
Im April 2022 kam es auf der Rastanlage Würzburg-Süd zu einem blutigen Streit zwischen zwei Lastwagenfahrer aus der Ukraine - mit fast tödlichem Ausgang. Knapp ein Jahr später stehen die Richter am Landgericht Würzburg vor einem schwierigen Prozess mit ungewissem Ausgang: Der Angeklagte versteht kaum Deutsch, das Opfer, das im Kriegsgebiet wohnt, kann nicht zum Prozess kommen. Ob wichtige Augenzeugen überhaupt wissen, dass sie als Zeugen erwartet werden, ist ungewiss. Die damaligen Ermittlungen sind, wie der Vorsitzende Thomas Schuster andeutet, nicht immer von gewünschter Klarheit.
Laut Anklageschrift von Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach kam es am Nachmittag des 16. April 2022 an der Raststätte Würzburg-Süd zunächst zu einem Wortgefecht zwischen dem 37-jährigen Angeklagten und einem Landsmann. Der Wortwechsel wurde immer aggressiver, "wobei sich die beiden Beteiligten auch gegenseitig in das Gesicht schlugen".
Drei Stiche mit dem Küchenmesser
Der Angeklagte sei dann zu seinem Fahrzeug gegangen "und kehrte kurze Zeit später mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von zwölf Zentimetern zurück". Dann versetzte er laut Anklage seinem Gegner "ohne rechtfertigenden Grund einen Stich in den linken Unterbauch, einen Stich in den linken Oberarm sowie einen Stich in den Hinterkopf, der den Schädelknochen erreichte".
Der Oberstaatsanwalt geht von tödlicher Absicht aus: Durch die Stiche habe der Angeklagte "aus Verärgerung über den vorangegangenen Streit" seinen Gegner töten wollen, "wobei er nach dem dritten Stich irrig davon ausging, sein Ziel erreicht zu haben", machte der Ankläger deutlich.
Andere Lkw-Fahrer eilten dem Schwerverletzten zu Hilfe
Das Opfer erlitt durch die Stiche mit dem Messer klaffende Wunden, wobei die Verletzung am linken Arm so stark blutete, "dass zwischenzeitlich zu befürchten war, der Geschädigte werde verbluten". Er wurde mit dem Krankenwagen in die Universitätsklinik verbracht, wo die Wunden operativ versorgt wurden.
Andere Lkw-Fahrer eilten dem Opfer zu Hilfe. Da floh der Tatverdächtige zu seinem Lkw, mit dem er - trotz erheblicher Trunkenheit - den Rastplatz verlassen wollte. Dies gelang ihm jedoch nicht, weil sein Fahrzeug von anderen Lastwagen-Fahrern blockiert und er so an der Weiterfahrt gehindert wurde. Die Ermittler gehen angesichts einer später festgestellten Alkoholisierung von 1,6 Promille davon aus, "dass er nicht in der Lage war, ein Fahrzeug sicher zu führen". Er sitzt seit dem Tag in Untersuchungshaft.
Es droht ein langwieriger Prozess
Nun soll sich der 37-Jährige wegen der Trunkenheitsfahrt auf der deutschen Autobahn verantworten - vor allem aber wegen versuchten Totschlages. Das Landgericht ist sich aber bewusst, dass aus dem Fall ein langwieriger Prozess mit ungewissem Ausgang werden könnte - bis man Opfer und Zeugen herbeibringt und ein Gutachten darüber Auskunft gibt, ob der Angeklagte bei dem Alkoholpegel vermindert schuldfähig war.
Daneben könne die Beweisaufnahme auch Notwehr oder einen Rücktritt von der versuchten Tötung ergeben, betont Verteidiger Jan Paulsen, der an Verletzungen am Auge seines Mandanten erinnert. Er hält zum Prozessauftakt eine Bewährungsstrafe für denkbar. Sein Mandant will vor allem eines: So schnell wie möglich raus aus der U-Haft und heim zu seiner Familie in der Ukraine.
Bisher ist laut dem Vorsitzenden nicht absehbar, welche Zeugen tatsächlich zu dem dreitägigen Prozess erscheinen. "Die Situation ist für alle Beteiligten unglücklich", sagt er. Vom Freispruch bis zu einer längeren Haftstrafe sei vieles denkbar. In der Situation entschließen sich die fünf Richter der Schwurgerichtskammer zu einer pragmatischen Vorgehensweise: Um zu einer Lösung zu kommen, macht das Gericht einen Kompromissvorschlag.
Richter erwarten eindeutiges Geständnis
Die Richter erwarten ein eindeutiges Geständnis des Angeklagten zu den Stichen, in dem er sich nicht auf Notwehr beruft, sowie Angaben zur vorhergegangenen Trunkenheitsfahrt. Dann würden die Zeugen nicht gebraucht. Das Gericht könnte den Fall bereits am zweiten Verhandlungstag abschließen - möglicherweise mit einer Haftstrafe im gerade noch bewährungsfähigen Bereich von zwei Jahren.
Noch ist ungewiss, ob unter diesen Rahmenbedingungen ein schnelles Geständnis folgt. Der Prozess wird am 27. Januar fortgesetzt.