Er ist überall. Er bestimmt unseren Alltag. Und sein Öko-Image ist miserabel: Kunststoff. Dazu hat mit vielen Schlagzeilen auch das Mikroplastik in den Weltmeeren beigetragen, das weltweit ein großes Problem geworden ist. Parallel dazu hat die Politik plakativ der Plastiktüte, dem Plastikstrohhalm oder dem To-Go-Plastikbecher den Kampf angesagt.
Doch der umweltbewusste Laie ahnt es: So, wie wir heute leben, werden wir das Plastik nicht mehr los. Expertinnen und Experten bestätigen diese Vermutung. Deshalb gehe es jetzt sowohl um den intelligenten und damit umweltschonenden Umgang mit Kunststoffen als auch um deren ökologischere Zusammensetzung.
Eine Welt ohne Plastik ist mehr als unwahrscheinlich
So denkt man jedenfalls im Kunststoffzentrum SKZ in Würzburg. Dort zerbrechen sich Expertinnen und Experten den Kopf in erster Linie darüber, welche Eigenschaften Plastik künftig haben muss und was das für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeuten wird. Das SKZ arbeitet vor allem mit der Kunststoffindustrie zusammen und hat über die Region hinaus eine Vordenker- und Prüffunktion in diesem Bereich inne. Für die Branche ist das Zentrum in mancher Hinsicht gar eine Art TÜV rund um Kunststoffgegenstände.
Wird es irgendwann überhaupt wieder eine Welt ohne Plastik geben? "Nicht mal ansatzweise", ist sich SKZ-Leiter Martin Bastian sicher. Im Gegenteil: Der Anteil an Kunststoffen in unserem Alltag werde eher weiter zunehmen. Um weltweit vier Prozent pro Jahr, ergänzt Hermann Achenbach, der in dem Würzburger Institut Gruppenleiter für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ist.
Beim Gelben Sack gibt es Verbesserungsbedarf
Seiner Ansicht nach spitzt sich die Debatte zu sehr auf das Thema Mikroplastik im Meer zu. Wichtig seien aber auch Ansätze an anderer Stelle: Das Sortiersystem in Deutschland rund um den Gelben Sack müsse verbessert werden. Schließlich sei das Erdöl-Produkt Kunststoff in diesem Abfall zu 70 Prozent nicht verwertbar.
Das deckt sich grob mit anderen Einschätzungen: Etwa 50 Prozent des Plastikmülls in den Gelben Säcken müssten verbrannt oder deponiert werden, ist in Fachkreisen sowie vom Umweltbundesamt übereinstimmend zu hören. Die anderen rund 50 Prozent werden zu Rezyklaten, also zu Kunststoffgranulat, das zum Beispiel für Parkbänke verwendet wird.
Beim SKZ gibt es derweil Erkenntnisse, was man diesem Rezyklat noch zugeben kann, damit das wiederverwertete Plastik ökologischer daherkommt: Schalen von Reis und Eiern, Abfallholz oder Olivenkerne. Jeweils fein zermahlen werden die Naturmaterialien dem flüssigen Brei aus Abfallkunststoff untergemischt. Entstanden seien daraus zum Beispiel schon Spielzeugfiguren oder Kabel-Verteilerschächte im Straßenbau, erläutert Bastian.
Welche Marktchancen dieser Kunststoff mit Öko-Anteil hat, lässt Bastian offen. Der Spielzeughersteller Lego setzt bereits auf Alternativen: Die Dänen forschen mit Hochdruck daran, all ihre Klötzchen spätestens 2030 erdöl- und damit plastikfrei herzustellen.
Für Institutsleiter Bastian ist indes klar, wie künftig der optimale und nachhaltige Umgang mit Kunststoffen aussehen sollte: "Unsere Vision ist eine Kreislaufwirtschaft." Heißt: Jeglicher Kunststoff wird zu hundert Prozent wiederverwertet, es bleibt nichts davon als Abfall übrig. Dass das vielleicht schon in 30 Jahren klappt, "davon bin ich felsenfest überzeugt", so Bastian.
