Architektonische Säulen wurden seit jeher auch mit symbolischen Lasten beladen. Sie sollten nicht nur Himmel und Erde auseinanderhalten, ihnen wurde auch – anders als Pfeilern – eine Aufwärtstendenz angedichtet. Dadurch schienen sie griechische Tempel geradezu schweben zu lassen; und in den christlichen Legenden hoben sie die Säulenheiligen näher hinauf zu Gott.
In dieser Tradition steht das Haus in der Sedanstraße in Würzburg, das durch einen portikusartigen Vorbau über dem Eingang auffällt. Die weit ausladende Plattform mit stark betonter Brüstung scheint die zwei tragenden Säulen aber niederzudrücken – das mindert den Würdeanspruch dieser gehobenen Stillage. "Das Haus wirkt auf den ersten Blick schwerfällig, ungelenk, schroff", sagt Prof. Dr. Stefan Bürger.
Architektonisch ambitioniert
Der Kunsthistoriker an der Uni Würzburg sieht gleichwohl Qualitäten: "Das architektonische Konzept ist ambitioniert". Die sich hoch hinauf erhebende Fassade mit Gurtgesims und gliedernden Wandvorlagen sei imposant. "Das Walmdach biegt sich segmentbogenförmig zu einer Attika auf – das verstärkt den vertikalen Zug", sagt der Architekt und Dozent für Architekturgeschichte Dr. Matthias Wieser von der FH Würzburg-Schweinfurt.
Unter dem krempenartig gesäumten Segmentbogen scheint das Gebäude wie unter einer Schirmmütze leicht missmutig hervorzuschauen und durch das mittige Fenster – gewissermaßen einäugig – in eine ungewisse Zukunft zu blicken. Es steht seit Jahren leer und ist Gegenstand von Plänen, die zunächst den Abriss und zuletzt den Erhalt des Gebäudes vorsahen. Die Stadtbildkommission hat diesen letzten Entwurf gutgeheißen.
2011 von der Denkmalliste gestrichen
In den insgesamt drei Sitzungen der Kommission warb vor allem der Stadtheimatpfleger Hans Steidle dafür, das Gebäude zumindest in Teilen zu erhalten, obwohl es 2011 von der Denkmalliste gestrichen worden war. Als Begründung führte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege an, das Erscheinungsbild sei "nur reduziert überliefert – die historische Aussagefähigkeit ist somit stark geschwächt".
Der Kurzvermerk in der Denkmalliste lautete: "Ehemaliges Chemisches Institut in Form einer Jugendstil-Villa mit Laboranbau, 1912 von Fritz Saalfrank für den Chemieprofessor Dr. Hermann Pauly". Saalfrank, 1878 geboren, war 1911 nach Würzburg gekommen und hatte in bester Lage – Marktplatz 1 – ein Architekturbüro gegründet. Pauly, geboren 1870, war seit 1904 Privatdozent an der Universität.
Laboratorium für Prof. Pauly
Einem Online-Lexikon zufolge hatte Pauly 1912 "ein eigenes Laboratorium erhalten". Derartige Vergünstigungen konnten Wissenschaftler anlocken oder zum Bleiben bewegen. Dem Chemiker Emil Fischer – Nobelpreisträger 1902 – wurde zum Beispiel um 1890 der Neubau eines Instituts am heutigen Röntgenring bewilligt, weil er unzufrieden mit dem nur 30 Jahre alten Chemischen Institut war.
Pauly hat jedoch aus eigenen Mitteln bauen lassen. Er wurde auch nicht berufen, sondern hatte sich in Bonn habilitiert und 1904 in Würzburg umhabilitiert, um hier die Lehrberechtigung zu erhalten. Wie aus seiner Personalakte hervorgeht, wurde er zwar ordentlicher Professor, aber nie Beamter und daher auch – so Pauly – "niemals besoldet". Er blieb bis zum Erreichen der Altersgrenze Privatdozent.
Pauly wohnte nicht im Institut
Warum er unter diesen Umständen das Institut bauen ließ, lässt sich nicht restlos klären; Fehldeutungen können aber ausgeräumt werden. Eine falsche Fährte legt schon die Eintragung im Grundbuch als "Wohnhaus", als habe Pauly in der noch kaum bebauten Sedanstraße leben und arbeiten wollen. Er ließ zwar Wohnräume einrichten, aber nur für einen Hausmeister im Erdgeschoss. Im Obergeschoss gab es ein Assistentenzimmer. Pauly wohnte nicht in seinem Institut.
Die nahe Kaserne macht militärische Forschung denkbar; und Paulys mehr als 70 wissenschaftliche Publikationen und neun Patente lassen Verwertungabsichten vermuten, der Schriftverkehr zur Bauzeit schließt das aber aus. "Das Gebäude soll als rein wissenschaftliches Privatinstitut und für höhere Lehrzwecke dienen und hat weder eine industrielle noch gewerbliche Bestimmung", teilte der Architekt der Baubehörde mit.
Nach Dienstantritt gleich beurlaubt
Mit dem "Musterinstitut" – so der Architekt – könnte Pauly versucht haben, viele Studenten an sich zu ziehen und hohe Kollegiengelder einzunehmen. Dafür spricht, dass er mit einem Vollzeitangebot von 44 Stunden wöchentlich begann. Verlässlich waren diese "Studiengebühren" aber nicht, denn in den krisenhaften 1920er-Jahren wurde er von einem Fond für Privatdozenten unterstützt; und in den späten 30er-Jahren hatte er zeitweilig nur sehr wenige Studenten.
