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Würzburg
Plötzlich Funkstille, völlige Distanz: Ein verlassener Vater erzählt, wie sein eigenes Kind den Kontakt abbrach
Während des Studiums der Bruch: Ein erwachsenes Kind will den Vater nicht mehr sehen. Wie kommt es dazu und was tun? Ein Mann aus Unterfranken schildert, wie es ihm ging.
Warum? Für die Eltern ist der plötzliche Kontaktabbruch von Tochter oder Sohn ein Schock, für Kinder ist es meist eine lange überlegte Entscheidung. 
Foto: Getty Images | Warum? Für die Eltern ist der plötzliche Kontaktabbruch von Tochter oder Sohn ein Schock, für Kinder ist es meist eine lange überlegte Entscheidung. 
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 29.03.2025 02:33 Uhr

Sein Kind hat den Kontakt zu ihm abgebrochen. Vor zehn Jahren, ganz plötzlich. Offenbar nach einer persönlichen Krise und einer psychotherapeutischen Behandlung, sagt der Vater. Für ihn sei das aus heiterem Himmel gekommen. Zum Gespräch im Café bringt er zerknitterte Notizen und verblasste Fotografien. Und erzählt, was dieser Kontaktabbruch für ihn bedeutet.

Zum Schutz seiner ganzen Familie nennen wir hier keine Namen. Der Mann ist um die 70 Jahre alt, lebt in einem kleinen Ort in Unterfranken. Dass er keinerlei Verbindung mehr zu seinem erwachsenen Kind haben kann, macht ihn traurig – und wütend.

Streit in der Familie, zerbrochene Ehe - da war das Kind zehn

Sein Kind sei 1985 geboren worden. "Zehn Jahre später ist meine Ehe zerbrochen", erzählt der Vater. Seine Augen schweifen kurz ab, als suche er in der Ferne die verlorenen Jahre. Er zeigt ein Foto aus dieser Zeit. "Es gab nur noch Streit", erinnert er sich. Die Trennung sei unvermeidbar gewesen. Seinem Kind, damals zehn Jahre alt, sei das sehr nahe gegangen. "Es wollte immer vermitteln. Kinder wünschen sich immer, dass die Eltern zusammenbleiben."

In den Jahren nach der Trennung habe das Kind unter der Woche bei der Mutter gelebt. Die Wochenenden verbrachte es meist bei ihm, erzählt der Rentner. Mit der Zeit hätte sich die familiäre Dynamik verändert, die Spannungen zwischen Kind und Mutter hätten zugenommen. Irgendwann sei der Teenager ganz zu ihm gezogen. "Wir hatten eigentlich immer ein gutes Verhältnis. Wir standen uns sehr nahe."

Offenbar das Studium abgebrochen - und wegen Depressionen und Ängsten in Therapie 

Was allerdings immer wieder zu Konflikten geführt habe, seien seine neuen Partnerinnen gewesen. "Keine von ihnen wurde akzeptiert." Nach dem Abitur sei sein erwachsen gewordenes Kind dann in eine WG gezogen, habe mit dem Studium begonnen. Zunächst sei alles gut gelaufen. "Doch irgendwann war dann der Studienabbruch, kurz vor dem Abschluss."

Er sei besorgt gewesen. Freunde seines Kindes hätten ihm von psychischen Kämpfen, Depressionen und Ängsten berichtet. Und einer Therapie.

"Wir hatten eigentlich immer ein gutes Verhältnis"
Ein Vater, den sein Kind verlassen hat

Eines Tages sei sein erwachsenes Kind dann vor ihm gestanden. "Die Augen voller Vorwürfe. Ich sei an allem schuld." Der Vater schüttelt resigniert den Kopf. Sein Kind habe gesagt, dass es den Kontakt abbrechen will. "Ich habe zugegeben, dass ich nicht immer alles richtig gemacht habe, aber ich habe stets mein Bestes gegeben, um ihm trotz der schmerzhaften Trennung ein stabiles Zuhause zu bieten."

Von Selbsthilfegruppe für verlassene Eltern gehört und Hilfe gesucht 

Wie kommt es, dass erwachsene Kinder sich scheinbar plötzlich von ihren Eltern abwenden?

Schätzungen zufolge sind es in Deutschland etwa 100.000 jedes Jahr, die tatsächliche Zahl könnte weit höher sein. Er selbst habe lange gedacht, er sei der Einzige, dem "so etwas passiert", sagt der Vater im Café. Dann hätten Bekannte ihm erzählt, dass ihre erwachsene Tochter auch nicht mehr mit ihnen spreche. "Ich habe mir Hilfe gesucht, mit zwei verschiedenen Therapeutinnen gesprochen und ich bin seit einigen Jahren Mitglied in einer Selbsthilfegruppe."

In der Selbsthilfegruppe habe er von Fällen gehört, wo Töchter oder Söhne nach einer Psychotherapie die Verbindung abgebrochen hätten. "Manche Therapeuten suchen zu schnell die Ursachen seelischer Probleme ihrer Patientinnen und Patienten bei den Eltern und raten zum Kontaktabbruch", vermutet der Rentner deshalb.

Medizinischer Psychologe: In der Psychotherapie geht es um Verständnis für Problemkonstellation 

"Es ist keinesfalls üblich, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu Trennungen raten", erklärt dagegen Prof. Heiner Vogel, Psychologe am Zentrum für Psychische Gesundheit in Würzburg und Mitglied im Vorstand der bayerischen Psychotherapeutenkammer. Vielmehr gehe es in der Psychotherapie darum, ein besseres Verständnis für die Problemkonstellation und ihre Entwicklung zu erlangen, sagt Vogel: "Wir stabilisieren die Patientinnen und Patienten und unterstützen sie dabei, Lösungen zu entwickeln."

