zurück
Würzburg
Prozess um Drogenhandel, Gewalt und Folter in Würzburg: Ein schwankender Zeuge und ein qualvolles Video
Dieser Prozess am Landgericht Würzburg gibt schmerzhafte Einblicke in die Drogenszene. Am Mittwoch wollen Angeklagte "auspacken" - doch bleiben stumm. Was das bedeutet.
Wegen ungewohnt grausamer Geschäftspraktiken steht eine Dealerbande jetzt vor Gericht - wegen der vielen Beteiligten nicht im Würzburger Justizzentrum. Der eigens angemietete Saal des CVJM-Heims wird zur Kulisse für das ungewöhnliche Verfahren.
Foto: Thomas Obermeier | Wegen ungewohnt grausamer Geschäftspraktiken steht eine Dealerbande jetzt vor Gericht - wegen der vielen Beteiligten nicht im Würzburger Justizzentrum.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 24.03.2024 02:41 Uhr

Nicht im zu kleinen Würzburger Strafjustizzentrum, sondern im Haus des Christlichen Vereins junger Menschen (CVJM) geht es an diesem Mittwoch um völlig unchristliche Themen: um Drogenhandel im Kilobereich. Und, wie es in der Anklage heißt, das brutale Quälen junger Menschen, die den mutmaßlichen Dealern Geld schuldeten.

Sechs Angeklagte mit 13 Anwälten, fünf Richter, die Protokollführerin und zwei Staatsanwälte füllen den Raum – und drei Dutzend Zuschauer. Leise klirrende Fußketten erlauben den sechs jungen Männern nur kurze trippelnde Schritte in den provisorischen Gerichtssaal. Ob sie in diesem Moment eine Vorstellung davon bekommen, wie hilflos sich in manchen Nächten die Opfer gefühlt haben? 

Der Vorwurf: Drogendealer als Ankläger, Richter und Henker

Mehrfach sollen die heutigen Angeklagten selbst Ankläger, Richter und Henker "gespielt" haben. Einer von ihnen hatte bereits am ersten Verhandlungstag vor der Jugendkammer des Landgerichts Würzburg zugegeben, bei einem solchen brutalen nächtlichen Vorgang dabei gewesen zu sein, ohne einzugreifen.

Massive Drohungen und "schwere Gewaltanwendungen" gegen Zeugen

Die anderen Beschuldigten schweigen bisher. Und es soll drohende Anrufe bei einigen der Familien im Zuschauerraum gegeben haben, auch weiter den Mund zu halten, heißt es aus den Reihen der Anwälte. Die Anklage formuliert es so: "Teilweise werden Zeugen unter massiven Drohungen und schwerer Gewaltanwendung dazu genötigt, Betäubungsmittel zu verkaufen und den Gewinn an die Gruppierung abzugeben."

Der 25-jährige mutmaßliche Chef der Bande fühlte sich auf dem Vereinsgelände seines Würzburger Fußballclubs offenbar auch nachts wie zu Hause. Als Führungsspieler träumte er nach eigenen Aussagen vom Aufstieg. Sein Spitzname, der vor Gericht im Zeugenstand genannt wird, taucht wiederholt auch in Spielberichten des Bayerischen Fußball-Verbandes auf.

Anklage: Folter mit Feuerzeug und heißem Wachs, Prügel und Todesdrohungen

Beispielhaft nennt die Anklage einen Vorfall aus dem Sommer 2021: Ein junger Mann mit angeblichen Drogenschulden von 2500 Euro sei nachts zum Sportheim bestellt, gefesselt und ausgezogen worden. Dann sollen die ihn Umringenden geprügelt, getreten, mit glühenden Zigaretten traktiert sowie mit einem brennenden Feuerzeug und heißem Kerzenwachs gefoltert haben.  Am Ende habe der 25-Jährige gedroht: "Wenn du der Polizei was verrätst, bringen wir dich und deine ganze Familie um."

