Als Maximilian Mölleney acht Jahre alt war, starb seine Mutter an Brustkrebs. Seine Familie war mit dem Tod überfordert. Seither beschäftigt Mölleney das Thema Abschiednehmen. Als Facharzt für Anästhesie begleitet der 33-Jährige auf der Palliativstation der Uniklinik Würzburg Sterbende und Angehörige. Die Pandemie, sagt der Mediziner, mache eine an sich schon belastende Situation noch extremer. Doch er sieht auch Lichtblicke - und hat Empfehlungen für Angehörige.
Maximilian Mölleney: Unabhängig von Corona ist der Verlauf der Sterbephase, also der Verlauf in den letzten drei bis sieben Tagen des Lebens, schwer einzuschätzen. Es gibt eine Reihe von Anzeichen, wann dieser Prozess begonnen hat. Aber es kommt immer wieder vor, dass man Angehörige informiert, sie mögen sich auf den Weg machen, weil alles dafür spricht, dass es zu Ende geht. Manchmal kommen sie dann und es ist zu spät. Manchmal sitzen sie am Sterbebett, bis sie fast zusammenbrechen, und der Patient lebt noch einige Tage. Diese Problematik gibt es nicht nur während der Pandemie.
Mölleney: Die Situation des Sterbens ist an sich für alle Beteiligten schwierig. Zusätzlich verunsichern und stören die Corona-Regeln. Wir lassen für jeden Patienten eine Person pro Tag als Besuch zu, die so lange bleiben darf, wie sie will. Das ist in der aktuellen Lage eine sehr offene Regelung. Alle Besucher müssen sich anmelden, müssen Masken tragen. Viele müssen weinen, die Masken werden feucht. Wir müssen drauf hinweisen, dass die Masken regelmäßig gewechselt werden müssen. Wir lüften intensiv, wir machen Corona-Tests bei den Patienten und halten Abstand. Besucher dürfen am Bett sitzen, Hand halten, streicheln. Berührung ist unheimlich wichtig. In der Endphase wird individuell entschieden, da lassen wir manchmal auch mehrere Besucher gleichzeitig zu.
Mölleney: Ich kann mir gut vorstellen, dass andere Einrichtungen das strenger handhaben, um sich abzusichern. Auch wir waren nicht von Anfang an so offen. Wir haben uns dorthin entwickelt und es kann jederzeit passieren, dass wir die Regeln verschärfen müssen. Aber wir wollen es so offen wie möglich gestalten. Wir instruieren die Besucher intensiv und weisen darauf hin, dass Lüften und der Abstand von Mund zu Mund entscheidend sind und dass eben unbedingt Maske getragen werden muss. Wir versuchen so wenig wie möglich in die Pietät einzugreifen.
Mölleney: Nein. Viele Sterbende haben stark mit Luftnot zu kämpfen. Die Maske wäre da falsch.
Mölleney: In einer akuten Sterbephase sicher weniger, als wenn er noch Wochen oder Monate zu leben hat. Doch Patienten können natürlich Infektionsquellen für andere werden. Aber die Maske, die ein Angehöriger oder jemand aus unserem Team trägt, sorgt dafür, dass das Sterben anders ist. Es geht durch Maske und Abstand so viel Nähe verloren und so viel, was man an tröstenden Momenten geben kann. Aber was ist die Alternative?
Mölleney: Hospizhelfer sind während der Pandemie im Klinikum leider außen vor, weil sie zusätzliche Risikofaktoren auf der Station wären und oft selbst altersbedingt zur Risikogruppe gehören. Sie sind Gold wert für diejenigen, die keine Freunde oder Angehörigen mehr haben und in einer unbeschreiblichen Einsamkeit sterben würden. Dadurch, dass wir maximal sechs Patienten auf der Station haben, können wir mit dem Pflegeteam das ganz gut auffangen. Aber die Pflegenden sagen, dass der Intimitätsverlust riesig ist. Die digitale Kommunikation bei Besprechungen, die Kommunikation mit Maske, die Abstände - da gehen Informationen und Emotionen verloren und jeder ist auch als Pflegender einsamer. Persönliche Gespräche zwischen Tür und Angel sind unheimlich wichtig in einem Umfeld, das einen so mit Extremen konfrontiert. Die Teamkommunikation ist durch Corona stark geschädigt. Insgesamt herrscht eine Atmosphäre der Unsicherheit. Das macht es unheimlich schwierig für Sterbende voll da zu sein.
Mölleney: Da kann man am wenigsten sagen. Ab dem Moment, wo der Patient nicht mehr kommunizieren kann, weiß ich nicht, was in ihm passiert. Wir nehmen an, dass er viel mitkriegt, aber das ist etwas sehr Intimes. Am schwierigsten ist die Situation für die Angehörigen. Da kommt so viel zusammen! Oft sind es ältere Menschen, die voller Angst sind, sich selbst anzustecken. Sie haben Angst, ihrem Angehörigen zu schaden. Sie kennen die Regeln nicht. Daher sind sie auch unglaublich dankbar, wenn wir individuell reagieren. Aber es gibt oft eh eine Angst vor dem Abschiednehmen. Zu dieser Angst mischt sich jetzt die Angst im Kontext Corona. Ich habe den Eindruck, dass Corona verhindert, dass man sich voll und ganz auf das Sterben konzentrieren kann.
Mölleney: Das ist schwierig, weil die Strukturen so unterschiedlich sind. Ich suche mal einen anderen Lösungsansatz: Ich glaube, dass ein prinzipielles Problem ist, dass Angehörige zu wenig aufgeklärt sind über Vorsorgedokumente. Zum Beispiel über eine Vorsorgevollmacht, in der geregelt ist, dass jemand den Patientenwillen vertritt, sobald er es selbst nicht mehr kann. Wenn so etwas vorliegt, ist vieles einfacher. Diese Vollmacht ist am Ende wichtiger als eine Patientenverfügung. Ich empfehle jedem, sich da rechtzeitig beraten zu lassen, zum Beispiel vom Hausarzt. Was ebenfalls helfen kann, die Situation zu verbessern: visuelle Telefonie zwischen Angehörigen und Patienten, solange sie noch ansprechbar sind. Eine dritte Möglichkeit kann es sein, Angehörige stationär mit aufzunehmen.
Mölleney: Mir fällt es schwer, dass weniger Tröstendes möglich ist. Ich habe Angehörige, die völlig aufgelöst sind, schon umarmt. Den Reflex hatte ich auch in Pandemiezeiten. Aber ich muss mich bremsen, das stört mich. Ein Ausgleich für mich ist Schreiben. Freitags gedenken wir im Team in einer Schweigeminute den Toten unserer Station. Es hat sich etabliert, dass ich da ein Gedicht von mir vorlese. Das befreit mich. Ich gestehe mir auch zu, dass ich weinen darf. Was Sie verwundern wird: Wir lachen viel - auch mit den Patienten. Dennoch wird man durch den Tod auch mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. Aber das ist am Ende belebend: Ich gehe aus der Klink raus, nehme die Maske ab und spüre, dass ich atmen kann. Das ist nicht selbstverständlich und das macht mich dankbar.