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München
Samstagsbrief: Herr Aiwanger, wie wär's mit impfen statt schimpfen?
Siehste mal, der traut diesen Impfungen auch nicht. Warum die "persönliche Entscheidung" des Vize-Ministerpräsidenten ziemlich unglücklich ist - und seine Ausflucht riskant.
'Ich bin kein Impfgegner. Wer sich impfen lassen will, möge es tun', sagt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). Er selbst will es nicht.
Foto: Kay Nietfeld, dpa | "Ich bin kein Impfgegner. Wer sich impfen lassen will, möge es tun", sagt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). Er selbst will es nicht.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:59 Uhr

Sehr geehrter Herr Aiwanger, autsch. Das tat weh. Nein, nicht der Stich mit der Impfnadel. Der vielbeschworene Pieks ist so schwach, den werden Sie, seien Sie versichert, so gut wie nicht spüren. Was weh tat, war das, was Sie da vor einer Woche nach der Kabinettssitzung zum Impfen sagten.

Ja, sicher, es war eine fiese Nummer vom Mann, dessen Stellvertreter Sie sind. Sie da vor versammelter Münchner Presse bloßzustellen, auflaufen zu lassen. Und öffentlich zur Rechtfertigung zu drängen, warum Sie sich (noch) nicht gegen das Coronavirus haben impfen lassen – nicht so nett. Es gebe da ein paar, die da "noch seltsame Gefühle" hätten. "Vielleicht sagst du selber was dazu, warum du dich nicht impfen lassen willst", hähmte Markus Söder zu Ihnen herüber. Und dann haben Sie ein bisschen was dazu gesagt.

Dass Impfen eine "persönliche Entscheidung" sei nämlich. Ja, absolut, wer wollte Ihnen da widersprechen. Eine persönliche Entscheidung, bewusst und frei. "Dabei sollte es bleiben", haben Sie dann im selben Satz aber noch angefügt – da wurde es schmerzhaft und problematisch. Denn leider ist diese Impfung gegen das Virus, das seit anderthalb Jahren weltweit das Leben bestimmt, keine reine Privatsache.

Ihre Impf-Ausreden klingen wie Hohn

Für jemanden, der gerade mit Pflaster auf dem Oberarm vom Arzt kommt, weil er den öffentlichen Appellen und Aufrufen zur großen kollektiven Impf-Kampagne folgte, klingen Ihre Impf-Ausreden wie Hohn. Herr Aiwanger, es gibt Menschen, die hadern mit sich, die zögern, die überlegen. Die ignorieren Risiken nicht, denen ist das Hin und Her bei den Impf-Empfehlungen nicht egal – und Sie melden sich im Impfzentrum oder beim Hausarzt trotzdem an. Trotz aller persönlichen Unsicherheit. Nicht, weil sie für sich selbst große Angst vor einer Ansteckung hätten, nachdem sie Vorsicht und angemessenes Verhalten gelernt haben in diesen anderthalb Jahren Pandemie. Nicht, weil sie unbedingt wieder bedenkenlos Party machen, feiern, ohne Maßnahmen weiterleben wollten wie früher.

Sie nehmen das Grummeln im Bauch vorher - und wenn's blöd kommt, die zwei, drei Kopfschmerz-Schüttelfrost-Fieber-Tage im Bett nachher - nicht vorrangig zum eigenen Schutz in Kauf. Sondern tatsächlich aus Gemeinsinn. Aus Bürgerpflichtgefühl.

Impfen ist eine solidarische Handlung. Impfen ist oberstes Gebot. So proklamiert es die Staatsregierung, seit Monaten. Blöd nur, dass der Freistaat bei der Impfquote vergleichsweise nicht so gut dasteht. Wenn der stellvertretende Ministerpräsident dann sagt, dass er sich das erst mal "ein paar Wochen und Monate" anschauen will und ihm das alles noch zu unsicher sei . . . Dann ist das höchstens solidarisch mit den Corona-Leugnern, Pandemie-Verharmlosern, Anti-Impf-Esoterikern, mRNA-Misstrauern und Vakzin-Gegnern. Mit denen, die immer noch meinen, es wäre am besten, sich eben mal selber anzustecken. Weil, als Genesener hätte man eh den besten Schutz. Der Aiwanger, der bayerische Vize-Ministerpräsident, lässt sich nicht impfen? Siehste mal, schau an.

