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WÜRZBURG
Psychologin zu „Drachenlord“: Online ist so real wie Offline
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:55 Uhr

Die Belagerung des „Drachenlords“ hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Hunderte Menschen protestierten am Montag in Emskirchen (Lkr. Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim) gegen den umstrittenen Youtuber. Hintergrund ist der seit Jahren schwelende Streit zwischen dem „Drachenlord“, der auf seinem Kanal mit Videos über sein Leben und zum Teil extremen Ansichten provoziert, und seinen Kritikern, die ihn ihrerseits beschimpfen und beleidigen. Der Fall zeige deutlich, dass „die Welten zwischen Online und Offline verschwimmen“, sagt die Würzburger Medienpsychologin Astrid Carolus. Und wie schnell Hass im Netz unterschätzt werden kann.

Wie entstehen solche Hass-Phänomene im Internet?

Bei internetbasierter Kommunikation ist es generell viel einfacher, Wut zu äußern. Es ist einfacher, Zuhause hinter dem Bildschirm hasserfüllte Kommentare zu tippen, als jemandem gegenüber zu treten und es ihm direkt ins Gesicht zu sagen. Im Gegensatz zu Auseinandersetzungen in der Offline-Welt, kann mit online ja erst einmal gar nichts passieren. Das ist ein Grund dafür, warum provokante Auftritte wie der des ,Drachenlords‘ die Eskalationsspirale so stark beschleunigen. Oft werden sehr schnell mehrere Ebenen übersprungen und die Diskussion findet gleich auf einem extremen Niveau statt. Dann bildet sich rasant eine Art Online-Mob. Das besondere im Fall des ,Drachenlords‘ ist, dass dieser sich in Teilen in einen Offline-Mob verwandelt hat. Das passiert relativ selten. Meistens bleibt ein solcher Mob in der Online-Welt, versteckt hinter einer vermeintlichen Anonymität.

Und warum ist der Hass in diesem Fall aus der virtuellen Welt nach Emskirchen geschwappt?

Der ,Drachenlord‘ hat ein paar Verhaltensbesonderheiten gezeigt, die das Ganze getriggert haben. Erstens hat er seine Adresse preisgegeben. Das war die Grundvoraussetzung dafür, dass jemand dort auflaufen konnte. Meine Vermutung: Die Konsequenzen wird er unterschätzt haben. Mit dieser Form von Menschenauflauf vor seiner Tür wird er nicht gerechnet haben. Zweitens hat er nicht de- sondern immer weiter eskaliert. Auch da denke ich, er hat sehr wahrscheinlich nicht mit diesen Konsequenzen gerechnet. Jetzt ist sein Youtube-Kanal offline. Er scheint hier die Notbremse zu ziehen. Damit wirkt die Offline-Realität auf sein Verhalten online zurück. Das zeigt aus psychologischer Sicht die Nähe zwischen Online und Offline.

Wie konnte es überhaupt passieren, dass so viele Menschen einen einzelnen Youtuber hassen?

In Kommentarspalten entwickelt sich oft eine Gruppendynamik, der sich viele User nicht entziehen können oder nicht entziehen wollen. Wenn ich sehe, dass schon 500 andere User den ,Drachenlord‘ beleidigt und beschimpft haben und ich mich als Teil der Gruppe fühle, dann kann das dazu führen, dass nicht mehr meine persönlichen Wertvorstellungen mein Verhalten leiten, sondern die der Gruppe. Das hatten wir in diesem Fall in Emskirchen offline auch. Die Gruppennorm lässt sich dabei irgendwo zwischen ,wir machen uns mal einen Riesenspaß und blenden die Konsequenzen aus‘ und einer hochgeputschten Hassaktion verorten. Wahrscheinlich würde sich niemand alleine vor das Haus stellen und den ,Drachenlord‘ beleidigen, so wie das auch online keiner machen würde.

 

Anzeige für den Anbieter YouTube über den Consent-Anbieter verweigert

 

Warum aber hat der ,Drachenlord‘ selbst den Hass immer wieder angeheizt?

