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Würzburg
Sie starb an ihrem 19. Geburtstag: Das Schicksal der polnischen Zwangsarbeiterin Adela Duda in Würzburg
Drittes Reich: Bis zu 9000 Zwangsarbeiter waren in Würzburg vor 1945 eingesetzt. Eine von ihnen war Adela Duda aus Polen. Dies ist ihre Geschichte.
2019 wurde Stolpersteine für die im 'Notgefängnis' in der Friesstraße inhaftierten Opfer des NS-Regimes verlegt, auch für Adela Duda (auf dem Stolperstein als 'Adele'). Adela Duda wurde laut den Angaben ihrer Familie 1925 geboren. Den Nazi-Behörden gegenüber machte sie sich offenbar zwei Jahre älter, weshalb als Geburtsjahr '1923' in Dokumenten und auf dem Stolperstein steht.
Foto: Patty Varasano | 2019 wurde Stolpersteine für die im "Notgefängnis" in der Friesstraße inhaftierten Opfer des NS-Regimes verlegt, auch für Adela Duda (auf dem Stolperstein als "Adele").
Roland Flade
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:59 Uhr

Am 1. Juni 1944 schrieb Adela Duda in Würzburg einen Brief an ihre 1000 Kilometer entfernt in dem südpolnischen Dorf Dominikowice lebenden Verwandten. Adela arbeitete in jenem Juni bei einer Familie im Winterleitenweg als Hausangestellte. Sie hatte Sehnsucht. "Ratet mal wonach?", fragte sie in ihrem Brief. "Ich vermisse die Umarmungen mit euch und habe Sehnsucht nach euch allen."

Adela Duda stellte sich die Heimkehr nach Dominikowice vor, das in der Nähe der Kreisstadt Gorlice liegt, 100 Kilometer von Krakau entfernt: "Wenn ich zurückkommen würde, hätte die Begrüßung kein Ende", schrieb sie. "Ich umarme und küsse euch und halte euch fest." Ein halbes Jahr später war sie tot.

Mitglieder der Stolperstein-Initiative haben neue Dokumente entdeckt

An Adela Duda erinnert seit 2019 ein Stolperstein in der Friesstraße, doch ihre Geschichte kann erst jetzt erzählt werden. Das liegt an zwei Menschen der Stolperstein-Initiative – dem Historiker und Würzburg-Sammler Alexander Kraus und Beata Surdyka, einer geborenen Polin, die seit langem in Würzburg lebt. Sie haben neue Dokumente entdeckt, darunter Adelas Briefe in die Heimat, die das Leben und Sterben einer von Tausenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Würzburg beleuchten, ohne deren Einsatz das Leben in der Stadt vor 1945 zusammengebrochen wäre.

Adela Duda wurde am 22. Oktober 1925 geboren. Sie besuchte die sechsjährige Grundschule in ihrem Dorf und erlebte mit, wie die Deutschen am 1. September 1939 Polen überfielen und in den nächsten Wochen das ganze Land unter ihre Gewalt brachten. Adela kannte, wie Beata Surdyka sagt, nur ihre kleine, sichere Welt, als die Besatzer Arbeitskräfte für Deutschland suchten, manchmal mit Überredung, oft mit Gewalt. Ob sie sich freiwillig meldete oder zwangsweise am 16. Februar 1943 mit 1000 anderen in Krakau den Zug nach Deutschland besteigen musste ist unklar. Jedenfalls wurde die 17-Jährige kurz danach vom Würzburger Arbeitsamt als Haushaltshilfe zu einer dreiköpfigen Familie im Winterleitenweg vermittelt. Hier arbeitete sie vom 25. Februar 1943 bis zum 4. Oktober 1944, dem Tag ihrer Verhaftung.

Adela quälte die völlige Isolation in Würzburg

Schon am 26. Februar schrieb sie den ersten Brief an ihre Verwandten zuhause. Beata Surdyka hat ihn, zusammen mit acht weiteren und einer Postkarte, kürzlich von einer Nichte Adelas bekommen, die sie auf der Suche nach Verwandten ausfindig machte. Adelas Arbeit – Frühstück vorbereiten, Putzen, Kochen mit der Hausherrin, Geschirrspülen, Wasser schleppen für die Wäsche, Versorgen der für die Selbstversorgung gehaltenen Tiere – war zunächst erträglich, denn es gab genug zu essen und die Hausherrin, die sich auf Krücken fortbewegte, schenkte ihr einmal abgelegte Wäsche, später brachte ihr der Hausherr welche mit.

