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MARKTHEIDENFELD
Sprach-Kitas: Chance auf gute Bildung für alle
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Foto: Lucia Lenzen
Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:46 Uhr

„Manchmal sitze ich aber

auch nur mit den Kindern

zusammen und rede.“

Isabel Nickel Sprachfachkraft im Kindergarten

Sie macht keine Lautübungen, keine Atemtechniken, lässt keine Wörter nachsprechen oder korrigiert falsch ausgesprochene: Isabel Nickel ist einfach nur da. Mittendrin, zwischen den Kindern des städtischen Kindergartens Edith-Stein. Sie spielt mit ihnen, liest ihnen vor oder hockt auf dem Bauteppich und unterstützt beim Klötzeturmbau. Dabei spielt die Sprache für sie sehr wohl eine Rolle – eine, die sie kindgerecht, wohldosiert vermittelt.

„Ich bin keine Sprachtherapeutin“, sagt die gelernte Erzieherin. Dafür ist sie seit 2011 etwas anderes: Fachkraft im Bereich sprachliche Bildung heißen die Pädagogen, die seit vier Jahren Kita-Teams in Sachen alltagsintegrierte sprachliche Bildung, inklusive Pädagogik und Zusammenarbeit mit Familien unterstützen. Finanziert werden diese zusätzlichen Stellen vom Bund.

2016 ist das Projekt „Sprach-Kitas“ noch einmal um vier Jahre verlängert worden. Der Kindergarten Edith-Stein ist wieder mit dabei.

Aufwändiges Auswahlverfahren

Ebenso die Marktheidenfelder Kindertagesstätten Baumhofstraße, Kolpingstraße und Lohgraben sowie der Kindergarten Theresienheim in Karlstadt. In einem aufwändigen Auswahlverfahren haben sich die Kindergärten 2011 um das Projekt beworben. Gefördert werden sollen speziell Kinder, deren Familiensprache nicht Deutsch ist sowie Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien.

Von den derzeit 78 Kindern in der Kita Edith-Stein wachsen rund 30 Kinder mehrsprachig auf, erzählt Isabel Nickel. Rund zehn verschiedene Nationalitäten finden sich hier unter den Kindern, darunter auch zwei Flüchtlingskinder. Allerdings beschränkt sich die Förderung in der Kita Edith-Stein nicht nur auf diese. „Alle sollen von Anfang an die Chance auf gute Bildung bekommen – egal ob bildungsbenachteiligt oder hochbegabt“, erklärt die Fachkraft.

Umso früher, umso besser

Und: Umso früher man anfängt, die Kinder zu fördern, desto besser. Deshalb ist sie überwiegend in der Kleinkindgruppe mit den unter Dreijährigen eingesetzt. Zusammen mit Finja, Hanna und Katharina sitzt sie in der Mäusehöhle am Tisch, auf dem ein Bauernhof aufgebaut ist. Während die Kühe, Esel und Gänse auf die Weide und wieder zurück bewegt werden, spricht Isabel Nickel mit den Kindern über ihr Aussehen, ihre Geräusche, Bewegungen und ihre Fress-Vorlieben. „Handlungsbegleitendes Sprechen“ nennt sie das. Wo geht die Kuh hin? Was frisst sie am liebsten? Was macht der Bauer gerade?

Eigene Alltagssprache kontrollieren

Oder sie begleitet die Kinder beim Händewaschen: Jetzt reiben wir die Hände unter dem Wasserstrahl, jetzt trocknen wir sie ab, kommentiert sie, was die Kinder gerade tun.

