Vor einem halben Jahr hat Ingrid Schneider-Heise ihre Mutter beerdigt. Sie trauert um die 94-Jährige, die während der Corona-Pandemie in einem Pflegeheim im Landkreis Rhön-Grabfeld gestorben ist. An Altersschwäche. Schneider-Heise hat ihren Frieden mit dem Tod der Mutter gemacht. Sie sagt, er sei eine Erlösung gewesen. Doch an der Tochter nagt ein Schmerz: Ihre Mutter, da ist sie sich sicher, musste ihren letzten Lebensweg einsam gehen.
Den Grund dafür verortet sie in den Maßnahmen, die alle Pflegeheime seit Beginn der Corona-Pandemie eingeführt haben, um die Bewohner vor der Ansteckung durch das Coronavirus zu schützen. Corona zwingt Heime und Angehörige zu einem Balanceakt zwischen "schützen" und "da sein". Schneider-Heise hat den Eindruck, dass bei diesen Schutzvorkehrungen bisweilen vergessen wird, wie wichtig soziale Kontakte für Menschen am Lebensende sind.
Sie weiß, wie wichtig Abschied nehmen ist
Die 68-Jährige weiß, wovon sie spricht. Die pensionierte Krankenschwester hat jahrelang auf einer Krebsstation gearbeitet und viele Patienten beim Sterben begleitet. Sie hat erlebt, wie wichtig es für den Sterbenden ist und für die Menschen, die ihm nahe stehen, Abschied zu nehmen, Zeit miteinander zu verbringen und die letzten Dinge zu klären. Diese Chance wurde der betagten Mutter genommen, ihren Kindern und auch den Enkeln.
Vor Corona haben Ingrid Schneider-Heise und ihr Bruder ihre Mutter regelmäßig besucht, jeder zwei- bis dreimal die Woche. Kontakt zu der alten Dame aufzunehmen, war ein schwieriges Unterfangen. Maria Schnaus hörte kaum noch etwas, war fast blind und hat im letzten Jahr ihres Lebens überhaupt nicht mehr gesprochen. Da blieb eigentlich nur noch der Körperkontakt. "Wenn wir ihre Hand gehalten oder sie gestreichelt haben, hatten wir schon das Gefühl, dass sie weiß, wir sind da", erinnert sich Schneider-Heise.
Zwei Meter Abstand zur tauben und blinden Mutter
Das änderte sich mit Corona und mit den Besuchsbeschränkungen, die nötig wurden, um die Bewohner von Pflegeheimen vor dem tödlichen Virus zu schützen. Jetzt waren die Besuchsmöglichkeiten drastisch eingeschränkt. Besuche waren nur nach Voranmeldung möglich, im Frühjahr draußen im Garten des Heims, mit gebührendem Abstand und nie lange genug.
"Es kann sich keiner vorstellen, wie frustrierend es ist, in zwei Metern Abstand vor der eigenen Mutter zu stehen, ihr etwas zuzurufen und nicht zu wissen, ob sie es überhaupt verstanden und ob sie mich erkannt hat. Schließlich war sie fast taub und blind und ich trug einen Mundschutz", schildert Schneider-Heise. Die Mutter in den Arm zu nehmen, sie zu halten oder zu streicheln, nichts war möglich.
Ein System, das nur Verlierer zurücklässt
Als sich abzeichnete, dass Maria Schnaus bald sterben würde, durften Ingrid Schneider-Heise und ihr Bruder die Mutter öfters besuchen. Eine halbe Stunde am Tag. Die Besuchsatmosphäre empfand die 68-Jährige als sehr bedrückend. Nach dem Klingeln wurden sie durch einen Seiteneingang ins Gebäude gelassen, desinfizierten unter Aufsicht ihre Hände, legten Schutzkleidung, Handschuhe und Masken an und wurden dann über einen menschenleeren Flur in das Zimmer ihrer Mutter geleitet.
Über Ingrid Schneider-Heises Lippen kommt kein Wort des Vorwurfs gegen die Pflegerinnen und Pfleger, die ihre Mutter begleitet und betreut haben. Das System, das die Sterbenden, ihre Angehörigen und das Personal in solche Abläufe zwingt, hält sie aber für äußerst problematisch. Ihrer Meinung nach treibt es die Sterbenden in Isolation und Einsamkeit und nimmt den Angehörigen die Möglichkeit, Abschied zu nehmen. "Sie hat mitbekommen, dass keiner mehr gekommen ist. Das hat ihr Sterben beschleunigt", glaubt Schneider-Heise
Und was macht ein solches Sterben mit den Lebenden? Ingrid Schneider-Heise fragt sich im Nachhinein schon, ob es nicht besser gewesen wäre, die Mutter aus dem Heim zu holen und daheim sterben zu lassen. Oder ob sie nicht nachdrücklich genug gegen die Kontaktbeschränkungen protestiert hat. Das Gefühl, ihre Mutter nicht bestmöglich beim Sterben begleitet zu haben, veränderte ihre Trauer und macht es ihr schwerer, den Verlust zu verarbeiten.
Völlig einsam ist Maria Schnaus nicht gestorben. Ingrid Schneider Heise und ihr Bruder waren gerade bei ihrer Mutter, als sie ihren letzten Atemzug machte. "Sie war im Augenblick des Sterbens nicht allein." Diesen Gedanken findet die Tochter tröstlich, auch wenn sie lieber den ganzen letzten Lebensweg zusammen mit ihrer Mutter gegangen wäre.
Jetzt "Nachzukarten" finde ich unfair. Hoffe, dass die Tochter diesbezüglich Ihren Frieden findet.
Und derzeit haben die Politiker das völlig verdrängt....
Aber im Juli meine ich, war die Situation noch besonders schwierig, da es auch kaum Testmöglichkeiten gab. V. a. auch noch keine Schnelltests.
Zumal die Mutter an Altersschwäche und nicht an/durch/mit corona starb.