Entscheidend dürfte gewesen sein, dass Pauly gleich nach Dienstantritt ein Jahr lang beurlaubt werden musste – wegen "Nervenleiden". Ab 1932 brauchte er keine Vorlesungen mehr zu halten – wegen "Sprechschwierigkeiten". Die Autoren einer "Geschichte der Chemie in Würzburg" von 1968 wussten wohl mehr. Sie erwähnen eine unpublizierte, inzwischen unauffindbare "Selbstbiographie" und resümieren, dass sich Pauly das Institut "aus gesundheitlichen Gründen" habe bauen lassen.
Stadt versagte Bauwunsch
In seinem Institut wollte er sich möglicherweise optimale Arbeitsbedingungen schaffen und konnte sich das auch leisten. Er hatte früh geerbt, und seine Frau Maria, geborene von Mosengeil, kam mütterlicherseits aus der Familie des damals ebenfalls in Würzburg lehrenden Mathematikers Friedrich Prym, die als sehr vermögend bekannt war. Diese familiäre Bindung hatten Pauly und seine Frau bewogen, sich in Würzburg niederzulassen.
Als Pauly am 31. Oktober 1950 starb, war er nicht mehr Besitzer des Instituts. Es war 1944 mit dem Grundstück an ein Chemieunternehmen übergegangen, 1954 an die Verlegerfamilie Vogel, die es in unterschiedlicher Weise nutzte, und 2012 an den jetzigen Eigentümer, der Wohnungen bauen wollte. Die Stadt lasse ihn aber nicht bauen, klagte er vor Kurzem. Deshalb wolle er das Grundstück verkaufen.
Zukunft des Gebäudes ungeklärt
Vorerst bleibt also offen, was aus dem Gebäude wird. Was es unmittelbar nach dem Bauabschluss gewesen ist, macht eine bislang nicht bekannte Fotografie aus dem Stadtarchiv sichtbar. Sie zeigt, dass der Kopfbau mit einem markanten rückwärtigen Querhaus korrespondierte. Es hatte ein Dach mit einem antikisierenden Dreieckgiebel und könnte Dr. Wieser zufolge als "offene Loggia" ausgebildet gewesen sein.
Obwohl das Foto nur als Kopie einer Kopie überliefert ist, lässt es erkennen, dass der Baukörper nicht zweiteilig war, wie der jetzige Zustand nahelegt, sondern dreiteilig: mit Kopf- oder Frontbau, mittlerem Labortrakt und rückwärtigem Bau. Der Grundriss gleicht einem Doppel-T-Träger oder der römischen Eins (I), wenn das nicht zu metallbautechnisch oder philologisch gedacht wäre. Die Denkmalschutzbehörde spricht von einer H-Form.
Stilprägende Dekoration
Die große Überraschung an der Hauptfassade ist die – so Wieser – "mächtige, von einem breiten Gewände mit Schlussstein gerahmte Rundbogenöffnung. Sie hat mit den seitlichen Putzfeldern und der Ausschmückung der Attika wohl maßgeblich zum lichten Charakter der repräsentativen Villenfassade beigetragen", vermutet der Architekt. Die Putzdekoration war "sicher farblich gefasst" – vielleicht auch die gerasterte Verglasung.
Die Dekoration wird laut Wieser "stilprägend" gewesen sein und rechtfertige die Bezeichnung "Jugendstilvilla". Der monumentalisierte Segmentbogen geht Stefan Bürger zufolge auf Fensterverdachungen in der Renaissance zurück, das Rundbogenfenster mit Schlussstein zitiere den Barock, im Portikus und dem tempelartigen Spitzgiebel im rückwärtigen Querhaus werde die klassische Bautradition der Antike fortgeführt.
Charakter eines Herrensitzes
Diese Stilmischung bedeute nicht, sagt Bürger, dass der Architekt nur "in die Formenkiste gegriffen" habe – im Gegenteil: "Saalfrank hat offenbar sehr kontrolliert versucht, durch die Überlagerung verschiedener Bautypen Spannungsmomente zu erzeugen und dabei einen vexierhaft oszillierenden Flächen- und Körpereindruck hervorzurufen." Die Schwerfälligkeit der Baukörper sei dadurch wohl überspielt worden.
Mit leichtem Vorlauf schuf Peter Behrens 1909 in Berlin die legendäre Turbinenhalle für AEG und Walter Gropius 1911 in Alfeld das Faguswerk, in denen sich die moderne Zweckarchitektur exemplarisch manifestierte. In Würzburg konnte ein Architekt solche Ideen vielleicht noch nicht aufgreifen. Paulys Institut sollte laut Saalfrank "von dem Charakter eines vornehmeren Wohngebäudes nicht abweichen" – von einem Herrensitz.
Die nur wenig älteren Motive des Jugendstils sind hingegen bis Würzburg vorgedrungen, aber schon als matte Ausläufer, denn die Reformbewegung war nach nur wenigen intensiven Jahren um 1900 schon im Abschwung. Sie konnte die historisierenden Stile nicht ersetzen und die zum bloßen Dekor herabgesunkene Säule auch in der Sedanstraße nicht vom Sockel stoßen.
Text: Helmut Klemm
Ich kann zwar nicht beurteilen wie das Gebäude von Innen aussieht, denke aber dass es darin genügend Platz für Veranstaltungen verschiedenster Art geben sollte.
Es gibt ja schon lange den Wunsch in Würzburg wieder ein soziokulturelles Zentrum zu haben. Wäre doch sehr schade das Gebäude weiter verfallen zu lassen.
Vielleicht findet sich ja doch noch jemand, der über genügend Kleingeld und Motivation verfügt und aus dieser Immobilie wieder eine repräsentative Villa macht. Daß es, gerade in der Zellerau (Frankfurter Strasse 10 als nur ein Beispiel), gelungene Renovierungen gibt, beweist, daß es sich lohnt!