Ein regnerischer Spätnachmittag in Schonungen im Landkreis Schweinfurt. Rechtzeitig zum Häuser-Wahlkampf schaut die Sonne raus. "Das motiviert", sagt Christian Staat. Und drückt lachend die nächste Klingel. Der 35-Jährige aus Büchold (Lkr. Main-Spessart) kandidiert als Europaabgeordneter für die CSU. Seine Chancen, nach der Wahl am 26. Mai ins Parlament einzuziehen, stehen nicht sonderlich gut. Aber Staat kämpft unermüdlich. Für die CSU, für ihren europäischen Spitzenkandidaten Manfred Weber.
Fünf Vertreter stellt die CSU aktuell in Straßburg und Brüssel. Um zusätzliche Mandate zu gewinnen, müsste sie mehr als die 40,5 Prozent der Stimmen bekommen, die es bei der Europawahl vor fünf Jahren waren. Christian Staat steht erst auf Platz acht der Liste. Da fehlen noch ein paar Prozente. Nach Brüssel kehrt er nach dem Wahlkampf-Urlaub gleichwohl zurück: Staat arbeitet als Beamter für die Europäische Kommission. Seit 2015 ist der Unterfranke für den deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger tätig, aktuell als Büroleiter.
Klingeln an der Haustür, Europa-Anhänger öffnet
"Christian Staat brennt nicht nur für Europa. Er weiß auch, wie Europa funktioniert, welche Netzwerke man knüpfen muss, um etwas zu erreichen", sagt CSU-Bezirksgeschäftsführer Georg Brückner. Als Vorsitzender des Ortsverbands in Schonungen begleitet er den Kandidaten auf der Tour durch die Hauptstraße. Staat klingelt an der nächsten Haustür. Josef Brand öffnet. "Wissen Sie, dass demnächst Europawahl ist?", fragt der Kandidat. "Ja, ich weiß, dass Wahl ist", sagt der 85-Jährige. "Und ich bin froh, dass es die Europäische Union gibt. Ich habe schließlich noch die Kriegsjahre erlebt." Ein Satz – wie bestellt. Als Brand dann noch andeutet, er werde sein Kreuz bei der CSU machen, braucht der Kandidat nicht weiterzureden. Er übergibt einen Beutel mit Info-Material und zieht weiter.
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Längst nicht alle Bürger begegnen dem 35-Jährigen so freundlich. Europa ist für viele doch ziemlich weit weg. Beschimpfungen muss Staat in Schonungen zwar nicht ertragen, hier und da aber doch deutlich vernehmbares Desinteresse: "Nein, lassen Sie mal, ich habe keine Zeit." Staat zieht von dannen. Minuten später reagiert eine Hausbewohnerin auf sein Klingeln fast euphorisch: "So ein schöner Kandidat." Parteifreund Brückner hatte zuvor schon angedeutet, "der Christian schaut gut aus und kommt entsprechend an". Über Europa und die CSU reden, das will die Dame an der Haustür dann aber doch nicht.
Warum tut sich ein junger Volkswirt, der dabei ist, in Brüssel Karriere zu machen, so einen Wahlkampf im beschaulichen Unterfranken an? "Weil es mich reizt, Politik zu gestalten, in einem Bereich, in dem ich mich gut auskenne", sagt Staat. Er wolle mit den Menschen über Europa ins Gespräch kommen, ihnen erklären, warum die Europäische Union "unsere Lebensversicherung" für Frieden und Wohlstand ist. Seit Jahresbeginn ist der 35-Jährige mit dieser Mission unermüdlich zwischen Untermain, Steigerwald, Spessart und Rhön unterwegs. Hier ein Neujahrsempfang, dort ein Stammtisch, hier ein Dorffest, dort eine Diskussion mit Berufsschülern: Beim Bemühen, sich bekannt zu machen, hat Staat wenig ausgelassen. Diese Bodenhaftung hat ihm in der CSU viel Respekt verschafft. Staat selbst sagt, er habe in diesen Wahlkampf-Wochen "unheimlich viel gelernt". Zum Beispiel frei vor jeder Art von Publikum zu reden, "aber auch, wie vielfältig unsere Heimat Unterfranken ist".
Abitur macht Christian Staat auf dem zweiten Bildungsweg
Christian Staat stammt aus Büchold, einem 700-Einwohner-Ortsteil von Arnstein (Lkr. Main-Spessart). Nach der Mittleren Reife macht er bei ZF Sachs in Schweinfurt eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Als Logistiker bei Sachs lässt er sich später beurlauben, um in Würzburg die Berufsoberschule zu besuchen. Im Sozialkundeunterricht jener Zeit ist, sagt er, sein Interesse für (Wirtschafts-)Politik erwacht. 2006 besteht er sein Abitur.
Es folgt ein Studium der Volkswirtschaft in Mannheim, inklusive Auslandssemester in der Türkei. Das macht ihm so viel Spaß, dass er den weiteren Lebensweg komplett international ausrichtet - und dem Bachelor einen Doppelmaster in Mannheim und Brüssel folgen lässt. Anschließend promoviert Staat in Brüssel über europäische Wettbewerbspolitik. Eine Voraussetzung, um sich für die begehrten Jobs in der EU-Kommission zu bewerben. Seine erste Stelle dort ist gleich das Büro von Oettinger.
Neben der Arbeit für den Chef, der zunächst für Digitalisierung, ab 2017 dann für Haushalt und Personal zuständig ist, kümmert sich Staat auch um Sonderaufgaben. Die Neuordnung europäischer Freiwilligendienste unter dem Namen "Europäisches Solidaritätskorps" nennt er "mein Baby". Junge Leute von 18 bis 30 Jahren bekommen da die Möglichkeit, sich in international aufgestellten Teams für soziale oder kulturelle Projekte zu engagieren. Europa, sagt Staat, müsse wieder nahbarer für die Menschen werden.
In diesem Sinne habe sich sein fünfmonatiges "Unterfranken-Praktikum" gelohnt, selbst wenn es mit dem Abgeordneten-Sitz im Europaparlament noch nichts wird. 2024 ist die nächste Europawahl - und die nächste Chance für Christian Staat. Falls sich bis dahin in Brüssel nicht andere berufliche Möglichkeiten auftun. Aber darüber möchte der Kandidat an diesem Nachmittag in Schonungen nicht spekulieren.