
Samstagnachmittag ist viel los am Würzburger Marktplatz. Jede Menge Touristen, Wochenendeinkäufer, ein paar schrill Kostümierte, die Christopher Street Day feiern, und die ersten Schoppenfetzer unter den Zelten der „Weinparade“. Potenzielle Wähler zuhauf. Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef im Bundestag, Ex-Außenminister und heute noch einer der beliebsten Politiker im Lande, verteilt gemeinsam mit den örtlichen SPD-Kandidaten rote Rosen.
„Einfach sympathisch“, sagt eine Dame mittleren Alters, nachdem ihr der 57-Jährige eine Rose überreicht hat. Ob sie Steinmeiers SPD am 15. und 22. September auch wählt, will die Krankenschwester aber erst kurz vor knapp im Wahllokal entscheiden. Steinmeier verkörpert für sie die Hoffnung auf eine große Koalition in Berlin. „Damit die Probleme gemeinsam angepackt werden, und nicht immer alle aufeinander einhauen.“ Nur gut, dass der SPD-Fraktionschef da schon weitergezogen ist. Das böse Wort von der großen Koalition mögen sie derzeit nämlich nicht hören, die Damen und Herren von der SPD.
Rosen verteilen, freundlich grüßen und an den Wahltag erinnern, das muss reichen beim zweistündigen Zwischenstopp auf der Tour durch Nordbayern. Steinmeier macht das sichtlich entspannt. Welch ein Hallo, als Hermine Gernert, Würzburgs bekannteste Marktfrau, ihm neben einer Herz-Kartoffel auch noch gelbe Rüben einpackt. „Da braucht er keine Brille mehr“, lacht sie und tätschelt Steinmeier die Backe. Der nächste Passant irritiert mehr: „Viel Erfolg, Herr Steinbrück“, ruft er. „Steinmeier“, verbessert der Kanzlerkandidat von 2009. Der andere merkt es nicht: „Und alles Gute für das Fernsehduell am Sonntag.“ Franken ist eben kein leichtes Terrain für Sozis. Wie gut, dass da noch die Wandergruppe aus Lüdenscheid vorbeikommt und ihn herzlich begrüßt. Heimspiel für den Westfalen Steinmeier.
Am Rande schließlich ein kurzes Gespräch mit dieser Zeitung. Großer Ernst beim Thema Syrien, da ist der Wahlkampf plötzlich ganz fern.
Frank-Walter Steinmeier: Diese syrische Tragödie ist ein Dilemma für die Politik. Es ist unerträglich zuzuschauen, wie Syrien immer weiter im Abgrund versinkt. Aber nicht weniger unerträglich sind die Folgen, die ein Militärschlag für die Gesamtregion hätte. Vorrang müssen die Menschen haben, die unendliches Leid ertragen müssen. Wir müssen die Spaltung der Weltgemeinschaft – vor allem die Differenzen von Amerika und Russland in der Syrien-Frage – überwinden, die der gemeinsamen Verantwortung für ein Ende des Mordens im Wege steht.
Steinmeier: Meine Forderung ist und bleibt: Keine vorschnellen Beschlüsse für einen Militärschlag. Wir müssen einen verhängnisvollen Automatismus vermeiden, aus dem sich die Politik nicht wieder befreien kann, sondern die letzten politischen Möglichkeiten ausschöpfen, die jetzt vielleicht noch bestehen. Der G-20-Gipfel nächste Woche in St. Petersburg muss ein Syrien-Gipfel werden. Ziel muss sein, die USA und Russland dazu zu bringen, endlich gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Mit der Entscheidung von Präsident Obama, einen Militärschlag an die Zustimmung des Kongresses zu knüpfen, ist das Zeitfenster für eine mögliche politische Lösung wieder etwas größer geworden. Wenn Russland gleichzeitig Waffenlieferungen an Syrien storniert, wie zu lesen war, dann steckt in alledem vielleicht ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Steinmeier: Ich sehe keine Position der Bundesregierung. Bis vor drei Tagen haben wir von der Kanzlerin Merkel und dem Außenminister gehört, dass sie eine harte Strafaktion – notfalls auch militärische – gegenüber Syrien unterstützen. Jedenfalls dann, wenn sie von anderen verantwortet wird. Nach dem Nein im britischen Parlament werden die Fahnen gewechselt. Neuerdings treten Westerwelle und Merkel wieder für politische Lösungen ein. Das ist nicht besonders glaubwürdig. Ich vermisse ernsthafte substanzielle Initiativen.
Steinmeier: Die Bundestagswahl ist am 22. September. Mein Eindruck ist, das wissen noch nicht alle. Das bereitet mir Sorgen, deshalb bin ich viel unterwegs. Sie können sicher sein, bis zum 22. September werde ich nichts anderes tun, als die Menschen davon zu überzeugen, erstens zur Wahl zu gehen und zweitens ihr Kreuz an der richtigen Stelle zu machen. Über alles andere danach denke ich nicht nach.
Steinmeier: Ich finde es falsch, den Menschen einzureden, dass drei Wochen vor der Wahl das Rennen gelaufen sei. Das hat nur die Folge, dass sie das Wahllokal erst gar nicht betreten. Am Ende entscheiden nicht die Umfragen, sondern die Wählerinnen und Wähler im Wahllokal. Und so lange sie nicht entschieden haben, lehne ich auch jedes Gerede über die SPD in der Opposition oder großen Koalition ab. Wir wollen regieren, nicht mitregieren oder opponieren.
Steinmeier: Ich habe als Fraktionsvorsitzender eine verantwortungsvolle Aufgabe, die ich nicht ganz ohne Erfolg, aber vor allen Dingen mit Lust und Freude erfülle. Im Übrigen bin ich nicht in Not, ich bin gern das, was ich bin.
Steinmeier: Ob Sie es mir glauben oder nicht: Viel mehr als wir Politiker machen sich Journalisten Gedanken über unsere, auch über meine Zukunft. Jeder Politiker kennt das Risiko, auch mal nicht gewählt zu werden. Wer nur fürs eigene Amt kämpft, wird keine gute Politik machen können. Ich streite für eine Regierung, die endlich wieder was will und was tut. Das Land ist zu lange im Stillstand. Wir müssen es jetzt auf eine Zukunft vorbereiten, die schwieriger wird. Die Bürger haben es verdient, gerade in Fragen der Lasten der Euro-Krise, die Wahrheit vor dem Wahltag zu erfahren. Dafür steht die gegenwärtige Regierung nicht. Es ist Peer Steinbrück, der Klartext redet. Und das ist gut fürs Land.