Persönliche Entscheidung ja - aber für einen Minister auch eine politische Entscheidung

Politiker taugen bekanntlich nicht immer zum sozialen Vorbild. In der Pandemie aber, Herr Minister, müssen es Mandatsträger und Amtsinhaber unbedingt sein. Wenn Sie erst mal abwarten wollen – auf was? Auf die vierte Welle? Überlastete Intensivstationen im Herbst? Noch ein paar Mutationen? Darauf, dass Covid-19 eine ganz normale Krankheit wird wie Influenza und Magen-Darm? Die vielen Impfmüden und Impfträgen, denen zwei Wege zum Hausarzt zu weit sind, warten offenbar mit.

Dass es eine vierte Infektionswelle in Deutschland geben wird, scheint klar. Die Frage ist nur: Wie steil wird die Kurve sein? Die Modellrechnungen, die das Robert Koch-Institut (RKI) am Montag vorgelegt hat, sind ziemlich eindrucksvoll. Je mehr Menschen sich impfen lassen und sich weiter vorsichtig und vernünftig verhalten, desto kleiner ist die Welle. Aber: 85 Prozent vollständig Geimpfte in der Altersgruppe der Zwölf- bis 59-Jährigen – bis Herbst! - und mindestens 90 Prozent bei der älteren Bevölkerung müssen laut RKI schon sein. Die Szenarien im anderen Fall – man will sie am liebsten gar nicht wissen.

"Ich muss die Impfung erst mal nicht haben", haben Sie nach dem Impfgipfel gesagt. Echt nicht? Herr Aiwanger, Sie müssen nicht vor den Kameras die Ärmel hochkrempeln. Müssen nicht twittern und kein Foto vom Stempel im Impfpass posten. Aber wenn Sie sich wirklich gegen die Impfung entscheiden, dann sollten Sie dringend aufhören, ständig über Schutzmaßnahmen zu schimpfen, voreilig Lockerungen durchzusetzen, noch mehr Öffnungen und Freiheiten zu fordern und für Bayerns Bürger die Normalität auszurufen.

Falls Sie als freier Impf-Wähler sich doch noch in politischer Solidarität eine Spritze setzen lassen wollen, mit oder ohne ganz persönlichen Grund: Es sollen jetzt bayernweit ganz unkompliziert viele Termine frei sein. Sie wären bestimmt gleich dran.

Mit besten Impfehlungen,

Alice Natter, Redakteurin

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  • P. S.
    Herrn Aiwanger hat ohne jeden Zweifel das Recht sich nicht gegen das Corona-Virus impfen zu lassen.

    Aber wie kann er dann stv. Ministerpräsident im Kabinett des Sonnenkönigs Markus Söder bleiben, dessen Lieblingssatz seit Beginn der Pandemie lautet "Wir müssen das Impftempo erheblich steigern"???

    Antwort: Machterhalt, Geld, und die Altersbezüge als stv. Ministerpräsident sind für Politiker 1000 Mal wichtiger als Authentizität und das Wohl des Volkes.

    Es gibt in ganz Europa kaum noch Politiker, die Sich immer so geben, wie es ihrem Charakter und ihrer Überzeugung entspricht und dabei offen und ehrlich zu sich und zu ihrer Persönlichkeit stehen.