Textilindustrie gehört zu den größten Umweltsündern
Doch bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg. Das zeigt beispielsweise die Entwicklung in der Textilindustrie: Schätzungen zufolge werden weltweit pro Jahr 50 Milliarden Tonnen an Textilien hergestellt – drei Viertel davon landen früher oder später im Müll.
Und damit auch jede Menge Plastik, bestehen viele Kleidungsstücke doch ganz oder teilweise aus Kunststoffen wie Polyester oder Polyamid. Deren Recycling sei kompliziert und stehe "noch ganz am Anfang", sagte Ende Oktober Sprecherin Annette Mark vom Münchener Unternehmensverbund "Wear2Wear", der einen Textilkreislauf anstrebt.
Nachholbedarf gibt es auch in anderer Hinsicht: Deutschland hinkt bei der Forschung rund um das Plastik der Zukunft anderen Ländern hinterher. Das jedenfalls legte das Europäische Patentamt Mitte Oktober in einer Studie dar. Insbesondere bei Patenten für chemische oder biologische Recyclingverfahren habe die Bundesrepublik Nachholbedarf.
SKZ-Chef Martin Bastian sieht beim Umgang mit Kunststoffen aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Pflicht: "Wir wissen mittlerweile: Jedes Lebensmittel, das kaputt geht, ist schlechter als eine zweite Plastikverpackung." Will heißen: Es landet zu viel Essbares auf dem Müll, nur weil es mangels effektiver Verpackung – meistens eben aus Plastik – vergammelt.
Bastian beruft sich dabei auf Untersuchungen aus Österreich, die im Februar 2020 in einem Leitfaden für Verpackungsindustrie, Lebensmittelverarbeiter, Einzelhandel und Politik zusammengefasst wurden. Neben dem Bundesumweltministerium hatten in dem Nachbarland bei der Erstellung des Leitfadens aber auch die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen, die Rewe-Gruppe, ein Institut für Abfallwirtschaft, ein Chemie-Forschungsinstitut sowie ein Verbund von 400 Kunststoff-Unternehmen ihre Finger im Spiel.
Dennoch gibt das Werk nach Ansicht von SKZ-Chef Martin Bastian wichtige Denkanstöße in Richtung Plastik der Zukunft. So kommen die Österreicher zu dem Schluss, dass die Vermeidung von Lebensmittelabfällen den ökologischen Fußabdruck der Menschheit um acht Prozent senkt. Dieser Effekt sei um ein Vielfaches größer als bei der Vermeidung von Umweltschäden durch Verpackungen.
Unterdessen machen Bio-Kunststoffe zum Beispiel mit Bestandteilen aus Mais oder Zuckerrohr von sich reden. Laut Umweltbundesamt führen sie auf dem Verpackungsmarkt noch ein Schattendasein und sind nicht per se biologisch abbaubar. Es würden sich demnach "die Umweltauswirkungen nicht wesentlich verbessern", wenn statt herkömmlichem Plastik eine Bio-Variante verwendet wird.
Kunststoffbranche arbeitet an einem "digitalen Produktpass"
Alles in allem bleibt für Martin Bastian vom SKZ die Erkenntnis: "Eine Welt ohne Kunststoff wird es nicht geben." Mikroplastik etwa in Kosmetikartikeln oder Plastikverpackungen allein des Designs wegen verurteile er. Es müsse grundsätzlich darum gehen, den Einsatz und vor allem die Wiederverwertung von Kunststoffen zum Optimum zu bringen, ergänzt SKZ-Gruppenleiter Hermann Achenbach.
Deshalb werde in der Branche zurzeit an einem "digitalen Produktpass" gearbeitet. Er soll beispielsweise mit Hilfe eines Scanners Informationen über die Inhaltsstoffe eines Kunststoffgegenstandes liefern, sodass dessen Wiederverwertung verbessert werden kann.
Bei einem Schritt in diese Richtung unterstützt das SKZ interessierte Unternehmen: Diese können mit Hilfe des Würzburger Instituts in das von der EU geförderte Projekt "Di-Plast" einsteigen. Sie werden dann vor allem bei der Frage unterstützt, wie sie mehr Recycling-Kunststoff in ihrer Produktion einsetzen können. Das Projekt läuft noch bis 2022.