
"Im Fruhjahr 1683 bricht ein Mann zu einer Reise um den halben Erdball auf, von der er nie mehr zuruckkehren wird. Aber das hat er auch gar nicht vor" – so wird auf der Webseite von ArtCon das eben erschienene Buch von Markus Grimm "Franz Daniel Pastorius – das Leben eines Aussteigers" beworben. In seinem Werk bringt Grimm dem Lesenden einen Mann näher, der viel mehr als lediglich der erste deutsche Siedler auf nordamerikanischen Boden war. Im Gespräch mit dieser Redaktion verrät Grimm, wie er historische Stoffe lebendig werden lässt – und wie ihn Corona als Stadtschreiber ausgebremst hat.
Frage: Von Ihnen ist ein neues Buch erschienen: "Franz Daniel Pastorius – das Leben eines Aussteigers". Pastorius wurde in Sommerhausen geboren und ist der erste deutsche Besiedler Nordamerikas. Wie kam die Idee zum Buch?
Markus Grimm: Den Namen Pastorius hatte ich schon vor längerer Zeit gehört. Auf den ersten Blick habe ich nur ein paar dürre Daten über ihn gefunden, so dass ich zuerst nicht so richtig gezündet habe. Seit ich Stadtschreiber von Sommerhausen bin, ist nochmal eine andere Verbindung zu Pastorius entstanden. Zusammen mit Herbert Löw vom ArtCon-Verlag entstand die Idee zu einem Projekt über Pastorius. Bei der Recherche bin ich auf eine große, über 100 Jahre alte Monografie eines amerikanischen Professors gestoßen. Er hat auch in Sommerhausen recherchiert und konnte in Archiven forschen, die es heute nicht mehr gibt, weil sie im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Da war also doch Material – und plötzlich hat sich Pastorius als äußerst facettenreich und menschlich gezeigt, mit allen möglichen Wünschen, Entwicklungen und Rückschlägen.
War die Monografie die Grundlage für Ihr Buch?
Grimm: Entlang der Monografie konnte ich mich gut orientieren – auch, was die biografischen Etappen von Pastorius angeht – und auf die Quellen zugreifen. Das Internet war dabei eine gigantische Hilfe. Mit einer gründlichen Google-Recherche stößt man auf Original-Dokumente und Faksimiles. Es gibt unglaublich viel von Pastorius: Manuskripte, Briefe, veröffentlichte Bücher. Im Internet findet man auch eines von Pastorius' großen Manuskriptwerken, den "Bee-Hive"; außerdem den "Pastorius Reader" eines deutschstämmigen amerikanischen Professors, in dem die großen und wichtigen Werke von Pastorius aufgelistet sind.

Wie entsteht aus den Daten und Werken Pastorius' eine lebendige Biografie?
Grimm: Dafür braucht man Hintergründe – für das Eigentümliche der Epoche, das Zeitkolorit. Die Geschichte spielt zu Zeiten des 30-jährigen Krieges und danach. Dazu habe ich viel gelesen. Zu Volkskundlichem, gerade was fränkische Dörfer betrifft, gibt es einige Werke. Für die Geschichte ist dieses Wissen wichtig, um ein atmosphärisches Bild zu erhalten, wie es sich damals angefühlt haben könnte.
Sie schildern eindrucksvoll Pastorius' Überfahrt nach Amerika ...
Grimm: Dafür habe ich recherchiert, wie Übersee-Fahrten damals abliefen. Zehn Wochen lang auf einem Schiff – was war das für ein Schiff, wie muss man sich das vorstellen? Von Pastorius selbst ist einiges überliefert: wie lange die Überfahrt gedauert hat, dass alle seekrank waren, dass der Mast gebrochen ist. Das flankiert man mit Details aus anderen historischen Reiseberichten und nähert sich so einem wahrscheinlichen Verlauf an. Natürlich ist das Ganze nicht dokumentarisch, sondern der Versuch, zu zeigen, wie es gewesen sein könnte.