Das CVJM-Heim in Würzburg wird zum Gerichtsort, an dem sich eine sechsköpfige mutmaßliche Dealerbande verantworten soll. Selbst der größte Saal im Würzburger Justizzentrum ist zu klein für dieses Verfahren, das Einblicke in die brutale Rauschgiftszene bietet.
Foto: Thomas Obermeier | Das CVJM-Heim in Würzburg wird zum Gerichtsort, an dem sich eine sechsköpfige mutmaßliche Dealerbande verantworten soll.

Der Angeklagte selbst schüttelt bei der Verlesung dieser Passage nur leise lächelnd den Kopf. Aber die Drohung wirkte offenbar: Der Geschädigte erstattete keine Anzeige und geriet erst in den Fokus, als er einen Unfall verursachte und die Polizei im Wagen Drogen fand.

Verteidiger attackieren den Zeugen scharf

Er wirkt im Zeugenstand widersprüchlich und ängstlich. Unter scharfen Fragen der Verteidiger Hanjo Schrepfer und Roj Khalaf duckt er sich immer wieder weg, weicht aus, beruft sich auf Erinnerungslücken. "Haben Sie Angst?", fragt der Vorsitzende Richter Michael Schaller, wie er dies auch schon den einzig Geständigen unter den sechs Angeklagten gefragt hatte.

Schaller bekommt an diesem Mittwoch keine Antwort. Der Zeuge, der mehrfach bei den Angeklagten Kokain gekauft haben will, beruft sich immer dann auf Erinnerungslücken, wenn er konkret den 25-Jährigen belasten soll.

Auch einige der Angeklagten hatten vor dem Verhandlungstag erkennen lassen, dass sie "auspacken" wollen. Doch jetzt kommt ein Rückzieher nach dem anderen: "Wir sind noch am Überlegen", sagt Verteidiger Jochen Bauer. "Mein Mandant wird nun doch keine Einlassung abgeben", erklärt Anwalt Christian Mulzer. Leise staunend fragt der Richter: "Hat es über Nacht Bedenken geregnet?"

Dokument der Brutalität: Handy-Video erschüttert

Hätten die angeklagten Dealer die Folteraktion auf dem Fußballplatz nicht gefilmt, gäbe es noch größere Zweifel. Das Handy-Video wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt. Danach verlassen Beteiligte mit angeekelten Mienen den Sitzungssaal.

Es wird nicht der einzige Film bleiben, den sich das Gericht anschauen muss. Der Prozess wird am 3. April fortgesetzt.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Manfred Schweidler
Angeklagte
CVJM
Folter
Landgericht Würzburg
Morddrohungen
Polizei
Prügel
Zeugen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Julia Seubert
    Natürlich haben die Opfer Angst, auszusagen, nachdem was die schon abbekommen haben und was ihnen angedroht wurde. Wer weiß, was ihnen sonst noch blüht von Seiten der Dealer. Die haben ja ein Netzwerk und wenn einer ausgeschaltet ist, handelt dann der nächste in deren Namen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Helga Scherendorn
    Wer glaubt, dass Zeugen nicht beeinflusst und bedroht werden, freut sich auch auf ein Treffen mit dem Osterhasen!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Manfred Englert
    Wieder mal ein spektakulärer Prozess in WÜ, der mit großer Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit begleitet wird.

    Verteidiger? Einer ist bei solchen Anlässen und Angeklagten immer vorne dabei!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Georg Ries
    Fußfesseln? Da wird aber wieder mal über das Ziel hinausgeschossen von Richtern und Staatsanwälten. Menschenunwürdig!!! 😉😂

    Zynismus aus.

    Mich wundert, dass noch nicht so oder ähnlich über die Justiz hergezogen wurde!!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Albrecht Schnös
    Weltstadt
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Albrecht Schnös
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Albrecht Schnös
    Weltoffen
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Albrecht Schnös
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Albrecht Schnös
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten