Während die Parteien noch im Europa-Wahlkampf unterwegs sind, haben sich viele Bürger längst entschieden. 31 000 der rund 98 000 Wahlberechtigten hatten bis Dienstagabend allein im Würzburger Rathaus Briefwahl beantragt. Rund um die Domstadt ist das Wählen per Brief besonders beliebt. Wie eine Untersuchung des Bundeswahlleiters zeigt, haben bei der Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis Würzburg, der Stadt und Landkreis umfasst, knapp die Hälfte der Wähler ihre Stimme schon vor dem Wahlsonntag abgegeben. Die exakt 45,7 Prozent Briefwähler-Anteil sind der Spitzenwert für ganz Deutschland, im benachbarten Wahlkreis Odenwald-Tauber lag er nur bei 21,9 Prozent. Richtig erklären kann die Unterschiede niemand.
In den übrigen unterfränkischen Wahlkreisen schwankte der Briefwähler-Anteil bei der Bundestagswahl zwischen 33,5 Prozent in Aschaffenburg und 40,3 Prozent in Main-Spessart. Im Bundesländer-Vergleich lag Bayern mit 37,3 Prozent vor Hamburg mit 37,0 und Berlin mit 33,4 Prozent. Am Ende dieser Skala: Thüringen mit 20,0 und Sachsen-Anhalt mit 17,9 Prozent Briefwähler-Anteil.
Seit 2008 ist Briefwahl ohne Angabe von Gründen möglich
Seit 2008 darf man per Brief wählen, ohne dafür einen Grund wie Sonntagsarbeit, Urlaub oder Krankheit nennen zu müssen. Seitdem steigen die Zahlen. Briefwahl ist augenscheinlich bequem, fürs Abstimmen muss niemand mehr sein Haus verlassen. Fraglich ist allerdings, inwieweit dabei das Wahlgeheimnis gewahrt ist. Kritisch hatte sich zuletzt Bundeswahlleiter Georg Thiel geäußert.
"Allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen sind grundlegend für die Demokratie", betont auf Nachfrage auch Thomas Leuerer, Politikwissenschaftler an der Uni Würzburg. Die Briefwahl sei 1957 eingeführt worden, um die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger zu verbessern. Angesichts sinkender Wahlbeteiligungen habe man den Zugang zuletzt erleichtert. Allerdings sei bei der Briefwahl vermutlich nicht immer Geheimhaltung gewährt, wenn beispielsweise in Seniorenheim-Gruppen oder in Familien die Kreuze miteinander an einem Tisch gesetzt werden. Leuerer: "Im Wahllokal dürfen nicht mal Ehepaare gemeinsam in einer Kabine abstimmen."
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Er wolle deshalb nicht ausschließen, so Leuerer, dass das Bundesverfassungsgericht bei weiter steigenden Briefwähler-Zahlen dem Gesetzgeber auferlegt, diese Möglichkeit der Stimmabgabe wieder zu erschweren. Denkbar wäre auch, den Zeitraum für die Briefwahl einzuschränken. In Würzburg haben die ersten ihre Stimme für die Europawahl schon an Ostern, fünf Wochen vor dem eigentlichen Wahlsonntag, abgegeben. In dieser Zeit aber könne viel passieren. "Denken Sie aktuell an Österreich", sagt der Experte, "da hat vielleicht manch ein Briefwähler das frühe Kreuz am Küchentisch mittlerweile bereut".
CSU profitiert von hohem Briefwähler-Anteil
Warum aber wählen ausgerechnet in und um Würzburg so viele Menschen per Brief? Bei der Stadt hat man dafür laut Sprecher Christian Weiß "keine Erklärung". Auch Politologe Leuerer tut sich mit der Analyse schwer, Motive von Briefwählern seien "weitgehend unerforscht". Ein Blick in die Statistik offenbart derweil, dass bei der Bundestagswahl 2017 eher ältere Wähler die Möglichkeit der vorzeitigen Stimmabgabe nutzten. Briefwahl ist demnach vor allem bei CSU-Anhängern beliebt. Entsprechend profitierten die Christsozialen vom Rekord in Würzburg: Bei den Urnenwählern kam die Partei 2017 nur auf 34,7 Prozent der Zweitstimmen, unter Briefwählern indes auf 40,9 Prozent.
Der Stimmzettel der Kommunalwahl Würzburg istg mehr als einen Quadratmeter groß. Den kann man in der Wahlkabine nicht mal komplett auffalten geschweige denn in aller Ruhe lesen. Wer versucht hat, alle 50 Namen jeder Gruppierung zu erfassen, weiß wie lange das dauert. Häufeln ist in der Kabine deshalb nur erschwert möglich. Ob man daheim das Wahlgeheimnis wahrt, liegt doch an jedem selbst.