Wahrscheinlich hat er das unterschätzt. Er hat nicht gedacht, dass die Leute wirklich kommen. Und: Wir müssten auch einmal darüber nachdenken, wem das eigentlich etwas bringt. Der ,Drachenlord‘ generiert damit Aufmerksamkeit und wird mit jedem Klick Geld verdienen.

Begünstigen also Plattformen wie Youtube, Facebook und Co. Hass im Netz?

Sie begünstigen Hass insofern, als dass sie ihn nicht unterbinden beziehungsweise noch nicht sehr erfolgreich unterbinden. Computervermittelte Kommunikation funktioniert generell anders als face-to-face-Kommunikation, auf die wir programmiert sind. Und diese Unterschiede bewirken eben wie gesagt, dass sich Ärger und Wut schneller hochschaukeln und eskalieren können. Aber wichtig ist auch: Dies ist ein extremer Einzelfall. Jeden Tag werden Millionen Videos bei Youtube hochgeladen – aber es gibt keinen Mob, der durch ganz Deutschland zieht und bei jedem Youtuber anklopft.

Wie ernst muss man Hasskommentare im Netz nehmen?

Hass im Netz kann genauso schlimme Folgen haben wie Hass offline. Menschen reagieren mit realen Gefühlen, nur sind diese eben medial vermittelt. Wir stehen immer noch ein bisschen auf dem Stand, ach, das ist ja nur im Internet. Aber tatsächlich ist es das nicht. Tatsächlich können Dinge, die online passieren, psychologisch genauso relevant sein wie das, was offline passiert.

In Emskirchen gab es ein Versammlungsverbot, trotzdem ließen sich die sogenannten „Hater“ (Hasser) nicht abschrecken. Lässt sich derart eskalierender Hass überhaupt verhindern?

Facebook, Youtube, Twitter und Co. bekennen sich immer mehr zur Verantwortung. In Sachen ,etwas dagegen tun‘, haben wir aber noch Luft nach oben. Das wird im Moment stark diskutiert, weil der Punkt, Online ist nicht real, einfach nicht mehr gilt. Online ist genauso real wie Offline. Da Lösungen zu finden, ist auf vielen Ebenen relevant. Es sind einerseits die Anbieter der Plattformen gefragt, aber auch die Politik und der einzelne User. Wenn wir uns an die eigene Nase fassen: Wo schreiben wir was? Wo achten wir aufeinander? Schauen wir weg oder melden wir Verstöße? Das ist eine grundsätzliche Frage: Wie wollen wir uns als Gesellschaft verhalten und aufstellen. Und das kann auch Youtube allein nicht lösen.

Dr. Astrid Carolus (geboren 1982) studierte Psychologie unter anderem mit dem Schwerpunkt Medien- und Organisationspsychologie an der Universität des Saarlandes. 2010 wechselte sie an das Institut Mensch-Computer-Medien der Uni Würzburg, seit 2013 leitet sie hier das Projekt „Cyberpsychology“. Ihr Fokus liegt auf internetbasierter Kommunikation, insbesondere den Anwendungen des Social Web.

 
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  • Hans Friedrich Schulz
    Dass die Hasskommentare im Internet zunehmen und massiver werden liegt meines Erachtens an der "doppelten" Anonymität. Zum einen, wie im Artikel gut beschrieben, sitze ich abstrakt vor meinem PC und nicht persönlich dem anderen gegenüber. Zum anderen schreiben viele "user" dazu noch anonym unter einem Fantasienamen ihre Kommentare und negativen sowie Hassbeiträge.
    Ich denke, wenn sich jeder auch im Internet mit seinem Namen nur äußern könnte, würde sich mancher seine Wortwahl gründlicher überlegen und es würden weniger Hassbeiträge erscheinen.
    Hier müsste die Politik handeln. Im Grundgesetz heißt es, die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Freiheit des Einzelnen endet da, wo die Freiheit und Würde des anderen dadurch eingeschränkt wird.
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  • p-koch-dettelbach@t-online.de
    Online ist momentan bei uns noch irrer als Offline, in USA ist man da schon weiter.
    Der Wahnsinn ist aber grundsätzlich immer und überall.
    Real oder irreal ist eh scheissegal In einer postfaktischen Zeit.
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