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Würzburg
Sie waren die jüngsten Opfer des Holocaust: Gedenken an Kinder und Jugendliche, die aus Würzburg deportiert wurden
Die UNICEF-Hochschulgruppe hat am Montag ein Gedenken an die deportierten und meist ermordeten Kinder und Jugendlichen am DenkOrt abgehalten. Was sie erreichen möchte.
Susanne und Herbert Straus (vorne) mit anderen Kindern im Platz'schen Garten vor der dritten Deportation im April 1942.
Foto: Staatsarchiv Würzburg | Susanne und Herbert Straus (vorne) mit anderen Kindern im Platz'schen Garten vor der dritten Deportation im April 1942.
Rotraud Ries
 |  aktualisiert: 02.02.2025 02:30 Uhr

Am 27. Januar, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, erinnert die Weltgemeinschaft an den Völkermord zwischen 1933 und 1945 in der Mitte Europas. Millionen Menschen fielen der deutschen NS-Vernichtungspolitik zum Opfer. Die UNICEF-Hochschulgruppe in Würzburg nahm diesen Tag zum Anlass, gemeinsam mit dem DenkOrt-Verein besonders an das Schicksal der 294 aus Unterfranken deportierten und meist ermordeten jüdischen Kinder und Jugendlichen zu erinnern.

Die Studierenden stellten in der Dämmerung Kerzen am DenkOrt Deportationen auf – in 294 durchscheinenden Tüten, mit dem Namen und dem Alter der Deportierten darauf. Vier Würzburger Blumengeschäfte hatten ebenso viele Blumen für das Gedenken gespendet. Die Fülle der Lichter erschütterte aufgrund ihrer Menge – und sandte zugleich ein leuchtendes Signal: Ihr seid nicht vergessen!

Die etwa 100 Studierenden und weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer hielten im Gedenken inne, während die vielen Namen der Deportierten verlesen wurden. Im Anschluss verteilten sich die Studierenden an den Standorten von ausgewählten Stolpersteinen in der Stadt, um sie jeweils nach einem kurzen Gedenken zu reinigen und damit wieder in den Blick der Passanten zu rücken.

Studierenden begannen, sich mit dem Gedenken an die jungen Holocaust-Opfer zu befassen

Die UNICEF-Hochschulgruppe setzt sich, wie sie selbst schriftlich berichtete, mit ihren etwa 60 Akteurinnen und Akteuren aktiv für die Rechte der Kinder auf der Welt ein. Mit vielfältigen Aktionen und Projekten macht sie auf deren Situation aufmerksam und sammelt Spenden für UNICEF. Dabei geht es auch um verfolgte Kinder in der Vergangenheit, denen im Fall der NS-Opfer jede Chance auf ihr Leben genommen wurde, nur weil sie als Jüdinnen und Juden, Sinti oder Roma geboren wurden oder in den Augen der Gesellschaft als behindert galten. "Mit unserer Arbeit möchten wir verdeutlichen, dass die Achtung der Kinderrechte auch die Verpflichtung einschließt, vergangenes Unrecht aufzuarbeiten und die Erinnerung daran lebendig zu halten", sagt Sprecherin Carla Waizmann, im Namen der UNICEF-Hochschulgruppe. 

Für jede deportierte Person wurde am DenkOrt eine Tüte mit einer Kerze aufgestellt, auf der der Name zu lesen ist.
Foto: Benjamin Brückner | Für jede deportierte Person wurde am DenkOrt eine Tüte mit einer Kerze aufgestellt, auf der der Name zu lesen ist.

Vor einigen Jahren begannen die Studierenden deshalb, sich mit dem Gedenken an die jungen Holocaust-Opfer zu befassen. Sie nahmen Kontakt auf zum AK Stolpersteine, informierten sich, besuchten eine Führung über den historischen Deportations-Weg und begannen, sich mit der Pflege und Reinigung von Stolpersteinen aktiv in die Gedenkkultur einzubringen. 2022 stellten sie zum ersten Mal am DenkOrt Deportationen Lichter auf und verlasen die Namen der jungen jüdischen Deportierten. Eine vollständige Liste mit der genauen Zahl der Opfer und deren Alter bei der Deportation stellte ihnen Dr. Rotraud Ries danach für das künftige Gedenken zur Verfügung.

