Es ist früher Freitagabend, die schon starke Frühlingssonne wärmt den Asphalt, Menschen laufen barfuß herum. Das Wetter zieht die Menschen nach draußen, auf dem Landesgartenschau-Gelände laufen sie Spazieren, fahren Fahrrad oder machen Sport. Auf einer tiefen Mauer sitzen zwei Männer, sie unterhalten sich, lachen laut. Es sind Jem Lachmann und Thomas Bagdas: Tänzer aus Leidenschaft und innige Freunde. Sie gehören zur Streetdance-Szene in Würzburg, wann immer sie Zeit haben, tanzen sie. Egal wo. So auch an diesem Tag. Mit dynamischen Schwung und Kraft springt Lachmann ab, macht einen Salto, lächelt dabei noch in die Kamera und landet soft wieder auf dem Boden.
Durch TV-Sendung zum Breakdance gekommen
"Tanzen ist Leben", sagt Thomas Bagdas - den meisten nur bekannt als "Baggy". Der heute 42-Jährige war 1994 einer der ersten, die Breakdance nach Würzburg brachten. 1992 fing er mit dem Tanzen an. "Ich bin von einem kleinen Dörfchen nach Tauber gezogen", erzählt er. Dort ist er das erste Mal mit Hip Hop im Kontakt gekommen. "Es gab auf einmal Plattenpartys, die Leute haben zu MC Hammer, Vanilla Ice getanzt", erinnert er sich. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er noch gar nicht gewusst, was Hip Hop ist. "Das hat mich einfach begeistert." 1994 hat ihn dann die TV-Sendung "Freestyle" zum Breakdance geführt. Die Breakdance-Legende, wie Bagdas ihn nennt, Niels "Storm" Robitzky moderierte die Sendung und zeigte dabei einige Breakdance-Schritte. "Da wusste ich sofort, das möchte ich lernen." Also schob er den Wohnzimmertisch beiseite und versuchte die Tanzelemente zu imitieren.
Etwa 1996 war er zum ersten Mal im B-Hof in Würzburg, um dort zu trainieren. Nach und nach seien die Leute dort auf ihn zugekommen und wollten das gleiche machen. Ab 1998 hat Bagdas dann offiziell Workshops gegeben. Seitdem ist die Szene stark gewachsen.
Respekt als wichtigstes Stichwort der Breakdance-Szene
Breakdance ist eine Tanzform, die in den 70er Jahren in New York entstanden ist. Um Konflikte und Probleme zwischen verfeindeten Gangs und Gruppierungen zu lösen, suchte man nach einer Möglichkeit, diese auf einer gewaltfreien Ebene auszutragen - den sogenannten Battles. Respekt ist eines der wichtigsten Stichworte in der Szene, die frei von jeglichen Vorurteilen ist. Alter, Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft spielen keine Rolle.
Genau diesen Respekt leben auch "Baggy" und Jem Lachmann. 2009 haben sie sich beim Dancecamp in Arnstein (Lkrs. Main-Spessart) kennen gelernt. "Baggy" war Lachmanns Breakdancelehrer. "Das Tanzen hat uns zusammengeführt und die Freundschaft hält uns nun zusammen", sagt Bagdas und lächelt. Beide beschreiben das Tanzen als einen Halt im Leben, als Leidenschaft und als Liebe. "Wenn ich aggressiv oder schlecht gelaunt bin, dann tanze ich einfach los", erzählt Lachmann, der seit seinem achten Lebensjahr tanzt. 2004 ist er mit seiner Familie von Thailand nach Deutschland ausgewandert. Durch seinen damaligen Konrektor, der Tanzprojekte geleitet hat, ist er zum ersten Mal mit dem Tanzen in Berührung gekommen. "Ich höre die Musik und plötzlich kommen die Bewegungen, ich denke gar nicht nach", beschreibt er das Gefühl.
Im Gegensatz zu Großstädten habe Würzburg zwar nur eine kleinere Breakdance Szene, "aber da sind ganz große Talente dabei." Getroffen wird sich - wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht - in Jugendzentren, auf dem Landesgartenschau-Gelände, oder wo sonst Platz ist, sich zu bewegen. Teilweise würden die Tänzer eine Stunde Fahrt auf sich nehmen, nur um zusammen zu sein, berichtet Lachmann. "Wir alle sind wie eine Familie. Und behandeln uns auch so."
Schwerer Schicksalsschlag zwang "Baggy" zur Tanz-Pause
Bis zum Beginn der Corona-Pandemie tanzte er jeden Tag. Wie auch Bagdas in seiner Jugend täglich neue Tanzelemente ausprobierte - bis ihn ein schwerer Schicksalsschlag zu einer zweijährigen Pause zwang. "Bis heute weiß man nicht genau, was passiert ist", erinnert er sich. "Aber ich konnte auf einmal meine Beine nicht mehr bewegen." Die Ärzte vermuteten zuerst einen Bandscheibenvorfall, später dann Borreliose. Eine eindeutige Diagnose hat er jedoch nie erhalten.
Über ein Jahr lang musste Bagdas im Rollstuhl sitzen. Die Prognose der Ärzte? Ernüchternd. "Sie meinten, dass ich nie wieder laufen werde", so der Tänzer. Dieser Satz sei das Schlimmste gewesen, was er je gehört habe. Doch Wunder geschehen und auf einmal ging es ihm besser. "Baggy" hat sich zurück ins Leben gekämpft, konnte irgendwann wieder laufen... und tanzen. "Rückwirkend betrachtet war es das Beste, was mir hätte passieren können, denn ich habe gelernt, das Leben zu schätzen", erzählt er. Dieser Schicksalsschlag habe sein Leben verändert. "Ich hatte nicht mehr den Willen, der Beste zu sein", sagt er. "Sondern meine Erfahrungen und meine Werte an die Kids und Jugendlichen weiterzugeben."
Seitdem gibt er Unterricht. Seine Intention ist, den Teilnehmern seiner Kurse eine "sinnvolle Beschäftigung" zu geben. Bis vor Kurzem war er pädagogischer Leiter zweier Jugendzentren in Würzburg. Jedem, so sagt er, auch den sozial Schwächeren, sollte die Möglichkeit gegeben werden, zu Tanzen. Im September 2020 kündigte "Baggy" seinen Job und erfüllte sich einen Lebenstraum: Er kaufte eine eigene Tanzschule. Nun wartet er auf gelockerte Corona-Maßnahmen, sodass er eröffnen darf. Sein Freund Jem wird "selbstverständlich" auch dabei sein.