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Würzburg
Sterben in Corona-Zeiten: Dem Abschied fehlen Nähe und Trost
Auch am Sterbebett bestimmt Covid-19 die Regeln. Palliativmediziner Maximilian Mölleney beschreibt die Probleme und wie der Abschied dennoch möglichst gut gelingen kann.
Die 'Atmosphäre der Unsicherheit' mache es 'unheimlich schwierig für Sterbende voll da zu sein', sagt  Palliativmediziner Maximilian Mölleney von der Uniklinik Würzburg.
Foto: Patty Varasano | Die "Atmosphäre der Unsicherheit" mache es "unheimlich schwierig für Sterbende voll da zu sein", sagt  Palliativmediziner Maximilian Mölleney von der Uniklinik Würzburg.
Ivo Knahn
Ivo Knahn
 |  aktualisiert: 09.02.2024 06:07 Uhr

Als Maximilian Mölleney acht Jahre alt war, starb seine Mutter an Brustkrebs. Seine Familie war mit dem Tod überfordert. Seither beschäftigt Mölleney das Thema Abschiednehmen. Als Facharzt für Anästhesie begleitet der 33-Jährige auf der Palliativstation der Uniklinik Würzburg Sterbende und Angehörige. Die Pandemie, sagt der Mediziner, mache eine an sich schon belastende Situation noch extremer. Doch er sieht auch Lichtblicke - und hat Empfehlungen für Angehörige.      

Zwei meiner Kollegen haben in den vergangenen Wochen einen Elternteil verloren. Beide konnten wegen der Corona-Einschränkungen Vater beziehungsweise Mutter nicht rechtzeitig im Krankenhaus besuchen, um Abschied zu nehmen. Wie erleben Sie die Situation auf der Palliativstation?

Maximilian Mölleney: Unabhängig  von Corona ist der Verlauf der Sterbephase, also der Verlauf in den letzten drei bis sieben Tagen des Lebens, schwer einzuschätzen. Es gibt eine Reihe von Anzeichen, wann dieser Prozess begonnen hat. Aber es kommt immer wieder vor, dass man Angehörige informiert, sie mögen sich auf den Weg machen, weil alles dafür spricht, dass es zu Ende geht. Manchmal kommen sie dann und es ist zu spät. Manchmal sitzen sie am Sterbebett, bis sie fast zusammenbrechen, und der Patient lebt noch einige Tage. Diese Problematik gibt es nicht nur während der Pandemie.

Wie hat Corona das Sterben verändert? 

Mölleney: Die Situation des Sterbens ist an sich für alle Beteiligten schwierig. Zusätzlich verunsichern und stören die Corona-Regeln. Wir lassen für jeden Patienten eine Person pro Tag als Besuch zu, die so lange bleiben darf, wie sie will. Das ist in der aktuellen Lage eine sehr offene Regelung. Alle Besucher müssen sich anmelden, müssen Masken tragen. Viele müssen weinen, die Masken werden feucht. Wir müssen drauf hinweisen, dass die Masken regelmäßig gewechselt werden müssen. Wir lüften intensiv, wir machen Corona-Tests bei den Patienten und halten Abstand. Besucher dürfen am Bett sitzen, Hand halten, streicheln. Berührung ist unheimlich wichtig. In der Endphase wird individuell entschieden, da lassen wir manchmal auch mehrere Besucher gleichzeitig zu.

Eine Leserin hat uns geschildert, dass sie ihre Mutter im Sterben mehr oder weniger komplett alleine lassen musste.  

Mölleney: Ich kann mir gut vorstellen, dass andere Einrichtungen das strenger handhaben, um sich abzusichern. Auch wir waren nicht von Anfang an so offen. Wir haben uns dorthin entwickelt und es kann jederzeit passieren, dass wir die Regeln verschärfen müssen. Aber wir wollen es so offen wie möglich gestalten. Wir instruieren die Besucher intensiv und weisen darauf hin, dass Lüften und der Abstand von Mund zu Mund entscheidend sind und dass eben unbedingt Maske getragen werden muss. Wir versuchen so wenig wie möglich in die Pietät einzugreifen. 

Tragen die Sterbenden Maske? 

Mölleney: Nein. Viele Sterbende haben stark mit Luftnot zu kämpfen. Die Maske wäre da falsch.

"Es geht durch Maske und Abstand so viel Initimität verloren und so viel, was man an tröstenden Momenten geben kann."
Palliativmediziner Maximilian Mölleney
Muss man einen Sterbenden denn noch vor Corona schützen?

Mölleney: In einer akuten Sterbephase sicher weniger, als wenn er noch Wochen oder Monate zu leben hat. Doch Patienten können natürlich Infektionsquellen für andere werden. Aber die Maske, die ein Angehöriger oder jemand aus unserem Team trägt, sorgt dafür, dass das Sterben anders ist. Es geht durch Maske und Abstand so viel Nähe verloren und so viel, was man an tröstenden Momenten geben kann. Aber was ist die Alternative?

Beim Sterben ist eine ganze Reihe von Menschen beteiligt: der Sterbende, Angehörige, Klinikpersonal oder auch Hospizbegleiter.