Was fasziniert Sie an Pastorius?
Grimm: Ich habe gestaunt, was er alles geleistet hat und mit welcher Konsequenz er zu Werke gegangen ist. Überraschend war, dass es auch Rückschläge gab. Vom Ablauf der Ereignisse her kann man den Eindruck gewinnen, dass alles wie am Schnürchen lief. Pastorius muss ein zielstrebiger Typ gewesen sein, aber es gab auch Moment des Zweifels. Etwa, als seine Frankfurter Freunde, die nach Amerika nachkommen wollten, dies nicht getan haben. Es gibt Selbstberichte von Pastorius, in denen er sagt, dass er nicht weiß, ob er die Situation ohne seine amerikanischen Freunde William Penn und Thomas Lloyd durchgehalten hätte.
Welches seiner Werke hat Sie am meisten beeindruckt?
Grimm: Sensationell ist der "Bee-Hive", auf Deutsch Bienenstock, eine Art Lexikon kaum vorstellbaren Ausmaßes, das aus einer Sammlung Tausender alphabetisch sortierter Stichworte besteht und faksimiliert im Internet zu finden ist. Pastorius hat das Werk angefangen, als er in den USA angekommen ist. Es ist nur in einer handschriftlichen Manuskript-Fassung vorhanden und niemals veröffentlicht worden. Pastorius hat das Ganze ausschließlich für seine beiden Söhne geschrieben. Wie die Bienen hat Pastorius verschiedenstes Wissen gesammelt: Beschreibungen zu Landsleuten, Natur, Pflanzen, außerdem Zitate und Aphorismen.

Welche Bedeutung hat Pastorius für Sommerhausen?
Grimm: Die Sommerhäuser wissen, dass es Pastorius gab und kennen das Pastoriushaus am Plan. Die Größenordnung, in der Pastorius einzusortieren wäre, ist aber, glaube ich, niemandem klar.
Ist das in Amerika anders?
Grimm: Dort ist Pastorius bekannter als hier, aber auch nicht gigantisch bekannt. Es gibt das Phänomen, dass Menschen, die Außergewöhnliches leisten, wieder aus dem Bewusstsein verschwinden – und vielleicht ein paar hundert Jahre später wieder auftauchen. Das kann man bei Pastorius nur hoffen. Er ist einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten bzw. dessen, was später mal die Vereinigten Staaten werden. Pastorius hat die deutsche Nordamerika-Auswanderung begründet. Er hatte Kontakt zu William Penn, der Pennsilvanien gegründet hat. Und: Der erste dokumentierte Protest gegen die Sklaverei in Nordamerika stammt von Pastorius.
Was hat Pastorius angetrieben, nach Amerika zu gehen?
Grimm: Ihm ging es vor allem um Freiheit und Gleichberechtigung – beides hat er zuhause nicht mehr vorgefunden. Seine Grundmotivation war es, die abendländische Kultur, wie er sie hierzulande nach dem 30-jährigen Krieg als mangelhaft erlebt hat, nach Amerika zu transportieren und sie dort zu verbessern. Aus dieser inneren Überzeugung heraus hat er ein komplett neues Leben angefangen.
Melden Sie sich mit dem Buch auch in Ihrer Funktion als Stadtschreiber zurück?
Grimm: Ich habe das Buch als Stadtschreiber geschrieben, und zugleich ist es eine Initiative von Herbert Löw von ArtCon und von mir. Was die Stadtschreiberei angeht, hat Corona einiges zerschossen. Ich hatte 2019 eine Veranstaltungsreihe angefangen und auch für 2020 und 2021 ein Literaturfestival geplant. Corona hat mir ein bisschen den Schneid abgekauft. Es gab keine Veranstaltungen mehr, keinen Kontakt mehr zum Publikum. Das war wie beim 100-Meter-Lauf zu starten – und nach zehn Metern wird plötzlich abgepfiffen. Insofern ist das Pastorius-Projekt der Versuch, einen neuen Anfang zu setzen.