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Würzburg
Neuartige Krebs-OP in Würzburg: Wenn der Chirurg mit Roboterhilfe aus dem Dünndarm eine neue Harnblase formt
Per Schlüssellochtechnik können viele Eingriffe schonender vorgenommen werden. An der Würzburger Missio-Klinik nutzt der Urologie-Chefarzt sie jetzt auch für einen besonderen Fall.
Dr. Frank Schiefelbein, Urologie-Chefarzt am Klinikum Würzburg Mitte, führt seit diesem Jahr auch Neoblasen-Operationen per Schlüssellochtechnik mit dem Da Vinci-OP-Roboter durch.
Foto: Dr. C. Aicher | Dr. Frank Schiefelbein, Urologie-Chefarzt am Klinikum Würzburg Mitte, führt seit diesem Jahr auch Neoblasen-Operationen per Schlüssellochtechnik mit dem Da Vinci-OP-Roboter durch.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 06.01.2024 03:16 Uhr

Er ist die vierthäufigste Krebsart beim Mann: Harnblasenkrebs. Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums erkranken in Deutschland jährlich rund 31.000 Menschen daran, davon sind mehr als 23.000 Betroffene Männer. Die Wahrscheinlichkeit nimmt im Alter deutlich zu,  die meisten Patientinnen und Patienten sind über 70. Aber es trifft auch Jüngere.

Häufig greifen Medikamente oder Immuntherapie, oder der Tumor kann durch die Harnröhre operiert werden. Wächst der Tumor allerdings in die Muskulatur und in die tieferen Schichten der Harnblase ein, bleibt oft nur deren Entfernung. Beim Mann samt Prostata und Beckenlymphknoten, bei Frauen werden zusätzlich die Gebärmutter und die vordere Scheidenwand herausgenommen.

Neoblase aus einem 50 bis 60 Zentimeter langen Dünndarmstück

Den Ersatz für die Harnblase formen versierte Chirurgen aus einem etwa 50 bis 60 Zentimeter langen Stück Dünndarm. Es wird eigens dafür herausgeschnitten und wie ein Ball präpariert und vernäht. Diese "Neoblase" wird dann an die Harnröhre angeschlossen, der Schließmuskel bleibt erhalten. Oder es wird mit einem kürzeren Dünndarmstück ein Stoma, also ein künstlicher Ausgang gelegt. 

Noch bis vor kurzem konnte dies nur als aufwändige, offene Operation durchgeführt werden – also mit großem Bauchschnitt und einem entsprechend hohen Blutverlust. An der Würzburger Missio-Klinik unter dem Dach des Klinikums Würzburg Mitte (KWM) ist man einen Schritt weiter: Hier nutzt Urologie-Chefarzt Dr. Frank Schiefelbein nun die "Schlüssellochtechnik" und den Da Vinci-OP-Roboter auch für diese Operation.

Die Neoblasen-OP gehöre "zu den größten und kompliziertesten Operationen in der Urologie", sagt Schiefelbein. Minimalinvasiv wird sie mit nur ein Zentimeter langen Hautschnitten durchgeführt. Für andere Eingriffe wie Prostata-Entfernung oder Nieren-OPs wendet Schiefelbein das Verfahren seit 15 Jahren an. Über eine Konsole steuert der Operateur dabei fein bewegliche Instrumente im Bauchraum. Am Missio werden jährlich 500 bis 600 robotische OPs durchgeführt – seit einem halben Jahr nun auch zur Entfernung und Neubildung der Harnblase aus dem Dünndarm.

Chefarzt Frank Schiefelbein zeigt am Schreibtisch eine Abbildung des Dünndarms, aus dem im Schlingenbereich (oben) ein Stück für die neue Blase herausgenommen wird. 
Foto: Daniel Peter | Chefarzt Frank Schiefelbein zeigt am Schreibtisch eine Abbildung des Dünndarms, aus dem im Schlingenbereich (oben) ein Stück für die neue Blase herausgenommen wird. 

"Wir machen das bisher als einzige Klinik im fränkischen Raum im Standardverfahren", sagt der Urologe. Von den Vorteilen ist er überzeugt: "Im Gegensatz zur offenen OP ist das robotergestützte Verfahren für Patienten deutlich weniger belastend." Sie hätten weniger Schmerzen, kaum Blutverlust und würden sich schneller erholen.

Wie es einem 66-Jährigen aus den Haßbergen nach der OP geht

Ein 66-jähriger Betroffener aus den Haßbergen bestätigt dies im Gespräch: Ihn traf die Diagnose wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sport, Natur, gute Ernährung – trotz gesunder Lebensweise blieb ihm das Schicksal Krebs nicht erspart.

