zurück
Würzburg
Selten wirkt Theater so echt und unmittelbar: "Helle Schatten", die Neuproduktion des Theaters Augenblick
Das neue Stück ist eine Anklage menschlicher Zerstörungswut, vor allem aber zutiefst bewegendes Plädoyer für die Einzigartigkeit jedes Individuums.
Die Erde nach der Zerstörung - ihre einstigen Bewohner geistern als helle Schatten über die Bühne. Von links: Sebastian Röder, Morgan, Laura Juretzka.
Foto: Thomas Obermeier | Die Erde nach der Zerstörung - ihre einstigen Bewohner geistern als helle Schatten über die Bühne. Von links: Sebastian Röder, Morgan, Laura Juretzka.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 29.11.2024 02:37 Uhr

Niemand in diesem Stück ist entbehrlich. Und niemand ist ersetzbar. Anders als in der untergegangenen Welt, von der das Stück erzählt: "Helle Schatten", die Neuproduktion des inklusiven Würzburger Theaters Augenblick, ist eine Anklage menschlicher Zerstörungswut, vor allem aber zutiefst bewegendes Plädoyer für die Einzigartigkeit jedes Individuums.

Nicht im Sinne der vielzitierten Individualisierung, die gerade jeglichen gesellschaftlichen Zusammenhalt zersetzt. Sondern in einem viel tieferen Sinne: Der Wert eines Menschen lässt sich nicht in Körpermaßen und Arbeitseffizienz beziffern. Genau das aber hat in "Helle Schatten" die KI getan, der die Menschheit irgendwann die Verantwortung für alles übertragen hat. Das Resultat: Eine riesige Explosion, die alles Leben auslöscht. Immerhin, die KI sieht ein, dass da was schiefgelaufen ist: "Wir hatten nicht alle Daten ausgewertet. Nächstes Mal machen wir es besser."

Nur noch helle Schatten künden von den einstigen Bewohnern der Erde

Auf dieser verwüsteten Erde landen nun der kleine Prinz und der Fuchs, die ihren gemütlichen Kometen verlassen haben, um nachzuschauen, was passiert ist. Zwischen lodernden Flammen künden nur noch helle Schatten, ähnlich den als Ascheformen erhaltenen Opfern der Katastrophe von Pompeji, von den einstigen Bewohnern.

Der Prinz (Jan Simanzik) freut sich für das Schaf (Laura Juretzka), das vom Fuchs (Susanne Dill) gefüttert wird.
Foto: Thomas Obermeier | Der Prinz (Jan Simanzik) freut sich für das Schaf (Laura Juretzka), das vom Fuchs (Susanne Dill) gefüttert wird.

Der Prinz, mit zärtlicher Grandezza gespielt von Jan Simanzik, hat die Gabe, die Menschen, die zu diesen hellen Schatten gehören, nochmal sichtbar werden zu lassen. Das Mädchen, das gerade noch juchzend Karussell gefahren ist (Laura Juretzka). Morgan, der gerade mit blonder Perücke eine Modenschau hingelegt hat, die Heidi Klum ziemlich alt aussehen lassen dürfte. Sebastian (Sebastian Röder), der gerade seine Angebetete zum Eisessen und zur Fahrt auf der Sommerrodelbahn eingeladen hatte.

Der Altenpfleger (Fabian Dinsing), der einfach nicht mit den gnadenlosen Zeitlimits zurechtkam, denen die Zuwendung für die ihm Anvertrauten unterlag. Und Johannes (Alexander Ellebruch), der seine ganze Wut über "die Deppen" hinausschreit, die ihm sein Recht auf Leben streitig machen wollen.

"Helle Schatten" ist, wie alle Stücke des Theaters, aus Improvisationen entstanden

Das Theater Augenblick, seit gut zwei Jahren ansässig im Würzburger Kulturspeicher, gibt es seit 1998 als eigenständigen Fachbereich der Mainfränkischen Werkstätten. In Bayern ist es das erste und einzige, in dem Menschen mit Behinderung hauptberuflich als Schauspieler arbeiten.

Während Johannes (Alexander Ellebruch, Mitte) versucht, sein Geburtstagsessen zu genießen, machen zwei Generäle einander die Bauklötze (Morgan und Fabian Dinsing) streitig. 
Foto: Thomas Obermeier | Während Johannes (Alexander Ellebruch, Mitte) versucht, sein Geburtstagsessen zu genießen, machen zwei Generäle einander die Bauklötze (Morgan und Fabian Dinsing) streitig. 

"Helle Schatten" ist, wie alle Stücke des Theaters, aus Improvisationen entstanden, die Theaterleiter und Regisseur Stefan Merk dann in Zusammenarbeit mit Susanne Dill (die auch den Fuchs spielt) und Hilda Gardner zu einer dramaturgisch schlüssigen Handlung zusammengefügt hat.

Die Rollen sind zwar nahe an den Darstellerinnen und Darstellern - so hat Fabian Dinsing tatsächlich in der Altenpflege gearbeitet, bevor er Schauspieler wurde -, aber dennoch nicht deckungsgleich mit ihnen. Dadurch entstehen eine Unmittelbarkeit und eine Intensität, die nur in dieser Konstellation vorstellbar ist. Das Publikum, zu dem an diesem Abend auch einige Menschen mit Behinderung gehören, ist deshalb von der ersten bis zur letzten der etwa 80 Minuten vor Spannung mucksmäuschenstill - sieht man von den herzlichen Lachern ab, die Laura Juretzka anfangs als verkuscheltes Schaf kassiert.

"Helle Schatten" steht bis 13. Dezember auf dem Spielplan, wird aber im kommenden Jahr wiederaufgenommen. Reservierungen unter www.theater-augenblick.de/spielplan-karten oder per E-Mail an karten@theater-augenblick.de oder Tel. (0931) 99 14 81 00.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Mathias Wiedemann
Altenpfleger
Heidi Klum
Theaterintendanten
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top