Deutsch, türkisch, rumänisch, englisch, arabisch: In diesen fünf Sprachen erscheint der Elternbrief im Kindergarten Maria-Theresia in Ochsenfurt. Die Einrichtung mit zwei Krippen- und vier Kindergartengruppen, die idyllisch innerhalb der Altstadtmauern liegt, ist schon immer Anlaufpunkt für Migrantenfamilien gewesen.
Fragt man Nicole Arweiler nach der größten Herausforderung, die ein Kindergarten mit vielen Kindern mit Migrationshintergrund mit sich bringt, muss sie nicht lange überlegen. „Die größte Herausforderung ist, der Gesellschaft zu zeigen, dass es hier genauso toll ist wie in anderen Kindergärten“, sagt die Leiterin des Maria-Theresia-Kindergartens. „Wir sind eine Einrichtung, in der alle willkommen sind.“
Singend Deutsch lernen
Alle, das sind 92 Kinder aus 13 Nationen – von Italien über Polen bis hin zu Syrien. 57 Prozent der Kinder im Maria-Theresia-Kindergarten haben einen Migrationshintergrund, das heißt, beide Elternteile haben eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche. Auch wenn Nicole Arweiler im Gespräch mit Außenstehenden immer wieder Vorbehalten begegnet: „Der Alltag in unserem ‚Multikulti-Kindergarten‘ unterscheidet sich wenig von dem anderer Einrichtungen - und alle profitieren davon, dass wir kleine Gruppen mit in der Regel unter 18 Kindern haben“, so die 40-Jährige.
In der Sonnenscheingruppe sitzen Alina aus der Ukraine und Jasina aus Syrien (alle Namen der Kinder geändert) einträchtig nebeneinander am Tisch und malen. Während die dreijährige Jasina dabei lebhaft plaudert, hält sich die vierjährige Alina zurück. Sie kam im September neu in die Gruppe und sprach anfangs kein Wort Deutsch. Dann fängt Jasina an zu singen – und Alina stimmt mit ein: „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne!“ Dass sie nicht alle Worte kennt oder richtig ausspricht, ist der Vierjährigen beim Singen egal, hier kann sie ihre Scheu überwinden. „Hol‘ Dir bitte mal ein Taschentuch“, sagt Nicole Arweiler zu Alina und bewegt dabei Daumen und Zeigefinger zur Nase, als würde sie sich schnäuzen. Das Mädchen versteht sofort, was gemeint ist, nickt und greift zu einem Taschentuch.
Hüpfende Kängurus und ein langer Hals
Ein paar Zimmer weiter, in der Regenbogengruppe, freuen sich die Kinder über neue Schleichtiere. Nicole Arweiler lässt ein Känguru auf dem Tisch hüpfen, was der dreijährige Luca aus Italien sofort zum Anlass nimmt, durch den Raum zu springen. Arweiler fasst die Situation in Worte: „Das Känguru hüpft – und du hüpfst auch!“ Luca strahlt und wiederholt das Gehörte. Hat er sich eben die Worte „Känguru“ und „hüpfen“ eingeprägt, so bleibt vom anschließenden Spielen mit der Giraffe das Wort „Hals“ hängen. Spricht ein Kind kein oder wenig Deutsch, läuft ein Großteil der Verständigung über Mimik und Gestik: „Es gibt viel mehr Möglichkeiten, sich zu verständigen, als rein über die Sprache“, sagt Arweiler.
Was in den Gruppen wie nebenbei passiert, heißt in der Fachsprache „alltagsintegrierte sprachliche Bildung“: Hier erlernen Kinder eine Sprache in Alltagssituationen, die die Erzieher in Worte fassen und mit dem Kind zusammen wiederholen. Diese Art des Sprachenlernens ist einer von drei Schwerpunkten sogenannter Sprach-Kitas – einem Bundesprogramm des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das sich an Kitas richtet, die von einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Kindern mit besonderem sprachlichem Förderbedarf besucht werden.
