Der Weg ist das Ziel. Und der Weg, gemeint ist hier die Scholle vor meinen Füßen, ist trocken, sehr trocken sogar. Das Ziel ist der andere Rand des großen Wirsing-Beetes. Obwohl, ein erkennbares Wirsing-Beet wird es erst sein, wenn ich durch bin mit dieser Reihe, denn Trockenheit und Klimawandel hin oder her, das Unkraut hat die hoffnungsvoll halbwüchsigen Wirsingköpfe fest im Griff, weshalb flächendeckendes Jäten angesagt ist. Bei der Solidarischen Landwirtschaft Schweinfurt und Umgebung, kurz SoLaWi, geschieht dies alles meist mit der Hand, genauer gesagt mit der Hacke in der Hand.
Das Netzwerk für solidarische Landwirtschaft, das angetreten ist, ernährungsbewusste Menschen in der Region mit hochwertigem Gemüse zu versorgen, hat mich für einen Tag als "Reporter in Betrieb" eingestellt. Der Nachmittag steht ganz im Zeichen der Pflege der Kulturen. "Arbeit gibt es bei uns immer, die geht nie aus", hat mir Sascha Kirchner, einer der bei der SoLaWi angestellten Gärtner, schon bei meinem morgendlichen Dienstantritt prophezeit. Und was soll ich sagen, er hat ja so recht. 7000 Quadratmeter, auf denen sich auch ein Brunnen befindet, dessen Wasser dafür sorgt, dass es nicht überall so trocken ist wie auf dem Wirsing-Feld, bewirtschaftet die SoLaWi auf dem gepachteten Gelände am Keilgarten in Bergrheinfeld. Dazu kommt ein Kartoffelacker bei Schwebheim, der gemeinsam mit dem Naturlandhof Peter bewirtschaftet wird.
Nutzpflanzen vom Unkraut befreien, eine uralte Arbeit, die ich noch von meiner Oma kenne, die im Sommer regelmäßig mit ihren Bekannten Richtung Acker ausgerückt ist zum Rüben hacken. Eine gleichförmige Arbeit an der frischen Luft, kein Handy, kein Verkehrslärm, nur das "Tschak, Tschak", wenn die Hacke in den Boden fährt und Disteln & Co. fällt. Einmal im Rhythmus, geht die Arbeit leicht von der Hand – und verblüffend schnell vorbei, denn mit den anderen "Wirsingbefreiern" kommt man schnell ins Gespräch. Ein "Gebabbel" gibt das andere, es wird gelacht, erzählt, und der Reihenabstand des Wirsing funktioniert als ganz natürliche Corona-Abstandsregel. Jetzt weiß ich, warum schon meine Oma immer gern "naus Brache" gegangen ist.
Doch diese zwar körperlich anspruchsvolle, aber doch auch beinahe schon entschleunigende Hackerei, ist nur der Abschluss eines langen Tages. Für die SoLaWi-Idee "Gemüse aus dem eigenen Garten, ohne selbst einen zu haben" braucht es nicht nur einen grünen Daumen, sondern auch einen kühlen Kopf, der gut rechnen kann. Gemüse-Kopfrechnen ist nämlich während des Vormittages angesagt, denn heute ist Freitag und damit Ernteteil-Tag. Die etwa 140 Mitglieder, die im Augenblick rund 80 große Ernteteile gebucht haben, bekommen ihre grüne Ware. Natürlich kommen nicht alle einzeln zum Keilgarten, um ihre gut gefüllte Erntekiste abzuholen. Nach Depots geordnet, gehen Salatköpfe, Fenchelknollen und Schalotten-Zwiebeln in die verschiedenen Ortschaften und können dort von den Ernteteil-Nehmern abgeholt werden. Alleine die Steigerwaldklinik hat zehn solche Ernteanteile.
