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Würzburg
Organspende: "Hirntod-Diagnose zu 100 Prozent verlässlich"
Vielen Menschen bereitet die Organspende Unbehagen. Dabei werden in der Medizin Organe dringend gebraucht. Was ein Experte der Uniklinik Würzburg von den Bedenken hält.
Experte für die Behandlung von Hirnschädigungen und einer von zwei Transplantationsbeauftragten der Würzburger Uniklinik: Prof. Wolfgang Müllges.
Foto: Thomas Obermeier | Experte für die Behandlung von Hirnschädigungen und einer von zwei Transplantationsbeauftragten der Würzburger Uniklinik: Prof. Wolfgang Müllges.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:32 Uhr

Widerspruchs- oder Entscheidungslösung? Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag eine Neuregelung zur Organspende beschließen. Ihr stehen laut Umfragen 80 Prozent der Bundesbürger positiv gegenüber – aber nur jeder Dritte hat einen Organspendeausweis. Groß scheinen bei vielen noch Verunsicherung und Misstrauen: Was bedeutet der Hirntod? Sind Schmerzen bei der Organentnahme wirklich ausgeschlossen? Wir sprachen mit dem Neurologen Prof. Wolfgang Müllges von der Uniklinik Würzburg. Er ist leitender Oberarzt und einer von zwei Transplantationsbeauftragten der Klinik.

Frage: Als Transplantantionsbeauftragter der Uniklinik führen Sie seit vielen Jahren Gespräche mit Angehörigen möglicher Organspender. Wie schwer fällt den Angehörigen die Entscheidung?

Prof. Wolfgang Müllges: Ich beobachte hier eine deutliche Veränderung, genau genommen seit der Diskussion um den Hirntod vor einigen Jahren. Seitdem ist der Großteil der Bevölkerung besser informiert. Davor musste ich den Angehörigen die Thematik erst vollständig erklären. Heute kommen sie häufig mit einer fertigen Meinung und feststehenden Entscheidung.

Für oder gegen eine Organspende?

Müllges: Bei rund 30 Hirntodfällen in unserer Neurologie kam es im vergangenen Jahr nur zu vier Organspenden. Die Ablehnung ist noch weit verbreitet.

Wie weit können Sie Angehörigen noch Ängste oder Verunsicherung nehmen?

Müllges: Nicht mehr viel. Wie gesagt: Die Entscheidung ist meist getroffen und daran nicht mehr zu rütteln.

Warum wird die Organspende abgelehnt?

Müllges: Oft genug bekommen wir kein Argument zu hören. Das sind uns die Angehörigen auch nicht schuldig. Aber wir wissen aus Erhebungen, woher Zweifel oder Ablehnung kommen: Da geht es um die Verletzung körperlicher Integrität, um die Bewertung des Hirntodes, viel weniger um mangelndes Vertrauen in die Diagnostik bzw. Krankenhäuser.

So sieht er aus, der Organspendeausweis zum Einstecken.
Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa | So sieht er aus, der Organspendeausweis zum Einstecken.

Kennen Sie Bedenken, wonach der Hirntod zu vorschnell diagnostiziert werden könnte, um an die Organe zu kommen?

Müllges: Diesen Verdacht, ein solches Misstrauen gegenüber dem Krankenhaus, habe ich bei uns noch nicht erlebt. Aber gut möglich, dass dies generell bei der Skepsis gegenüber der Organspende eine Rolle spielt. Deshalb ist die ärztliche Trennung zwischen Hirntod-Diagnostik und Organentnahme so wichtig.

Wie wird der Hirntod festgestellt?

Müllges: Das Verfahren ist streng reglementiert. Zwei Fachärzte müssen unabhängig voneinander den Hirntod, also den unumkehrbaren Ausfall aller Hirnfunktionen, feststellen. Beide haben mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen nachzuweisen. Und einer von beiden muss Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie sein. Die Untersuchenden dürfen im Fall der Organspende nicht an der Transplantation beteiligt sein.

Wie verlässlich ist die Hirntoddiagnose?

Müllges: Äußerst verlässlich, ich würde sagen: 100 Prozent. Wenn die Diagnostik korrekt gemacht wird. Ich kenne keinen Fall, in dem sich die Diagnose als falsch herausgestellt hätte.

Es gibt Kritiker, die den Hirntod allein nicht als sicheres Todeszeichen gelten lassen.

Müllges: Dahinter steht die grundsätzliche Frage, ob man den Menschen in Leib und Seele teilen kann. Und die Frage, ob der Hirn- zum Beispiel dem Nierenausfall gleichzusetzen ist. Als Neurologe sehe ich hier einen gewaltigen Unterschied. Das Gehirn macht den Menschen zum eigentlichen Individuum. Aber das ist eine philosophische, keine naturwissenschaftliche Frage.

Würden Sie unterschreiben, dass die Organe nicht einem Toten, sondern einem Sterbenden entnommen werden?

Müllges: Man muss klar sagen: Wenn es künstliche Beatmung und Intensivmedizin nicht gäbe, wäre der Mensch mit dem Hirntod auch im allumfassenden Sinne sehr schnell tot. Die philosophische Frage dahinter lautet: Gibt es einen Teiltod?

Schließt Schmerzen bei der Organentnahme eines Hirntoten aus: Neurologe Wolfgang Müllges.
Foto: Thomas Obermeier | Schließt Schmerzen bei der Organentnahme eines Hirntoten aus: Neurologe Wolfgang Müllges.

Gehören Hirn- und Herztod medizinisch zusammen?

Müllges: Ja – insofern, als dem Herztod zwangsläufig der Hirntod folgt. Wenn das Herz nicht mehr schlägt, kann man keine Hirntoddiagnostik mehr machen. Eine Voraussetzung dafür ist eine intakte Herz-Kreislauffunktion. Wenn sie über mehrere Minuten ausfällt, ist das Gehirn vollkommen zerstört. Umgekehrt führt der Hirntod irgendwann auch zum Versagen des Herzens.

Es heißt immer wieder mal, Sterbende hätten Schmerzen bei einer Organentnahme. Ist das medizinisch plausibel?

Müllges: Schmerzreaktionen laufen auch außerhalb des Gehirns ab, über das Rückenmark. Es kommt von dort aus zu Reflexen. Das hat aber mit dem Gehirn und einem bewussten Schmerzerleben nichts zu tun. Wir halten es für ausgeschlossen.

Organspende: 'Hirntod-Diagnose zu 100 Prozent verlässlich'
Foto: Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation / dpa-infografik GmbH

Diese Reflexe erklären teils starke körperliche Reaktionen bei Organentnahmen?

Müllges: Exakt, aber das ist selten.

Wird die Organentnahme unter Vollnarkose durchgeführt?

Müllges: In der Regel nicht, um den Organismus nicht zusätzlich zu belasten. Wegen des Hirntods hätten Schmerz- oder Schlafmittel keinen Effekt. Dagegen werden Mittel zur Muskelentspannung eingesetzt, um die benannten Reflexe über das Rückenmark auszuschalten.

Fragen zur Organspende? Dann rufen Sie an, bei der Main-Post-Telefonaktion am Mittwoch, 29.Mai, von 10 bis 12 Uhr. Sie fragen, vier Mediziner und Experten der Würzburger Uniklinik antworten:
Tel. (0931) 6001-992
Außerdem: Am 1. Juni, dem bundesweiten Tag der Organspende, informiert die Uniklinik zusammen mit Selbsthilfegrupppen, Verbänden und weiteren Partnern von 10 bis 14.30 Uhr im Innenhof des Würzburger Rathauses.

 
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