
Nach fünf Tagen Verhandlung im Prozess um versuchten Mord ging das Landgericht Würzburg an diesem Dienstag auf Nummer sicher: Auch wenn der Beschuldigte vor Gericht einen völlig normalen Eindruck gemacht hatte, schien den Richtern die Gefahr zu groß, dass er erneut andere in Lebensgefahr bringen könnte. Ein Gutachten hatte dem Angeklagten eine wahnhafte Erkrankung attestiert - deshalb schicken die Richter den 39-Jährigen nach heftigem Ringen mit den Verteidigern Jan Paulsen und Norman Jacob unbefristet zur Behandlung in ein psychiatrisches Krankenhaus.
Offenbar im Wahn gehandelt
Der Mann aus dem Landkreis Würzburg war im vergangenen September bei einem nächtlichen Einbruch im Haus von Tante und Onkel in Ochsenfurt erwischt worden - und hatte brutal mit einer Brechstange auf seine Verwandten eingeschlagen. Seine Flucht mit einem geliehenen Auto endete nach wenigen Kilometern im Straßengraben. Blutspuren und das Einbruchswerkzeug ließen den Ermittlern keinen Zweifel, dass der Neffe der Täter war.
Der Beschuldigte handelte laut Anklageschrift im Glauben, alle Welt wolle ihn um sein Erbe betrügen - ein Behauptung, für die keinerlei Indizien gefunden wurden. Schnell stand deshalb die Schuldfähigkeit des Mannes im Mittelpunkt, der 14 Tage vor dem Einbruch bereits seine Steuerberaterin in Kitzingen brutal misshandelt hatte: Hatte er sich nur kurzfristig in einen Wahn hineingesteigert, der inzwischen vorüber ist? Oder liegt den Taten eine tiefer liegende Schizophrenie zugrunde, die den Mann für seine Umwelt gefährlich bleiben lässt?
In der Verhandlung höflich und freundlich
Das Verhalten des Angeklagten vor Gericht ließ nicht auf eine geistige Erkrankung schließen: Der 39-Jährige zeigte sich sanftmütig, freundlich und entsetzt über sein Verhalten. War die Trauer um den Tod seines Vaters für ihn schlicht nicht leicht zu bewältigen gewesen und der Auslöser? Wie gravierend die Folgen indes für die Opfer sind, zeigte das Gericht deutlich auf.
Die körperlichen Unterschiede wurden in der Verhandlung augenfällig: Auf der Anklagebank der muskelbepackte, breitschultrige Neffe, hinter ihm seine zierliche, deutlich kleinere 77-jährige Tante. Die früher erfolgreiche Seniorensportlerin kann nach den Schlägen selbst nach knapp einem Jahr nur mit Gehstöcken wieder laufen.
Opfer fürchtet Freilassung: "Dann bringt er mich um"
Mit Sorge verfolgte die 77-Jährige die Wendung, die die Verhandlung nahm: "Die wollen nur, dass er schnell wieder rauskommt", kommentierte das Opfer das Vorgehen der beiden Verteidiger ihres Neffen. "Und dann bringt er mich um, das ist meine Angst."
Von einer Schuldunfähigkeit des 39-Jährigen zur Tatzeit geht das Gutachten des Sachverständigen Professor Hans-Peter Volz aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass Symptome einer paranoiden Schizophrenie wiederkehren, schätzt der Gutachter auf 80 Prozent.
Revision gegen das Urteil möglich
Um die Deutung dieser Prognose rangen die Verteidiger mit dem Gericht bis zum Schluss. Sie hofften auf eine Unterbringung in der Psychiatrie zur Bewährung. Heftigen Widerspruch dagegen erhoben Staatsanwältin Catrin Pabst und Nebenklageanwältin Aline Möhmken.
"Wir haben lange um die Entscheidung gekämpft", betonte am Ende der Vorsitzende Richter Thomas Schuster, der viel Verständnis für die tragische Situation des Beschuldigten erkennen ließ. Für seine Erkrankung sei der Angeklagte nicht verantwortlich. An der Gefahren-Prognose aber kam das Gericht nicht vorbei. Weil der Gutachter von einer hohen Wahrscheinlichkeit weiterer Gewalttaten ausgeht, muss der Beschuldigte auf unbestimmte Zeit zur Behandlung in die Klinik.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Beschuldigte kann dagegen Revision einlegen.