Die abschließenden Zeilen eines Briefes von Adela Duda. Sie gratuliert ihrem Vater zum Geburtstag und schreibt an ihre Verwandten: 'Ich umarme Euch und küsse Euch'.
Foto: Beata Surdyka | Die abschließenden Zeilen eines Briefes von Adela Duda. Sie gratuliert ihrem Vater zum Geburtstag und schreibt an ihre Verwandten: "Ich umarme Euch und küsse Euch".

Adela hatte ein eigenes Zimmer, doch quälte sie ihre völlige Isolation. Die Familie verbot ihr, Haus und Garten zu verlassen, denn sie fürchtete einen Fluchtversuch. Eines Nachts träumte Adela einen schönen Traum: Sie würde ihre Familie in Dominikowice unerwartet besuchen. Sie wusste, dass dies nur ein Traum war, denn "jetzt bin ich davon überzeugt, dass sie mich nicht gehen lassen werden, weil es in Deutschland genauso schwierig ist, ein Dienstmädchen zu finden, wie es in Polen ist, ein Schwein zu bekommen". Dies schreib sie am 11. März 1944 ihrer Schwester Janina.

Um Fluchtpläne aufzudecken, kontrollierten die Arbeitgeber die Korrespondenz

Um jeden möglichen Hinweis einer geplanten Flucht, etwa durch Andeutungen der Verwandten, zu entdecken, kontrollierten ihre Arbeitgeber die Korrespondenz. "Sie dachten du erzählst mir etwas in deinen Briefen", berichtete sie Janina. "Deshalb haben sie den Postboten überredet, ihnen die Briefe und Postkarten auszuhändigen. Sie bringen sie zu einer Dame, die Polnisch sprechen kann. Sie übersetzt sie und erst dann geben sie sie mir." Was sie bekam, hob sie "wie Reliquien" auf, hieß es am 9. Mai 1944.

Bald verschlechterte sich Adelas Gesundheitszustand. Am 1. Juni 1944 schrieb sie ihren Eltern, dass ein Arzt zweimal zu ihr kam; wahrscheinlich litt sie zu diesem Zeitpunkt bereits an Tuberkulose. Da sie isoliert bleiben sollte, durfte sie das Haus auch nicht für einen Arztbesuch verlassen.

Auf Adela Dudas Schicksal war Alexander Kraus erstmals 2014 in Gerichtsakten bei seinen Recherchen über das "Notgefängnis" gestoßen. In den Baracken in der Friesstraße hausten vor allem Zwangsarbeiter, denen man ein Vergehen vorwarf. Außer dass Adela dort am 22. Oktober 1944, ihrem 19. Geburtstag, starb, war lange nichts bekannt. Am 5. April 2019 wurden für Adela und andere in dem Lager Umgekommene in der Friesstraße Stolpersteine verlegt und ein Denkmal enthüllt.

Zufällig bei einem Händler entdeckt: eine Karte an Adela Duda

Dann geschah das Unwahrscheinliche: Im Oktober 2021 entdeckte Kraus bei einem Händler aus Freiburg zufällig eine Karte ihrer Schwester Janina, die an Adela adressiert war. Er ersteigerte sie und Beata Surdyka übersetzte sie. Janinas Karte vom 12. September 1944 dürfte die letzte erhaltende Korrespondenz zwischen Adela und ihrer Familie sein. Janina berichtete, dass die deutlich zu hörende Front nur noch 20 Kilometer von Dominikowice entfernt sei und vermutete, dass Adela in Würzburg "vielleicht mehr Ruhe" habe als ihre polnischen Verwandten.

Der Würzburg-Sammler Alexander Kraus mit der Karte, die die junge Polin Janina Duda am 12. September 1944 an ihre Schwester Adela schickte, die in Würzburg arbeitete. Es war Adelas letzter Kontakt mit ihrer Familie, die 1000 Kilometer entfernt lebte.
Foto: Roland Flade | Der Würzburg-Sammler Alexander Kraus mit der Karte, die die junge Polin Janina Duda am 12. September 1944 an ihre Schwester Adela schickte, die in Würzburg arbeitete.

Tatsächlich hatte Würzburg zu diesem Zeitpunkt noch keine schweren Bombardierungen erlebt, doch schon bald geriet Adela in tödliche Gefahr. Drei Wochen später, am 4. Oktober 1944, wurde sie verhaftet und ins berüchtigte "Notgefängnis" eingeliefert. Der Grund wird sich nie klären lassen; für denkbar hält Alexander Kraus, dass Adela wegen ihrer fortschreitenden Erkrankung die geforderte Arbeitsleistung nicht mehr erbringen konnte und wegen "Arbeitsverweigerung" inhaftiert wurde. Beata Surdyka kann sich vorstellen, dass Adela einen vergeblichen Fluchtversuch unternommen hatte.

