Der 61-Jährige auf der Anklagebank ist kein Unbekannter: 2013 wurde der schon damals einschlägig vorbestrafte Kaufmann S. in einem aufwendigen Prozess wegen Betrugs zu sechs Jahren und wegen Steuerhinterziehung zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Seine Einsicht damals wie heute, nach Verbüßen der Haftstrafe: nicht vorhanden.
Nun wurde ihm wegen Postings im Netz und E-Mails Beleidigung, Verleumdung und falsche Verdächtigung in neun Fällen der Prozess am Amtsgericht Würzburg gemacht. Seine beiden ehemaligen Pflichtverteidiger, eine Anwältin und ein Anwalt aus Würzburg, sowie ein früherer Geschäftspartner, ein Würzburger CSU-Stadtrat, hatten Strafanzeige gestellt.
S. nutze den Prozess am Mittwoch, um längst Verhandeltes wieder auf den Tisch zu bringen - und einen großen Haufen alter, dreckiger Wäsche zu waschen.
Angeklagter S. ärgert sich immer noch über früheres Urteil gegen ihn
Der Hintergrund: Mit neuartigen Blockheizkraftwerken versprach S. Anlegern 2011 Traumrenditen von bis zu 50 Prozent durch Einspeisegewinne und sammelte 2,7 Millionen Euro an Investitionen ein. Der Aufsichtsrat der "Quadrosol AG", so der Name der Firma, war prominent besetzt: Ein ehemaliger Bundesminister gehörte dem Kontrollgremium an, ein Würzburger, damals wie heute für die CSU im Stadtrat, hatte gar die Funktion des Aufsichtsrats-Vorsitzenden inne.
Das Problem: Die Kraftwerke, die den großen Geldsegen versprachen, gab es nie. Sie waren Teil einer ausgetüftelten Betrugsmasche. Als der Schwindel aufflog, ging die AG pleite und die Anleger leer aus. Außer S. selbst, der als alleiniger Aktionäre die Geschicke der Firma lenkte, hatte damals keiner im Aufsichtsrat davon Wind bekommen, dass die Dinge krumm laufen - so hat es das Gericht 2013 entschieden.
S. wurde als einziger Verantwortlicher verurteilt, gegen seine ehemaligen Geschäftspartner wurden die Ermittlungen damals wieder eingestellt. Akzeptiert hat S. das Urteil bis heute nicht.
Postings im Netz und diffamierende Mails mit Verleumdungen
Seinem Ärger machte er 2019 Luft: In mehreren Postings auf öffentlichen Plattformen im Netz hatte S. behauptet, die zwei Würzburger Juristen hätten ihn "an die Justiz verkauft", das Gericht belogen, sich der Freiheitsberaubung schuldig gemacht und Beweismittel zu seinem Nachteil unterschlagen. Auch Parteiverrat warf er den beiden vor.
In Mails an hochrangige Kommunalpolitiker - darunter Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt und den früheren Landrat Eberhard Nuß - und diverse Medienvertreter bekam der Stadtrat sein Fett weg: S. behauptete in den Mails, dieser habe eine hohe Bereitschaft, Schwarzgeld anzunehmen und außerdem Spesenbetrug begangen.
"Er war mit meiner Verteidigung anscheinend nicht ganz zufrieden", äußert sich der Jurist bei der Verhandlung im Zeugenstand gelassen über die Online-Bewertungen. Als "Frechheit" bezeichnet die ehemalige Pflichtverteidigerin das Geschriebene. "Es hat mir irgendwann gereicht", sagt der Stadtrat. Er weist die Vorwürfe von S. zurück und erzählt von "tausenden Mails" mit diffamierendem Inhalt, die S. verschickt haben soll.
S. ist sich sicher: Pflichtverteidiger war nicht auf seiner Seite
Ist etwas dran an den Vorwürfen, die S. den Dreien macht? Laut Gericht nicht. Sowohl gegen seinen ehemaligen Verteidiger als auch den Stadtrat hatte S. in den vergangenen Jahren mehrere Strafanzeigen gestellt. Sie alle wurden eingestellt.
Trotzdem ist sich S. bis heute sicher: Sein Pflichtverteidiger wollte ihn absichtlich hinter Gitter bringen und habe die Verteidigung eher im Sinne des besagten Stadtrats und den restlichen Personen im Quadrosol-Aufsichtsrat als im Sinne seines Mandanten geführt.
Vor dem Amtsgericht Würzburg wäscht S. dreckige Wäsche von früher
Im Prozess stellen S. und seine Verteidigerin eine bohrende Frage nach der nächsten. Es scheint, als wollten sie längst verhandelte Fälle neu aufrollen, statt die im Raum stehenden Vorwürfe zu behandeln.
S. gräbt tief im Korb mit der dreckigen Wäsche der vergangenen Jahre: Es geht um angebliche unabgesprochene Treffen seines Anwalts und des Stadtrats mit betrogenen Aktionären, angebliche 100.000 Euro Schwarzgeld, die der Stadtrat verliehen habe. Und es geht um E-Mails, in denen die Rede von Schweizer Konten sein soll und die auch einen ehemaligen, mittlerweile verstorbenen Bundesminister aus Würzburg belasten.
Keine Klage hatte je Bestand - trotz Ungereimtheiten
"Ich blick' hier nicht mehr durch, das ist alles nicht verfahrensrelevant", wirft die Richterin irgendwann ein und mahnt an, beim eigentlichen Thema der Verhandlung zu bleiben - also den beleidigenden Mails und Postings. Sowohl bei den Aussagen des Pflichtverteidigers als auch bei denen des Stadtrats kommen zwar manche Ungereimtheiten zur Sprache - sie alle eint, dass sie längst gerichtlich untersucht wurden und keine Klage Bestand hatte.
Irgendwann reicht es dem Staatsanwalt: "Sie sind ein rechtskräftig verurteilter Betrüger, sehen Sie es endlich ein", sagt er laut in die Richtung des Angeklagten. Den Antrag, eine weitere Zeugin zu hören, die gegen den ehemaligen Pflichtverteidiger aussagen soll, lehnt das Gericht ab.
Nach vielen Stunden steuert die Verhandlung aufs Ende zu. "Der Angeklagte kommt nicht damit klar, verurteilt zu sein und sucht augenscheinlich die Schuld bei anderen", sagt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Was Postings im Internet betrifft, gelte zwar der Grundsatz der Meinungsfreiheit - aber auch die habe Grenzen und dürfe nicht zur Schmähkritik werden. Dies sei hier allerdings geschehen.
Der Staatsanwalt plädierte daher auf schuldig und für eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung - denn zum Tatzeitpunkt befand sich S. bereits in dreifacher offener Bewährung. Die Verteidigerin von S. hingegen plädierte auf Freispruch, ebenfalls auf dem Rücken der Meinungsfreiheit.
Staatsanwaltschaft hat bereits Berufung eingelegt gegen das Urteil
Bei der Urteilsverkündung atmet der Angeklagt dann kurz auf: Ins Gefängnis muss er nicht noch einmal. Allerdings verhängt die Richterin eine saftige Geldstrafe: 340 Tagessätzen à 60 Euro, insgesamt 20.400 Euro, muss er zahlen. Für S. hat die Richterin einen klaren Rat: "Ziehen Sie endlich einen Schlussstrich unter die alten Sachen." Zum Wäschewaschen kommt S. an diesem Tag also nicht mehr.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. „Wir haben Berufung eingelegt,“ erklärte Thorsten Seebach, Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf Anfrage.