Kennenlernen an der Weltkarte
Ein zweiter Schwerpunkt der Sprach-Kitas liegt in der Zusammenarbeit mit den Eltern. Wenn diese kein oder wenig Deutsch sprechen, können einfache Anliegen zur Herausforderung werden. Doch Nicole Arweiler und ihre Kolleginnen wissen sich zu helfen. Bei der Kommunikation im Alltag kommen Bildkarten und Symbole zum Einsatz, die wichtigsten Schlagworte für Aushänge werden im Internet gegoogelt. Für den Elternbrief in fünf Sprachen werden Muttersprachler zur Übersetzung herangezogen, zum Elternabend kommt bei Bedarf ein Dolmetscher.
„Wir versuchen außerdem, Anreize zu schaffen, dass die Eltern sich untereinander kennenlernen“, sagt Arweiler – wie etwa eine Weltkarte beim Elternabend, bei der jeder Erwachsene einen Pin in sein Herkunftsland steckt. „Manche haben erst dann festgestellt, dass es im Kindergarten ja noch mehr Familien aus ihrem Land gibt“, so die Kindergartenleiterin. „Erst, wenn sich die Eltern verstanden fühlen, kommt auch ihr Kind bei uns an.“
Was traumatisierte Kinder brauchen
Viel Zeit fürs Ankommen brauchen insbesondere Kinder, die nach Deutschland geflohen sind und während der Flucht Traumatisches erlebt haben. „Den meisten merkt man ihr Trauma an, sie sind sehr in sich gekehrt“, sagt Arweiler. Für diese Kinder seien Rituale wie das gemeinsame Frühstück und der Morgenkreis besonders wichtig, ebenso wie eine feste Bezugsperson. „Einige Kinder sind anfangs verängstigt, nach ein paar Wochen fassen sie langsam Vertrauen“, sagt die pädagogische Fachkraft Ursula Schneider. Sie empfindet ihre Arbeit als persönliche Bereicherung: „Wir können Teil davon sein, Flüchtlingskindern ein Stück Heimat und Geborgenheit zu geben.“
Zwischen den Kindern selbst spielt die Herkunft des Einzelnen kaum eine Rolle, so die Erfahrung von Dietlinde Bimmerlein, Erzieherin in der Vorschulgruppe: „Die Kinder gehen achtsam und bedacht miteinander um. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand ausgeschlossen wird.“ Ihr Fazit: „Die Kinder sind eine Einheit – nach dem Motto: Es ist mir egal, welche Sprache du sprichst, Hauptsache, wir können zusammen spielen.“
Vorkurs für Kinder mit Sprachschwierigkeiten
Da das Thema Sprache auch bei den Vorschülern noch eine große Rolle spielt und Förderbedarf besteht, wird in den Gruppen auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen deutsch- und anderssprachigen Kindern geachtet. „Das ist zum Beispiel im Morgenkreis wichtig, wenn die Kinder erzählen sollen, was sie erlebt haben“, so Arweiler. Um beim Thema Sprache auch die Eltern miteinzubeziehen, bietet der Kindergarten ab November zusammen mit dem neu eröffneten Familienstützpunkt in Ochsenfurt einen Deutsch-Vorkurs an, der sich an Kinder und ihre Eltern gleichermaßen richtet – „ außerdem auch an deutsche Kinder mit Sprachschwierigkeiten“, betont Arweiler.
Es ist normal, dass alle Kinder verschieden sind – diese Tatsache möchten Nicole Arweiler und ihre Kolleginnen durch ihre Arbeit vermitteln. Eltern aus anderen Kulturen, die beim Sommerfest ihr Herkunftsland vorstellen oder mit den Vorschulkindern ein landestypisches Gericht kochen, können helfen, diesen dritten Schwerpunkt von Sprach-Kitas, der sich unter „inklusive Pädagogik“ zusammenfassen lässt, umzusetzen. Dass das Zusammentreffen verschiedener Kulturen die Kinder bereichert, davon ist Nicole Arweiler überzeugt. Und auch sie selbst schätzt ihren Alltag im „Multikulti-Kindergarten“: „Durch die Kinder hier lerne ich immer wieder Neues kennen, das ist faszinierend und schön.“