Wer einen "großen Ernteteil" hat, der bekommt für 80 Euro im Monat zweimal in der Woche frische Vitamine, für den "kleinen Ernteteil" gibt es, das ist noch keine große Rechenkunst, fürs halbe Geld die Hälfte. Komplizierter wird es mitunter, wenn es an die gerechte Verteilung geht, denn von der Knoblauchknolle bis zum Kopfsalat weigern sich vor allem biologisch erzeugte Lebensmittel normgerecht, sprich gleich groß zu wachsen. Sascha Kirchner und sein Gärtner-Kollege Til Brather führen ganz analog Strichlisten, packen mal eine handvoll Bioware von hierhin nach dorthin und haben dabei immer die Zahlen im Blick, die unter den Ernteteilerkisten stehen.
Ein Wunschkonzert ist die wöchentliche Verteilung dennoch nicht, denn "es wird gegessen, was auf den Tisch kommt", genauer gesagt, was gerade reif für die Ernte ist. "Gemüse der Woche" sozusagen, eine "Wundertüte", über die sich die Abholer heute sicher besonders freuen – sofern sie Fenchel mögen. Herrlich duftende Knollen gehören zum Paket mit Krulsalat, Schalotten, Knoblauch und Paprika.
Einige Mitglieder sind schon auf den Feldern und Beeten, lange bevor die Kisten zur Abholung bereit stehen. Sie ernten, schneiden und putzen Gemüse, packen mit an, schauen sich die Kulturen an, die sie schon mit ausgesät haben. "Die Lust an der Arbeit mit und in der Natur scheint in Coronazeiten noch einmal gewachsen zu sein", so die Erfahrung der Gärtner. Jeder Skandal, egal ob in der Fleischindustrie oder sonst einem Lebensmittel erzeugenden Zweig, trägt offensichtlich ein Stück dazu bei, die Menschen sensibler zu machen für den Wert regional und gesund erzeugter Lebensmittel.
Die Philosophie, die dahinter steckt und die immer mehr Freunde findet, ist einfach: "Für unsere Selbstversorgung betreiben wir gemeinsam Gartenbau, wir teilen uns die Kosten für Gärtner, Pacht, Maschinen, Saatgut, Gewächshaus, und wir teilen die Erzeugnisse." Eine Gemeinschaft, die gemeinsam beschließt, wie man räuberische Kaninchen abhält, und die auch das "krumme Möhrchen" zu schätzen weiß. Eine Gemeinschaft auch, die mal zusammen feiert, zum Beispiel in der Jurte, wo schon so mancher Gitarren- oder Trommelklang ertönt ist. Beliebt sind auch die "Ackersamstage", die unter dem Motto "gemeinsam arbeiten, gemeinsam feiern" stehen.
SoLaWi, das habe ich als "Ackerknecht für einen Tag" schnell begriffen, das ist mehr als Kraut und Rüben, das ist eine Lebenshaltung mit den Hauptzutaten Biologie, Ökologie und Nachhaltigkeit. Dazu gesellt sich die Bodenpflege und der Insektenschutz. Mia Vierengel betreut einen Bienenstock. Aus Faszination und zum Abschalten, wie sie sagt. Andere beschäftigen sich mit dem Erhalt regionaler Sorten oder damit, wie der Boden mit natürlichen Mitteln ertragreicher gemacht werden kann.
Der "Sennfelder Stiel", eine vom Aussterben bedrohte alte Sennfelder Mangold-Sorte mit extrabreitem Stiel, hat hier einen seiner letzten Rückzugsorte. Samenfeste Sorten bewahren, Saatgut selbst nachziehen, auch das sind Ziele der Gemeinschaft. Für alles gilt: Was du selber angebaut, gepflegt und geerntet hast, weißt du auch mehr zu schätzen.
Den "schnuckeligen" Blumenkohl, für den man aufgrund seiner Größe im Discounter noch Kindergeld gezahlt hätte, den weiß ich noch am selben Abend so richtig zu schätzen. Mein Lohn für meine Bodenständigkeit! Die Schultern ziehen ein wenig, könnte morgen der leichte Anflug von Muskelkater werden. Aber was ist das schon dagegen, wenn der selbst geerntete Blumenkohl gerade vor mir in der Butter schmurgelt und sich mit den gerösteten Semmelbröseln vermählt. Hunger ist eben doch der beste Koch, und der kocht besonders gut, wenn er an der frischen Luft und mit den Händen in der Erde entstanden ist.