Als an diesem Dienstagmorgen am Landgericht Würzburg ein Angeklagter über einen Ausschlag an seinen Händen klagt, ahnt wohl noch niemand, dass die Verhandlung dadurch eine überraschende Wendung nehmen wird. Im Dezember hat der Prozess wegen versuchten Mordes begonnen, jetzt hätte das Verfahren eigentlich zügig weitergehen sollen.
Im Januar 2023 soll der angeklagte 33-Jährige in Kitzingen den Freund eines Mitbewohners auf der Couch in der Wohngemeinschaft mit einem Küchenmesser von hinten angegriffen haben. Die Stiche in Rücken, Nacken und Arme seien für den 38-Jährigen "unvorhersehbar" gewesen, schildert eine Ermittlerin an diesem dritten Verhandlungstag. Nur "zufällig" habe angesichts der rund 20 Stichverletzungen "keine konkrete Lebensgefahr" bestanden, führt ein rechtsmedizinischer Sachverständiger aus. Innere Organe seien nicht betroffen gewesen.
Rätsel um Motiv: Angst vor sexuellen Übergriffen?
Das Motiv des Angriffs bleibt rätselhaft. Er habe Angst vor einem weiteren sexuellen Übergriff gehabt, sagt der Angeklagte. Zu Prozessbeginn hatte er angegeben, er sei zum Zeitpunkt der Tat nach einer Behandlung mit Thrombose-Spritzen transsexuell gewesen. Er habe "etwas Neues ausprobieren" wollen, ihm seien Brüste gewachsen und mehrere Männer hätten ihn deshalb vergewaltigt – darunter auch der 38-Jährige.
Die Männer, die meisten davon Mitbewohner, bestreiten einen sexuellen Übergriff. Ehemalige Nachbarn und andere Bekannte haben den Aussagen zufolge keine körperliche Veränderung bei dem Angeklagten bemerkt. Und der medizinische Gutachter schließt einen Zusammenhang zwischen den Spritzen und der Transsexualität aus. Er habe keine Verletzungen feststellen können, die eindeutig auf eine Vergewaltigung hindeuten, sagt der Arzt. "Das heißt aber nicht, dass keine Vergewaltigung stattgefunden hat."
Ist der Angeklagte aus Kitzingen schuldfähig?
Einer psychiatrischen Gutachterin zufolge liegen bei dem 33-Jährigen keine psychiatrischen Erkrankungen vor: keine Schizophrenie, keine wahnhaften Störungen, nichts, was an der "Einsichts- und Steuerungsfunktion" des Angeklagten zweifeln lasse. Inwiefern ein mutmaßlicher Täter etwaiges Unrecht einsehen und entsprechend handeln kann, ist für die Frage nach der Schuldfähigkeit im Strafrecht wichtig.
Dass sich Fremdwahrnehmung und Selbstwahrnehmung von körperlichen Eigenschaften unterscheiden, sei "auch im Kontext der Transsexualität nicht unüblich", sagt die Sachverständige. "Ich würde das nicht pathologisieren." Wirre Ankündigungen des Angeklagten, einen Geist heiraten zu wollen oder die Energiekrise durch das Bohren eines Loches in die Würzburger Festungsmauern lösen zu können, sei auf seinen Drogenkonsum zurückzuführen.
Mitten in die Ausführungen der Gutachterin hinein, sagt der Angeklagte zur Überraschung aller Prozessbeteiligten, er sei im Gefängnis während der Untersuchungshaft in Nürnberg von Insassen mit einem Buttermesser bedroht und vergewaltigt worden.
Psychiatrische Sachverständige empfiehlt weiteres Gutachten
Weil diese Schilderung nicht mit einer psychiatrischen Erkrankung in Einklang zu bringen sei, empfiehlt die Sachverständige eine neurologische Untersuchung der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit des Angeklagten. Am Nachmittag sind die Hautausschläge des Angeklagten dann erneut ein Thema. Denn nicht nur an den Händen habe er Hautveränderungen ausgemacht, auch im Intimbereich habe er Warzen und Entzündungen.
"Syphilis könnte alles erklären", sagt die psychiatrische Gutachterin, die sich die Hautveränderungen zeigen lässt. Ein Symptom der Geschlechtskrankheit seien "szenische Halluzinationen", die auch die Wahrnehmung einer Vergewaltigung erklären könnten. Doch für diese Diagnose sei ein anderer Sachverständiger notwendig. Der Angeklagte ist mit dem Eingriff zur neurologischen Untersuchung einverstanden.
Weitere Verhandlungstermine nötig
Angesetzt war nur ursprünglich noch ein weiterer Verhandlungstag mit einem Urteil am 15. Januar. Weil die Untersuchung des Angeklagten voraussichtlich länger dauern wird, muss das Gericht nun weitere Termine finden. Die Verhandlung wird am 23. Januar um 14 Uhr fortgesetzt.