der Füchsleinstraße 15, in einem stacheldrahtumzäunten Kellergeschoss der Uni-Nervenklinik.
Initiator des Lagers war der größte Verbrecher, der je ein Bürger Würzburgs war: Werner Heyde, SS-Sturmbannführer und Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Julius-Maximilians-Universität. Er war es, der das „Aktion T4“ genannte „Euthanasie“-Programm der Nazis vorbereitete und die Durchführung organisierte, die Ermordung von mindestens 100 000 geistig oder körperlich behinderten Kindern und Erwachsenen. Ab 1941 war Heyde verantwortlich für den Auf- und Ausbau der neurologischen Abteilung des SS-Teillazaretts in der Füchsleinstraße. Arbeitskräfte waren rar; der mörderische Professor holte sie aus dem beinahe unerschöpflichen Reservoir der KZ-Häftlinge.
Skriebeleit beschreibt das erste Lager in der Friesstraße als Transitgefängnis der Gestapo, betrieben für Gefangene, die in die KZ Flossenbürg, Dachau oder Mauthausen überstellt werden sollten. Es bestand aus vier Baracken, in denen „Schläge, Misshandlungen, Folter und auch die Tötung von Gefangenen“ alltäglich gewesen seien. 350 bis 400 Männer und Frauen wurden hier festgehalten, Heydes Zwangsarbeiter nicht mitgerechnet; mindestens 152 überlebten die Haft nicht.
In den Konzentrationslagern, schreibt Skriebeleit, kollidierte das Lagerregime der SS „mit den fundamentalsten Grundsätzen einer Produktivität von Lagerarbeit“. Der Massenmörder Heyde allerdings war Pragmatiker. Er tat das Nötigste, um die Arbeitskraft der Männer, die seine Klinik bauten, zu erhalten. Ihre Überlebenschancen waren laut Skriebeleit besser als „in vielen anderen Lagern“.
Zwei Todesfälle sind dokumentiert. Ein Häftling, Herbert Lehmann mit Namen, wurde nach seiner Flucht am 18. August 1943 von einem SS-Mann durch einen Genickschuss aus kurzer Entfernung ermordet. Ein zweiter, Heinrich Podjaworcek, starb am 12. März in Flossenbürg, 35-jährig, kurz nach seiner Rücküberstellung aus Würzburg.
Die Todesumstände sind ungeklärt, doch Skriebeleit meint, dieser Fall demonstriere, „dass das Außenlager in Würzburg trotz besserer Lebensbedingungen als in anderen Außenlagern integraler Bestandteil des nationalsozialistischen KZ-Systems“ gewesen sei und „die Häftlinge jederzeit von Misshandlungen, Deportation oder Tod bedroht waren“.
Skriebeleit entschlüsselte die Identität von 41 Häftlingen des Außenlagers Würzburg. Die meisten seien deutsche, polnische und russische politische Gefangene gewesen, zwei Männer wegen ihrer Homosexualität, keine Juden.
Heyde setzte die KZ-Häftlinge unter anderem in Außenbereich des Klinikums ein, für die Erweiterung einer Mauer, für Ausschachtungsarbeiten, den Bau einer Lazarettbaracke im Hof für das Ausheben von Unterständen als Schutz vor Luftangriffen. Die Männer arbeiteten nicht nur in Grombühl. Im Steinbachtal, berichtet Skriebeleit, erweiterte die Waffen-SS das Waldhaus um Lazaretträume; das SS-Führungsamt habe dem Eigentümer, dem Verschönerungsverein, eine Pacht dafür gezahlt. Das ist allerdings nicht der Verschönerungsverein Würzburg (VVW) gewesen, wie wir ihn heute kennen. Max Domarus berichtet in „Hundert Jahre Verschönerungsverein Würzburg“, erschienen 1974, der VVW sei 1934 mit 17 weiteren Vereinen zwangsvereinigt worden, zum „Verein für Verschönerung und Gartenkultur Würzburg“. Erst im März 1946 wurde der VVW in seiner bekannten Eigenständigkeit wiederbelebt.
Skriebeleit untersucht, wie viel die Würzburger vom KZ-Außenlager wussten: Das Transitgefängnis in der Friesstraße sei im Würzburger Stadtbild präsent gewesen, der Häftlingsbereich im SS-Lazarett in Grombühl dagegen nicht. Bei den Märschen zu den Arbeitseinsätzen allerdings – erst von der Friesstraße im Frauenland in die Füchsleinstraße, dann von der Füchsleinstraße ins Steinbachtal – seien die KZ-Häftlinge, gekleidet in blau-weiß gestreiftem Lagerdrillich, kaum unbemerkt geblieben.
Skriebeleit berichtet, dokumentiert sei der Fall einer 23-jährigen Würzburgerin, die denunziert wurde, nachdem sie einem Gefangenen Zigaretten und Briefpapier zugesteckt hatte. Die Gestapo nahm sie für drei Wochen in Schutzhaft und drohte mit KZ, falls sie noch einmal Kontakt mit einem Häftling aufnähme.
Am 16. März 1945 traf die Bomber Group Nr. 5 der Royal Air Force auch die Nervenklinik in der Füchsleinstraße und die Unterkünfte der KZ-Häftlinge- In den folgenden Tagen wurden sie zum Bombenräumen und Leichenbergen eingesetzt. Am 22. März 1945 löste die SS das Außenlager Würzburg auf und verfrachtete die Häftlinge – 50 waren es da noch – zurück ins KZ Flossenbürg. Am 20. April evakuierte die SS Flossenbürg; 5000 Häftlinge starben während des Gewaltmarsches nach Dachau.
Im Mai 1945 internierte die britische Armee Werner Heyde, den Initiator und Profiteur der KZ-Außenstelle, im Juli 1947 flüchtete, ab 1949 verfasste er unter dem Namen Fritz Sawade in Flensburg binnen zehn Jahren rund 7000 nervenärztliche Gutachten. 1959 stellte er sich, nachdem ein Kollege seine Identität aufgedeckt hatte, der Polizei. 1964 nahm er sich in Untersuchungshaft im Zuchthaus Butzbach das Leben.
Nichts erinnert heute auf dem Areal der Nervenklinik an das KZ-Außenlager. Keiner der Lager-Verantwortlichen und -Wärter wurde je zur Rechenschaft gezogen.