Rotzen, husten, schniefen, wo man auch hinkommt: Erkältungszeit. Viele Menschen versuchen sich mit Vitaminpräparaten zu schützen, ganze Regalreihen sind in Drogeriemärkten damit bestückt. Aber was bringen Vitamin C, Zink oder Selen wirklich? Können Nahrungsergänzungsmittel vielleicht sogar schädlich sein?
Antworten gibt Professor Manfred Lutz, Leiter der Arbeitsgruppe Immunregulation am Lehrstuhl für Immunologie der Uni Würzburg.
Prof. Manfred Lutz: Hinter dem "Stärken" steckt schon mal ein Fehlverständnis vom Immunsystem – auch wenn die Werbung suggeriert, dass man im Winter einen Mangel an bestimmten Substanzen habe, den es unbedingt auszugleichen gilt. Und das würde dann einen Schutz bieten vor Erkältungen.
Lutz: Man muss das Immunsystem nicht "stärken", denn es ist normalerweise im Gleichgewicht – dann bin ich gesund. Was sollte eine zusätzliche Immunaktivierung beim gesunden Menschen bekämpfen? Im Gleichgewicht habe ich keine überschießende Immunreaktion und keine Unterfunktion. Liegt eine solche vor, muss ärztlich nach den Ursachen geforscht werden. Das kann ein Gendefekt sein oder außerordentliche Belastungen wie beim Marathonlaufen – dann habe ich vielleicht tatsächlich mal einen Vitaminmangel, den man ausgleichen sollte. Aber das sind Extremsituationen.
Lutz: Mit einer halbwegs ausgewogenen Ernährung inklusive Obst und Gemüse – vielleicht einen Apfel oder eine Orange mehr im Winter – brauchen Sie definitiv keine zusätzlichen Präparate. Wo Menschen an einem Vitaminmangel leiden, ist das ein klinisches Krankheitsbild. Solches sollte man aber mit dem Arzt abklären.
Lutz: Vitaminpräparate haben im Wesentlichen keine Auswirkungen auf das Immunsystem. Dies belegen viele Studien. Wenn sie das Immunsystem stärken würden, bestünde eher die Gefahr überschießender Reaktionen. Die kennen wir alle: Das sind zum Beispiel Allergien, Asthma oder Autoimmunerkrankungen wie Typ 1 Diabetes oder Multiple Sklerose. Diese Reaktionen will man natürlich nicht. Also ich hätte mein Immunsystem gern gut funktionierend und im Gleichgewicht, nicht stärker oder schwächer.
Lutz: Das kommt sehr auf die Art der Vitamine an. Vitamin C zum Beispiel kann man eigentlich nicht überdosieren, die Zellen nehmen nicht mehr auf. Es kann aber zu Magenproblemen, Durchfall oder anderen negativen Folgen kommen, zu viel ist nie gut. Für Kinder werden viele Präparate wie etwa die Kombination von Vitamin C und Zink schon gar nicht empfohlen.
Lutz: Es gibt nur wenige Studien, die einen positiven Effekt beschreiben. Danach kann man mit solchen Mitteln – wenn man sie vorher nimmt – Erkältungskrankheiten von einer Woche um einen oder um einen halben Tag verkürzen. Also eine minimale Wirkung bei einer Dosierung, die ich für fragwürdig halten würde wegen der Nebenwirkungen.
Lutz: Ich weiß, dass viele Kollegen so denken. Auch die deutsche Gesellschaft für Immunologie hat sich in dieser Weise geäußert. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass man bei uns keine zusätzliche Vitamin-Medikation braucht – wenn nicht vom Arzt ein echter Mangel festgestellt wurde. Im gleichen Ausmaß wie Placebos oder Homöopathika können Immunstimulanzien allerdings psychosomatisch einen schwach positiven Einfluss auf Erkältungen haben. Sinnvoll zur Vorbeugung sind eigentlich nur Impfungen, etwa gegen die Grippe.
Lutz: Unser Körper kann über die Haut genug davon selbst produzieren, wenn wir genügend Sonne abbekommen. Das ist in der dunklen Jahreszeit natürlich schwieriger. Die Frage ist nur: Wie viele haben dann tatsächlich einen Vitamin-D-Mangel? Man sollte das beim Arzt testen lassen. Ein Mangel kann nicht nur Ältere, sondern auch jüngere Leute betreffen. In solchen Fällen ist die Einnahme von Vitamin-D-Tabletten sinnvoll. Aber bitte nicht aufs Geratewohl in die Apotheke rennen, nur weil man sich gerade etwas schlapp fühlt. Es kann auch hier zu einer Überdosierung oder unerwünschten Nebenwirkungen kommen.
Lutz: Eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Trinken, regelmäßige Bewegung vor allem an der frischen Luft, genügend Schlaf und wenig Stress. Meiden sollte man übermäßig Alkohol und Nikotin.