Auf einer Reise ging es ihm plötzlich schlecht, er hatte Blut im Urin. Drei Monate musste er auf einen Termin beim Urologen, weitere sechs Wochen auf eine Blasenspiegelung warten. Dann stand fest: ein Tumor, der möglichst schnell entfernt werden musste. Am Missio in Würzburg wurde der 66-Jährige Anfang Februar von Schiefelbein mit der so genannten "TUR-B", einem Eingriff durch die Harnröhre, in der Blase operiert.

Das Problem: Blasentumore kommen laut Schiefelbein mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 70 Prozent wieder. So auch bei dem 66-jährigen Patienten, vier Monate nach der ersten OP. Er habe dann mit sich gerungen, berichtet er. Blase komplett raus oder nicht? "Ich hatte Angst, wie es mir wohl danach gehen wird."

Einer Entfernung stand das Risiko gegenüber, dass der Krebs streut und nur noch mit einer Chemotherapie zu behandeln wäre. Der Patient aus den Haßbergen entschloss sich zum Eingriff. Anfang November wurde er von Schiefelbein in der Missio-Klinik ein zweites Mal operiert, jetzt mit dem Da Vinci-Roboter.

Kleinste Instrumente wie dieses werden bei minimalinvasiven Operationen mit der Da Vinci-Methode in den Bauchraum eingeführt.
Foto: Daniel Peter | Kleinste Instrumente wie dieses werden bei minimalinvasiven Operationen mit der Da Vinci-Methode in den Bauchraum eingeführt.

Der Dünndarm ist jetzt fast 60 Zentimeter kürzer, dafür hat der Patient eine neue Harnblase. Fünf Tage musste er nach der OP auf der Intensivstation verbringen. Seitdem gehe es ihm von Woche zu Woche besser. Die Blase funktioniert, ist dicht, weitet sich langsam. "Es ist besser, als ich gedacht habe", berichtet der 66-Jährige, auch wenn er nachts noch alle zwei Stunden raus muss, um die Blase zu leeren. Später, sagen die Ärzte, werde einmal pro Nacht reichen. Er darf nur nicht zu spät vor dem Zubettgehen trinken.

Inzwischen auf Reha, kann der Patient jetzt wieder zwei bis drei Stunden unterwegs sein. Größere Probleme als die Blase bereitet ihm der verkürzte Darm: Er arbeitet noch nicht ganz wie früher, der 66-Jährige muss seine Ernährung umstellen. Bis sich alles einspielt, könne ein Vierteljahr vergehen, heißt es von den Ärzten.  

"So etwas ist eine Mannschaftleistung."
Chefarzt Frank Schiefelbein über die Operationen

Chefarzt Frank Schiefelbein freut sich über den guten OP-Verlauf und die Genesung. Hinter dem neuen Einsatz der Da Vinci-Methode bei diesem Eingriff stecke ein ganzes Jahr intensiver Vorbereitung mit dem ganzen Team: "So etwas ist eine Mannschaftleistung, ich bin nur ein Zahnrad im Getriebe", gibt sich der Operateur bescheiden.

Wobei er selbst die Hauptverantwortung trägt. Vier bis fünf Stunden dauert eine Neoblasen-OP. Trotz der dreidimensionalen Darstellung und 15-facher Vergrößerung braucht es ein gutes Vorstellungsvermögen und operatives Geschick. Der 62-jährige Urologe sieht sich selbst als "akademischen Handwerker" und sagt bei aller Erfahrung: "Ich lerne noch jeden Tag dazu."

Risiko für Harnblasenkrebs

Männer erkranken fast dreimal so häufig an Harnblasenkrebs wie Frauen, die Wahrscheinlichkeit nimmt im Alter zu. Häufigstes Symptom ist Blut im Urin. Weitere Anzeichen können Schmerzen beim Wasserlassen, bei Harnaufstauung in den Flanken, Gewichtsverlust und Blutarmut sein.
Erkannt wird ein Tumor mittels Blasenspiegelung und der Untersuchung des oberen Harntraktes durch Röntgen-Aufnahmen oder Computertomografie.
Als größter Risikofaktor für die Entwicklung von Blasenkrebs gilt das Rauchen, wobei die Erkrankung oft erst viele Jahre später auftreten kann. Neben chronischen Entzündungen können auch chemische Stoffe krebserregend sein. Besondere Vorsicht sei deshalb bei Tätigkeiten in der Chemie- oder Farbstoffindustrie geboten.
 aj
 
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