    Der einzige wirklich authentische Politiker den ich kenne ,ist Bundes­ent­wick­lungs­minister Gerd Müller (CSU). Aber der hat jetzt auch vor dem Haifischbecken der Lobbyisten, Agrarindustrie, Globalisierungsbefürworter, usw. kapituliert und zieht sich frustriert aus der Politik zurück.
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  • B. F.
    sämtliche Regeln, gelten nur fürs Volk, nicht für die Politiker
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  • I. E.
    Alltours hat heute als Reise- und Urlaubskonzern verkündet, dass ab 1.11. in den konzerneigenen Hotels nur noch Personen einchecken dürfen, die entweder genesen oder geimpft sind - negativ getestet gilt nicht mehr! (Ausnahme Kinder und Jugendliche von 2-17 Jahren - die müssen bei Ankunft einen aktuellen PCR-Test vorlegen, der natürlich auch negativ sein muss - und am ersten oder zweiten Tag nach der Ankunft wird erneut ein PCR-Test fällig)
    In die Richtung wird sich Vieles entwickeln, es wird einfach Vieles nur noch möglich sein für Personen, die geimpft sind - und wer sich nicht impfen lassen will, darf das dann halt nicht!
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  • F. S.
    Zweiklassen Gesellschaft
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  • I. E.
    Kann man in diesem Fall durchaus so sehen - aber es kann sich ja jeder entscheiden, zu welcher Klasse er gehören will, oder?
    Es ist die freiwillige Entscheidung eines jeden - Impfung ja oder nein - aber: wenn nein, dann auch mit den entsprechenden Konsequenzen!
    Hab ich zumindest kein Problem damit.
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  • H. H.
    ... Zulassung oder keine Zulassung oder Zulassung was auch immer, eigentlich geht's doch nur um die Regulierung der Impfschäden! Wer zahlt was?
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  • Veraltete Benutzerkennung
    early_morning_2021

    Von welchen „Impfschäden“ sprechen Sie?

    Bitte benennen mit Quellennachweis und nicht einfach etwas behaupten!
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  • W. S.
    Quellen? Jede Menge Schwurbler-Telegram-Kanäle!😏
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  • H. H.
    Oberschwurbler! Habe ich leider nicht.
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  • H. H.
    Fragen Sie Ihre gewählte Regierung! Entweder Verschlusssache oder Europäische Datenschutzrichtlinie.
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  • E. B.
    Frau Natter hat völlig recht. Wir müssen uns nach und mit Corona mal ernsthaft Gedanken darüber machen, wo die eigene Freiheit aufhört und die der anderen beginnt; und wo die Verantwortung für die Allgemeinheit anfängt, die jeder von uns hat, auch wenn es manchen nicht gefällt. Vorteile will jeder - aber bloß nichts dafür tun - und wer zur "alten" Normalität zurück möchte, sollte mit einer Impfung helfen, damit alle dahin zurück können.
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  • I. E.
    Ich kann den Vorsitzenden der kassenärztlichen Vereinigung Bayern nur unterstützen: Freiheit für geimpfte - und eben weiterhin Einschränkungen für ungeimpfte Personen (bis hin zum Verbot von Urlaub, weil nicht fliegen dürfen, Beherbergungsverbot etc)

    Es hat jeder das Recht zu wählen, ob er/sie geimpft werden will - aber dann auch die Konsequenzen zu tragen!
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  • I. E.
    Sorry - war nicht Bayern, war Rheinland-Pfalz - ändert aber nix an der Aussage!
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  • H. S.
    Söder hat völlig recht, wenn er da a bissl Duck macht.
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  • H. M.
    @Albatros: "Wenn die Regierung und Brüssel im Thema Impfstoff nicht kläglich versagt hätten, könnten längst all Jene geimpft sein, welche sich für diesen Schutz entscheiden." Jetzt ist aber genug Impfstoff da!! Und trotzdem lassen viele ihren Impftermin verfallen. Vielleicht weil Urlaub wichtiger ist?
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  • R. B.
    Offensichtlich wollen sich diese Menschen nicht impfen lassen, ist das so schwer zu verstehen. Das Risiko müssen diese Leute für sich selbst ausmachen. Es gibt keine Impfpflichtig und das ist auch gut so.
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  • H. M.
    @early-morning-2021: "Bedenken gegen einen Impfstoff, der nur eine bereits abgelaufene Notfallzulassung hat."
    Was Sie schreiben ist schlichtweg FALSCH!!! In der EU gibt/gab es keinen Impfstoff der eine Notfallzulassung hat/hatte! Die Impfstoffe wurden alle ordnungsgemäß zugelassen. Die Gründe dafür liegen in Haftungsfragen! Bitte erst richtig informieren und keine fake news verbreiten!
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