Dabei geht es auch oft darum, die eigene Alltagssprache zu kontrollieren: „Wie rede ich selbst mit den Kindern? Verwende ich ganze Sätze?“, erklärt sie. So versucht das Kita-Team in Edith-Stein zum Beispiel auch komplett auf Ansagen mit „nicht“ und „muss“ zu verzichten. Sie wirken eher demotivierend. Besser ist es Kindern „korrektives Feedback“ zu geben. Den falschen Satz von „Ich Durst habe“ korrigiert Isabel Nickel zum Beispiel, indem sie dem Kind antwortet: „Ja, du hast Durst.“

Empathie erwünscht

Ein paar Räume weiter in einer Gruppe mit größeren Kindern spielen Lia und Amelie gerade „Halli Galli“. Rasch klinkt sich Isabel Nickel in das Spiel und das Gespräch der beiden ein. „Wir sprechen dann über die Farben der Karten oder die Gesichtsausdrücke der abgebildeten Figuren“, erzählt sie. Sprachlich anspruchsvoller wird es kurze Zeit später in der Leseecke: Anastasia und Jana haben sich das Buch „Der Zungenbrecher“ gewünscht, aus dem Isabel Nickel nun von schaurig schönen Eulen, die scheußlich schaurig heulen und vom Ringellied des Ringelraben vorliest. „Manchmal sitze ich aber auch nur mit den Kindern zusammen und rede“, sagt sie. Denn es geht nicht nur um einen guten Wortschatz, sondern auch darum, Empathie zu entwickeln.

Teamwork, kein Einzelkampf

19,5 Stunden ist Isabel Nickel in der Kita, ebenso wie die anderen drei Fachkräfte für „Sprach-Kitas“ in den weiteren Einrichtungen in Marktheidenfeld. Zusätzlich erhalten die Sprach-Kita-Fachkräfte regelmäßig eine Fachberatung durch eine Sprachberaterin, die die Entwicklung in den Kitas unterstützt. Was sie dort neues erfährt, trägt Isabel Nickel mit in ihre Kita und ins Team. Schließlich sieht sie sich nicht als Einzelkämpferin. „Mein Ansatz war immer, sich die Dinge erst einmal gemeinsam kritisch im Team anzuschauen und dann umzusetzen“, sagt sie. So haben sich die Mitarbeiterinnen zu Beginn des Projekts zunächst einmal die Raumgestaltung vorgeknöpft. „In schön gestalteten Räumen lässt es sich eben viel besser lernen“, beschreibt Isabel Nickel. Spiegel sollten zudem die Selbstwahrnehmung der Kinder fördern.

Eltern werden zu Erziehungspartnern

Aber auch die Elternarbeit ist ein wichtiger Baustein des Projektes. „Eltern werden bei uns als Erziehungspartner gesehen“, so Isabel Nickel. Neben Elterngesprächen gibt es für sie auch themenspezifische Abende, kürzlich zum Beispiel zum Thema „Spiele“.

Wie viel sich bei den Kindern in den letzten vier Jahren in Sachen Sprache verändert hat? „Sprache ist immer individuell“, beschreibt die Fachberaterin. „Es gab und gibt schon immer die kurz angebundenen Kinder und die, aus denen es nur so sprudelt.“

Sprach-Kitas in MSP

Im Landkreis Main-Spessart unterstützt das Bundesfamilienministerium fünf „Sprach-Kitas“: Den Kindergarten Theresienheim in Karlstadt und die vier Marktheidenfelder Kindertagesstätten Edith-Stein, Baumhofstraße, Kolpingstraße und Lohgraben, alle in Trägerschaft der jeweiligen Stadt.

Die Träger erhalten einen Zuschuss zu den Personalausgaben für eine zusätzliche halbe Fachkraftstelle mit herausgehobener, verantwortungsvoller Tätigkeit sowie zu projektbezogenen Sachausgaben in Höhe insgesamt 25 000 Euro pro Jahr und Kindertagesstätte.

Von 2016 bis 2019 stellt der Bund jährlich bis zu 100 Millionen Euro für die Umsetzung des Programms zur Verfügung. Damit können bis zu 4000 zusätzliche halbe Fachkraftstellen in den Kitas und in der Fachberatung geschaffen werden. luc

 
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