Das Anatomische Institut der Universität Würzburg in der Koellikerstraße. Hier lag Adela Dudas Leiche zweieinhalb Jahre lang.
Foto: Roland Flade | Das Anatomische Institut der Universität Würzburg in der Koellikerstraße. Hier lag Adela Dudas Leiche zweieinhalb Jahre lang.

Nach ihrem wohl durch Tuberkulose verursachten Tod am 22. Oktober 1944, ihrem 19. Geburtstag, wurde die Leiche in das Anatomische Institut der Universität in der Koellikerstraße gebracht. Die Würzburger Anatomie war eine der größten Einrichtungen ihrer Art im damaligen Deutschen Reich. Sie erhielt bis 1945 zahlreiche Körper von Hingerichteten und Gestorbenen aus zum Teil weit entfernten Gefängnissen und Gestapo-Einrichtungen, so aus München-Stadelheim, Ebrach, Bayreuth und Untermerzbach. Auf der Homepage des Instituts heißt es: "Dies spiegelt die massive Zunahme von Todesurteilen wider, ebenso wie den offensichtlichen Tod durch körperliche Gewalt und Folter in den Gefängnissen." Die Leichen dienten der Forschung und der Ausbildung von künftigen Ärzten.

Schikanen und Misshandlungen im "Notgefängnis" in der Friesstraße

Nach Kriegsende lag Adelas Leiche im Mai 1945, zusammen mit vier anderen, immer noch in der Anatomie. Alliierte Militärermittler beschlagnahmen sie im Rahmen der Ermittlungen zu den Verbrechen im "Notgefängnis" und für das Verfahren gegen dessen Leiter Stefan Schäfer. Misshandlungen, Erniedrigungen und Schikanen hatten dort, wie im Prozess klar wurde, schon mit der Aufnahme begonnen. Zur "Begrüßung" gab es Schläge mit einem Ochsenziemer. Die Häftlinge, denen der Kopf kahlgeschoren wurde, mussten während der gesamten Haftzeit dieselbe Kleidung tragen, es gab keine Seife, und in einer Baracke teilten sich 150 bis 200 Menschen fünf Handtücher. Dass ein Gestapo-Arzt gelegentlich Kranke untersuchte, wohl auch Adela, änderte nichts an der unerträglichen Situation.

Nach der Freigabe des Leichnams setzte man die sterblichen Überreste von Adela Duda am 13. März 1947, zweieinhalb Jahre nach ihrem Tod, auf dem Hauptfriedhof bei; das Grab ist nicht mehr vorhanden. Der Zeitraum bis zur Beerdigung erklärt sich aus der langen Dauer des Prozesses gegen Stefan Schäfer, sagt Alexander Kraus. Schäfer wurde in Würzburg verurteilt; zeitweise drohte ihm sogar die Todesstrafe. Er ging jedoch in Revision und sein Anwalt legte immer wieder Berufung ein. Schließlich wurde er freigelassen. Erst jetzt, nach Abschluss des Prozesses, durften die Leichen beerdigt werden.

Curt Elze, der Leiter des Anatomischen Instituts, war NSDAP-Mitglied und protestierte nicht, als zahlreiche tote Männer und Frauen angeliefert wurden, die im Rahmen der "Euthanasie"-Aktion durch Kohlenmonoxid ermordet worden waren. Am 1. Mai 1947 nahm er seine Lehrtätigkeit als Professor für Anatomie am Institut wieder auf. 1952 wurde er emeritiert.

 
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Kommentare
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  • torsten.schleicher@t-online.de
    Hallo @Donnerwetter, vielen Dank für Ihren Hinweis! Die Erklärung zu der Diskrepanz hatte im Text gefehlt, wir haben sie im Bildtext ergänzt. Die Passage lautet: „ Adela Duda wurde laut den Angaben ihrer Familie 1925 geboren. Den Nazi-Behörden gegenüber machte sie sich offenbar zwei Jahre älter, weshalb als Geburtsjahr ‚1923‘ in Dokumenten und auf dem Stolperstein steht.“ - Herzliche Grüße, Torsten Schleicher, Redakteur
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  • isabellaihrig@web.de
    Jg. 23? Dann starb sie an ihrem 21. Geburtstag. Egal wie, wenn man die Geschichte liest überkommt einen das Grauen. Was mussten und müssen immernoch Menschen ertragen und aushalten.
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