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Würzburg/Albertshofen
Samstagsbrief: Liebe Hermine, Würzburg sollte dir ein Denkmal setzen
Die bekannteste Marktfrau Würzburgs ist tot. Unserem Autor hat sie schon als Kind Karotten geschenkt und ihn später mit ihren Sprüchen zum Lachen gebracht. Ein Abschiedsbrief.
Die Würzburger Marktfrau Hermine Gernert ist im Alter von 85 Jahren gestorben.
Foto: Sebastian Stahl | Die Würzburger Marktfrau Hermine Gernert ist im Alter von 85 Jahren gestorben.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:34 Uhr

Liebe Hermine,

auf dem Würzburger Marktplatz gab es lange Zeit zwei Attraktionen. Nein, nicht das Falkenhaus und die Marienkapelle. Auch nicht den Obelisken oder das Petrini-Haus, die beide irgendwie fehl am Platz wirken. Sondern die "Geknickte mit", also die berühmte Bratwurst mit Senf, und dich, die Marktfrau mit Kultstatus. Eine dieser Attraktionen hat die Stadt nun verloren. Vergangene Woche bist du gestorben und mit dir ein Stück meiner Heimatstadt, ein Teil meiner Kindheitserinnerung.

Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal als kleiner Bub mit meiner Mutter an deinem Stand eingekauft habe. Ich weiß aber, dass es jedes Mal zum Abschied eine Karotte gab – wie beim Metzger eine Scheibe Gelbwurst, nur gesünder. Mit fast 40 Jahren bekomme ich beim Metzger schon lange keine Gelbwurst mehr geschenkt, Hermines Abschiedskarotte habe ich bis zuletzt bekommen.

"Ich bin froh", hast du einmal in einem Werbevideo der Stadt gesagt, "dass ich so nette Kunden hab' und die kommen auch immer wieder." Natürlich kamen sie immer wieder. "Ihre Kunden" und "ihr Markt" waren ihr Leben, schrieb deine Familie vor einigen Tagen über dich. Und das hat man gespürt.

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Deine Herzlichkeit und Ehrlichkeit haben dich bei der Kundschaft beliebt gemacht. Doch zum Kult wurdest du wegen deiner Sprüche. Philosophisch, frech, frivol. Mit deiner knurrigen Stimme, dem Kopftuch und einem Augenzwinkern konntest du dir sowieso fast alles erlauben: Amüsiertes Kopfnicken bei der Kundschaft am Gemüsestand, wenn du übers Alter gesagt hast, das Wichtigste sei, dass man "oben licht und unten dicht" bleibe. Gelächter, wenn du alleinstehenden männlichen Kunden angeboten hast, mit ihnen "mal nei die Disko" zu gehen, um bei der Brautschau zu helfen. Noch mehr Gelächter, wenn du Kundinnen geraten hast, einen Sellerie zu kaufen – weil dann "der Mo dahemm kei Viagra mehr braucht".

Selbst der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war nicht vor dir sicher. Bei einem Besuch in Würzburg 2013 hast du ihm, damals Außenminister a.D. und SPD-Fraktionschef im Bundestag, neben einer herzförmigen Kartoffel ein paar Karotten eingepackt. "Da braucht er keine Brille mehr", hast du gerufen und dem späteren Staatsoberhaupt die Backe getätschelt.

Hermine Gernert im Jahr 2000.
Foto: Stefan Pompetzki | Hermine Gernert im Jahr 2000.

Du wusstest halt, mit wem du deine Späße machen konntest – jahrzehntelange Markterfahrung. Mit neun bist du zum ersten Mal mit deiner Großmutter von Albertshofen im Landkreis Kitzingen in die Stadt auf den Markt gegangen. Mehr als 60 Jahre hast du dann selbst dort Gemüse verkauft. Immer gut gelaunt. Ich habe das bewundert. Vor allem im Winter, wenn du schon frühmorgens grinsend hinter den sorgsam geschichteten Waren standst – und aussahst, als könntest du dich kaum bewegen, weil du geschätzt sieben Schichten Klamotten gegen die Eiseskälte anhattest.