Direkte Ratschläge seien selten sinnvoll, erklärt der Medizinische Psychologe: "Wichtiger ist, dass der Klient selbst Wege zur Lösung seiner Probleme findet und der Psychotherapeut ihn dabei unterstützt. Oft sind Beziehungsstrukturen kompliziert und vielfältig. Meistens sollte man gemeinsam mit allen Beteiligten nach einer Lösung suchen."

Die Treffen mit anderen Eltern, die ähnliches erlebt hatten, würden ihm guttun, sagt der verlassene Vater nachdenklich. "Viele schämen sich, darüber zu sprechen. Man fühlt sich doch irgendwie verantwortlich. Man glaubt, die anderen könnten denken, man sei ein schlechter Mensch. Denn warum sollte das eigene Kind sonst den Kontakt abbrechen?“

"Viele Eltern schämen sich, darüber zu sprechen."
Ein Vater, dessen Kind den Kontakt völlig abbrach

Psychologe Heiner Vogel sagt: "Wenn Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen, geschieht das meist nicht spontan oder leichtfertig." Oft gehe ein langer Leidensweg voraus, den die Eltern möglicherweise nicht wahrnehmen würden. "Die Suche nach einem Schuldigen bringt selten etwas." Erfolgversprechender sei es, zu überlegen, wie man selbst zur Verbesserung der Beziehung beitragen kann, erklärt Vogel: "Das gelingt nur, wenn alle Beteiligten an eine gemeinsame Lösung glauben und bereit sind, daran zu arbeiten." Wolle das jemand nicht, "dann muss man das respektieren, auch als Psychotherapeut".

"Ich habe viel getan, viel geopfert", sagt der Vater. "Aber vielleicht sieht man am Ende nur die Fehler." Was sein Kind jetzt macht? Er wisse es nicht genau. Ab und zu würde er in der Stadt Bekannten des Kindes begegnen. "Manche erzählen etwas, andere nicht." Er weiß nicht, ob sein Kind psychische Erkrankung überwunden hat, ob es berufstätig ist. Und er weiß nicht, ob er womöglich Enkelkinder hat.

Zur Mutter sei der Kontakt ebenfalls abgebrochen worden. Er selbst verstehe sich mit seiner früheren Frau mittlerweile wieder. Sie beide würden hoffen, dass irgendwann die Distanz schwindet. "Ich schreibe meinem Kind zum Geburtstag und zu Weihnachten." Er versichere in seinen Briefen, sein Kind zu lieben - und immer offen für ein Gespräch zu sein.

Bislang seien alle Briefe ohne Antwort geblieben.

Infos und Kontakt:  In Würzburg und Schweinfurt gibt es mehrere Selbsthilfegruppen und Treffen für verlassene Eltern. Informationen gibt es zum Beispiel unter www.verlassene-eltern-wue.com oder per Mail an verlassene-eltern-sw@gmx.de. 

 
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  • Martin Deeg
    Der Vater hier hat einen großen Vorteil: egal wie belastet die Situation war und ist, es besteht dennoch eine durch gemeinsame Jahre entstandene Bindung! Das ist kaum Trost, dennoch....

    Die gemeinsamen Jahre, die gemeinsamen Erlebnisse, Interaktionen, Gefühle (ob positiv oder negativ) sind da, d.h. auch das Kind, das den Kontaktabbruch für sich beschlossen hat, trägt lebendige innere Bilder des Vaters und der Mutter in sich. Es geht darum, dass Kinder verstehen, dass dieses innere Bild eines Elternteils weder "gut" noch "böse" ist - sondern eigene innere Anteile repräsentiert: die Ablehnung des Elternteils ist auch die Ablehnung eigener innerer Anteile, die nach außen projiziert werden, auf das Elternteil, die Eltern.

    Diese Zerrissenheit, Ergebnis von tiefsitzender Verlustangst und Schuld, kann aufgelöst werden - sobald sie verstanden wurde und das Kind den Mut hat, sich dem zu stellen anstatt die negativen Gefühle nach außen zu projizieren.

    Auch Therapeuten sollten dies wissen!
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  • Martin Deeg
    ...."Die Trennung sei unvermeidbar gewesen."....

    Wenn den Kindern vorgelebt wird, dass "Trennung" die Lösung aller Probleme sei, dann ist es wenig überraschend, wenn Kinder dieses Konfliktmodell übernehmen und später selbst so ihre Verlustängste und Schuldgefühle zu bewältigen versuchen.

    Psychotherapeuten sind auch nach meiner Erfahrung Teil des Problems - es geht nur um die akute Gefühlslage: was jahrzehntelange Ausgrenzung, Kontaktabbruch und nur am tagesaktuellen Wohlbefinden ausgerichtetes Verhalten an langfristigen Folgen beim Einzelnen und gesellschaftlich anrichtet, wird weitgehend ausgeblendet und rationalisiert.

    Wir sind längst eine Gesellschaft, die geprägt ist von sozialer Isolation und Rückzug, Einsamkeit und Bindungslosigkeit, Nachkommen einer Kriegsgeneration, die unfähig zur Kommunikation war, alles wurde verdrängt.

    Das Leid von Trennungs-Eltern und Kindern kann all das Wissen kaum lindern - aber Psychotherapeuten, Juristen und Lobbyistinnen haben regen Zulauf....
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