Vor der ersten Deportation: Ferdinand und Friedrich Selig gehen mit ihrem Vater im November 1941 in der Schrannenhalle mit ihrem Gepäck zur Kontrolle
Foto: Staatsarchiv Würzburg | Vor der ersten Deportation: Ferdinand und Friedrich Selig gehen mit ihrem Vater im November 1941 in der Schrannenhalle mit ihrem Gepäck zur Kontrolle

Nur elf junge Menschen überlebten

Kinder und Jugendliche - nach damaliger Gesetzeslage junge Menschen im Alter von 0 bis 20 Jahren - waren Teil aller größeren Deportations-Transporte, besonders jedoch der ersten drei Deportationen aus Unterfranken. Diese galten dem "arbeitsfähigen" Teil der jüdischen Bevölkerung mit Familien. 273 der 294 Kinder und Jugendlichen wurden im Rahmen dieser drei Transporte verschleppt. Nur von zwei Transporten, nämlich nach Riga und nach Theresienstadt, konnten elf junge Menschen überleben, darunter besonders Jugendliche.

Denn sie konnten im Gegensatz zu den Kindern bereits Zwangsarbeit leisten. Kleinere Kinder hatten gar keine Überlebenschance. Bis auf die wundersame Rettung der kleinen Dorle Pollak: Im Februar 1943 im Ghetto-Krankenhaus in Theresienstadt geboren, überlebte sie mehr als zwei Jahre im Lager und kam nach Kriegsende mit ihren Eltern nach Würzburg.

Der kleine Walter und sein großer Bruder Horst Bauer (von links) vor der zweiten Deportation auf dem Weg zum Bahnhof Kitzingen am 24. März 1942.
Foto: Staatsarchiv Würzburg | Der kleine Walter und sein großer Bruder Horst Bauer (von links) vor der zweiten Deportation auf dem Weg zum Bahnhof Kitzingen am 24. März 1942.

Von den ersten drei Transporten ließ die Gestapo in Würzburg und Kitzingen Fotos anfertigen, die sich in einem "Album" mit antisemitischen Kommentaren erhalten haben. Doch nur wenige Kinder lassen sich auf diesen Fotos entdecken – sie verschwinden einfach zwischen den Erwachsenen oder wurden seltener fotografiert.

Diese Fotos sind Täter-Fotos, deren Nutzung kritisch hinterfragt werden muss. Auch gibt es darunter solche, die die Dargestellten antisemitisch erniedrigten. Die kann man in der Erinnerungsarbeit nicht verwenden. Andererseits zeigen die Fotos von den Deportationen die Menschen im letzten Moment ihres Lebens in der Heimat, an der Schwelle zu dem, was man nur noch als Hölle bezeichnen kann und das meist mit der Ermordung endete. Trotz ihrer Täter-Problematik sind diese Fotos also für die Dargestellten und für die Erinnerungsarbeit wichtig.

Geschichten der deportierten Kinder sollten in den Fokus gerückt werden

Die Studierenden der UNICEF-Hochschulgruppe wollen auch in Zukunft das Gedenken fortsetzen und vertiefen, "um die Geschichten der deportierten Kinder in den Fokus zu rücken", sagt Carla Waizmann. Die Reaktionen auf ihre Gedenkaktionen seien bislang sehr positiv gewesen – selbst nach dem 7. Oktober 2023 und den pro-palästinensischen Protesten gegen die Selbstverteidigung Israels gegen den Terror der Hamas. "Tatsächlich nehmen wir sogar eine verstärkte Sensibilität für das Thema wahr, verbunden mit der Bereitschaft, über die Bedeutung von Frieden und Menschenrechten ins Gespräch zu kommen", so Waizmann. "Zudem wollen wir weitere Studierende für diese wichtige Arbeit gewinnen und mit so vielen Menschen wie möglich in Würzburg gemeinsam erinnern."

Dr. Rotraud Ries ist Historikerin und Expertin für deutsch-jüdische Geschichte. Sie leitete bis 2022 das Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken und hatte maßgeblichen Anteil am Projekt "DenkOrt Deportationen".

Über die deportierten Kinder und Jugendliche

Für die 294 deportierten Kinder und Jugendlichen sind Namen und Alter bei der Deportation auf einer neuen Internet-Seite zusammengestellt: https://www.juf-gedenken.de/gedenkliste-fuer-unicef/. Die historischen Fotos auf der Seite stammen aus dem genannten "Deportations-Album" der Gestapo (Staatsarchiv Würzburg). In den meisten Fällen ist es gelungen, die Kinder und Jugendlichen darauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu identifizieren. Kurze Biographien der Deportierten finden sich auf https://denkort-deportationen.de/orte/, wo man nach ihren Namen suchen kann.
Quelle: rori
 
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  • Armin Genser
    Vielen Dank an die UNICEF-Hochschulgruppe für das Erinnern.
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