Aber freiwillig zu Hause bleiben? Das wäre dir nie in den Sinn gekommen. "Ich bin ein Feldhas', kei Stallhas'. Ich muss immer ä weng naus", lautete deine Devise. Und überhaupt: "Was soll ich dahemm? Fenster putz', damit ich nausguck kann?" Nein. Dafür warst du viel zu gern unter Leuten und viel zu interessiert an ihnen. Meinen Bruder hast du vor einigen Jahren mal in seiner Gaststätte überfallen: Unangekündigt warst du außerhalb der Öffnungszeiten plötzlich in der Küche gestanden und wolltest mal schauen, was aus dem Gemüse so wird, das er bei dir kauft. Es wurde ein lustiger Nachmittag.

  • Hier finden Sie die Traueranzeige von Hermine Gernert.

Erst spät bist du kürzer getreten, konntest altersbedingt nicht mehr mit auf deinen geliebten Markt. Geholfen hast du im Betrieb trotzdem noch. Beim Rosenkohlputzen zum Beispiel. Die Nachricht von deinem Tod hat viele Würzburgerinnen und Würzburger traurig gemacht.

Einige überlegen nun, wie man der bekanntesten Marktfrau der Stadt ein würdiges Andenken bewahrt. Mehrfach hörte ich in den vergangenen Tagen den Vorschlag, am Unteren Markt eine Hermine-Gernert-Gedenktafel aufzustellen. Ein schöner Gedanke, ich fände das angemessen! Vielleicht überlegt sich das der Stadtrat? Wenn dir diese Idee, die mit diesem Brief nun öffentlich wird, zu viel ist – mach dir nichts draus: Schon bald wickelt deine Familie mit der Zeitung Salatköpfe ein.

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Überhaupt, deine Familie... Vermutlich sorgt sie für die schönste Art, der "Hermine vom Markt" ein Denkmal zu setzen. Inzwischen wird euer familiengeführtes Gartenbauunternehmen in fünfter Generation betrieben. Neulich habe ich deine Tochter am Gemüsestand beobachtet, wie sie einem Kind eine Karotte geschenkt hat.

Mach's gut, liebe Hermine, Ade!

Benjamin Stahl, Redakteur

Persönliche Post: Der "Samstagsbrief"

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
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  • L. W.
    In Nürnberg wurde der

    Marktfrau "Marchared", auch eine langjährige und sehr populäre Marktfrau, ein "bildlich - akustisches" Denkmal gesetzt.

    Nach diesem Vorbild könnte Würzburg der bekanntesten Würzburger Maktfrau auch eine Erinnerung stiften.
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  • G. B.
    In jedem Dorf fehlen die Frääli mit Hulla und Schürzer. Die sind irgendwann in den letzten 20 Jahren ausgestorben.
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  • J. K.
    Vielleicht könnte Würzburg, ähnlich dem dem Viktualienmarkt in München, den Marktfrauen ein Denkmal setzen, denn sie haben Jahrhunderte lang bei Wind und Wetter die Stadt mit frischen Gemüsen, Salat, Kartoffeln und Obst versorgt und mit ihrer forschen Art Leben in die Stadtmitte gebracht.

    Ich könnte mir eine Marktfrau aus Bronze vorstellen, die gerne die Züge von Hermine hat, ohne die Befürchtung, daß unter den anderen Marktleuten Neid aufkäme - schließlich hatten die Würzburger lange Jahre die Figur der Marktbärbel geschätzt, sowohl in der Kolumne der MP wie auch im Fasching.

    Es wäre ein würdiges Dankeschön an alle Marktleute.
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  • F. K.
    Das ist eine ganz hervorragende Idee!! Genau den gleichen Gedanken hatte ich auch: Eine realistisch-figürliche Darstellung, analog dem Mostbäuerle am oberen Markt. Wobei ich mir gerade gar nicht sicher bin, ob es nicht bereits irgendwo auf dem oberen/unteren Markt bereits eine solche Figur gibt, Stichwort Marktbärbl?

    In jedem Fall ist Ihre Idee, damit allen Marktfrauen ein Denkmal zu setzen (mit den Gesichtszügen der Hermine) wirklich toll. Solche Menschen machen das Gesicht einer Stadt aus - sie SIND das Gesicht einer Stadt.
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  • E. H.
    Die Hermine war "DIE Margdfraa!". Jeder der mal bei ihr gekauft hatte, kam immer gerne wieder. Sie war eine Menschenkennerin und -freundin, sie konnte Leute innerhalb von Sekunden einordnen - das war nicht nur jahrelange Übung, das war Intuition, Herzlichkeit und Offenheit.

    Ja, liebe Hermine, Du fehlst jetzt leider für immer, aber vergessen wird man Dich nicht!
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