Mölleney: Hospizhelfer sind während der Pandemie im Klinikum leider außen vor, weil sie zusätzliche Risikofaktoren auf der Station wären und oft selbst altersbedingt zur Risikogruppe gehören. Sie sind Gold wert für diejenigen, die keine Freunde oder Angehörigen mehr haben und in einer unbeschreiblichen Einsamkeit sterben würden. Dadurch, dass wir maximal sechs Patienten auf der Station haben, können wir mit dem Pflegeteam das ganz gut auffangen. Aber die Pflegenden sagen, dass der Intimitätsverlust riesig ist. Die digitale Kommunikation bei Besprechungen, die Kommunikation mit Maske, die Abstände - da gehen Informationen und Emotionen verloren und jeder ist auch als Pflegender einsamer. Persönliche Gespräche zwischen Tür und Angel sind unheimlich wichtig in einem Umfeld, das einen so mit Extremen konfrontiert. Die Teamkommunikation ist durch Corona stark geschädigt. Insgesamt herrscht eine Atmosphäre der Unsicherheit. Das macht es unheimlich schwierig für Sterbende voll da zu sein.

"Ich habe den Eindruck, dass Corona verhindert, dass man sich voll und ganz auf das Sterben konzentrieren kann."
Maximilian Mölleney
Wie ist die Situation für die Sterbenden?

Mölleney: Da kann man am wenigsten sagen. Ab dem Moment, wo der Patient nicht mehr kommunizieren kann, weiß ich nicht, was in ihm passiert. Wir nehmen an, dass er viel mitkriegt, aber das ist etwas sehr Intimes. Am schwierigsten ist die Situation für die Angehörigen. Da kommt so viel zusammen! Oft sind es ältere Menschen, die voller Angst sind, sich selbst anzustecken. Sie haben Angst, ihrem Angehörigen zu schaden. Sie kennen die Regeln nicht. Daher sind sie auch unglaublich dankbar, wenn wir individuell reagieren. Aber es gibt oft eh eine Angst vor dem Abschiednehmen. Zu dieser Angst mischt sich jetzt die Angst im Kontext Corona. Ich habe den Eindruck, dass Corona verhindert, dass man sich voll und ganz auf das Sterben konzentrieren kann. 

Sie haben recht flexible Regelungen auf der Palliativstation beschrieben. Inwieweit sind die übertragbar auf andere Einrichtungen?

Mölleney: Das ist schwierig, weil die Strukturen so unterschiedlich sind.  Ich suche mal einen anderen Lösungsansatz: Ich glaube, dass ein prinzipielles Problem ist, dass Angehörige zu wenig aufgeklärt sind über Vorsorgedokumente. Zum Beispiel über eine Vorsorgevollmacht, in der geregelt ist, dass jemand den Patientenwillen vertritt, sobald er es selbst nicht mehr kann. Wenn so etwas vorliegt, ist vieles einfacher. Diese Vollmacht ist am Ende wichtiger als eine Patientenverfügung. Ich empfehle jedem, sich da rechtzeitig beraten zu lassen, zum Beispiel vom Hausarzt. Was ebenfalls helfen kann, die Situation zu verbessern: visuelle Telefonie zwischen Angehörigen und Patienten, solange sie noch ansprechbar sind. Eine dritte Möglichkeit kann es sein, Angehörige stationär mit aufzunehmen.

Wie gehen Sie selbst mit den Belastungen um?

Mölleney: Mir fällt es schwer, dass weniger Tröstendes möglich ist. Ich habe Angehörige, die völlig aufgelöst sind, schon umarmt. Den Reflex hatte ich auch in Pandemiezeiten. Aber ich muss mich bremsen, das stört mich. Ein Ausgleich für mich ist Schreiben. Freitags gedenken wir im Team in einer Schweigeminute den Toten unserer Station. Es hat sich etabliert, dass ich da ein Gedicht von mir vorlese. Das befreit mich. Ich gestehe mir auch zu, dass ich weinen darf. Was Sie verwundern wird: Wir lachen viel - auch mit den Patienten. Dennoch wird man durch den Tod auch mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. Aber das ist am Ende belebend: Ich gehe aus der Klink raus, nehme die Maske ab und spüre, dass ich atmen kann. Das ist nicht selbstverständlich und das macht mich dankbar.

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Palliativmedizin an der Uniklink Würzburg

Im interdisziplinären Zentrum Palliativmedizin der Uniklink gibt es sechs Patientenbetten. Im vergangenen Jahr wurden laut Maximilian Mölleney etwa 230 Patienten behandelt, etwa 50 bis 60 Prozent von ihnen sterben auf der Station. Corona-Patienten werden nicht auf der Station behandelt. Die Patienten werden regelmäßig auf Corona untersucht und bei einem positiven Test möglichst auch dort weiter behandelt.
Quelle: ikn
 
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Kommentare
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  • marent1@hotmail.de
    welch beeindruckendes , intensives Interview, vielen Dank dafür. Auch ich musste die bittere Erfahrung machen, in der Corona -Zeit jemanden zu verlieren und das Bestattungsinstitut hat verweigert nochmal Abschied nehmen zu dürfen. Das ist fatal und setzt uns zu. Liebe Ärzte, liebes Pflegepersonal, liebes Journalistenteam, bitte hakt dort auch noch einmal nach. Abschied nehmen ist so wichtig, um den Tod auch buchstäblich "zu begreifen". Danke
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