
Max Meier hat sich immer für Naturwissenschaften interessiert und studierte deshalb zwei naturwissenschaftliche Fächer. "Was ich damit machen würde, wusste ich noch nicht wirklich“, sagt der junge Mann. Mit der Idee, Lehrer zu werden, habe er zwar gespielt, sie aber nie ernsthaft erwogen. "Den Master habe ich, aber ein Staatsexamen nicht. Und Unterrichtserfahrung habe ich auch nicht.“ Jetzt aber ist Max Meier Lehrer - von heute auf morgen.
Für eine "Teamlehrkraft“, wie Meier es seit 8. September ist, sind weder Staatsexamen noch Lehrerfahrung Voraussetzung. Meier unterrichtet an einer Schule in Unterfranken - und erzählt von den ersten Tagen unter der Vorraussetzung, weder seinen richtigen Namen noch den Namen der Schule zu nennen.
Werbung um Teamlehrkräfte zielt auch auf Lehramtsstudierende höherer Fachsemester
"Schule in Bayern – ich helfe mit“ - mit diesem Aufruf sucht das Bayerische Kultusministerium seit Ende Juli dringend Neulehrer. Zum Einspringen als Ersatz für jene Lehrkräfte, die im Corona-Jahr wegen gesundheitlicher Risiken oder Schwangerschaft keinen Präsenzunterricht erteilen können. "Abgeschlossenes Studium? Interesse an pädagogischem Arbeiten? Jetzt Team-Lehrkraft werden!“, heißt es auf dem Lehrer-Portal des Kultusministeriums weiter. Geworben wird um "Personen mit abgeschlossenen Lehramtsstudium ohne Einstellungsangebot“, um "Personen mit einem anderen, abgeschlossenen Hochschulstudium (Master, Magister, Diplom, Bachelor)“ und schließlich sogar um „Lehramtsstudierende höherer Fachsemester“.

Mit seinem Master gehört Meier zur zweiten Gruppe: fachlich ebenso gut qualifiziert wie "richtige Lehrer“, pädagogisch aber Anfänger. "Ich habe das Portal gesehen, mich einfach mal beworben, habe dann praktisch sofort wohnortnah ein Angebot gekriegt von einer weiterführenden Schule“, berichtet der junge Quereinsteiger.
Was ein Junglehrer lernen will: "Ich muss herausfinden, wo ich die Schüler abholen kann."
Wie es läuft? "In dieser Woche schon besser als in der letzten!“, sagt Meier. Er habe eigentlich erwartet, wie beim Vortrag vor Dozenten an der Uni unter Lampenfieber zu leiden. „Aber das tue ich nicht. Die Unterrichtssituation ist so dynamisch, die Schüler fragen nach, fragen dazwischen, ich muss an so viel denken; da baut sich kein Lampenfieber auf." Er müsse, sagt der Neulehrer, allerdings noch herausfinden, "wo ich die Schüler abholen kann“. Müsse lernen, abzuwägen, wie oft er Rückfragen zum durchgenommenen Stoff beantworten soll – ohne die zu langweilen, die den Stoff bereits verstanden hätten. "Und welche Begriffe meine Schüler kennen sollten und was ich als gelernt voraussetzen darf, das muss ich auch noch herausfinden.“

"Als Teamlehrkraft bereiten Sie den Unterricht für gewöhnlich gemeinsam mit der Stammlehrkraft, die für die jeweilige Klasse eingeteilt ist, vor und nach. Sie haben also einen "Coach“ an Ihrer Seite, der Sie in pädagogischen und fachlichen Fragen unterstützt“, heißt es auf dem Teamlehrer-Portal des Kultusministeriums. Über die Frage, wie sich diese Zusammenarbeit gestalte, ist Meier überrascht: "Welche Stammlehrkraft? Ich bin alleinverantwortlich für meinen Unterricht.“ Mit seinen knapp zwanzig Wochenstunden übernehme er wohl, so habe er gehört, die Kontingente von schwangeren Lehrerinnen. Aber keine von ihnen sei ihm als Kontakt zugewiesen worden. Allerdings seien ihm direkt an der Schule zwei Kollegen als "Paten“ oder "Wegweiser" genannt worden. "Der eine kümmert sich wirklich; mit dem kann ich Fragen besprechen. Von dem anderen habe ich eher noch nichts gehört.“
Lehrerverband kritisiert "Entprofessionalisierung des Lehrerberufs"
Genau da setzt die Kritik der Lehrerverbände an. Jörg Nellen, der kommissarische Bezirksvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für Unterfranken, kennt den durch Corona verschärften Lehrermangel an Bayerns Schulen und begrüßt zwar prinzipiell die Gewinnung neuer Lehrkräfte. Doch er beklagt, dass gerade bei den Teamlehrern die Verantwortlichkeit für den Unterricht sehr unklar geregelt sei. Dies zeige auch Meiers Fall.
Scharf geht Gerhard Bleß, der unterfränkische Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerverbands (BLLV), mit dem Kultusministerium ins Gericht: Ér sorgt sich um die Qualität des Unterrichts. Mit den neuen Team-Lehrkräften, Aushilfen ohne pädagogische Ausbildung und "Ein-Fach-Fachlehrer" - zum Beispiel Absolventen von Berufsfachschulen oder Fremdsprachenkorrespondenten, die in Kunst, Musik, Sport oder Englisch aushelfen - wachse die Zahl derer, die nicht oder völlig unzureichend für die Anforderungen des Lehrerberufs ausgebildet seien. "Wir erleben eine Entprofessionalisierung des Lehrerberufes, unter der die derzeitige Schülergeneration zu leiden haben wird", so Bleß. Die Schulverwaltung müsse jetzt sofort Aus- und Weiterbildungsangebote bereitstellen.

Regierung von Unterfranken: "Echte Lehrer würden wir sofort anstellen!"
"Nicht überschaubar" und deutlich verbesserungsbedürftig ist den unterfränkischen Sprechern der Lehrerverbände zufolge auch die Vertragssituation der neuen Lehrkräfte: "Manche kriegen nur Verträge für sechs Wochen, manche für sechs Monate, manche für ein Jahr.“ Dies bestätigt Maria Walter, Leiterin der Abteilung Schulen bei der Regierung von Unterfranken. „Wir müssen den coronabedingten Ausfall einiger Lehrkräfte einfach überbrücken und auf den Bedarf der Schulen antworten.“ Auf die Frage, warum denn pädagogisch unzureichend qualifizierte Lehrkräfte auch an Unterfrankens Schulen zum Einsatz kämen, sagt Walter: „Wenn echte Lehrer mit erstem und zweitem Staatsexamen vorbeikämen, würden wir sie als echte Lehrer sofort anstellen.“ Aber die Situation sei schwierig, die "mobile Reserve" sei bereits größtenteils im Einsatz. Also müsse man pragmatisch handeln, um "Lehrer vor die Klasse“ zu bringen.
Max Meier hat aktuell einen Anstellungsvertrag für ein Jahr. Kann sich der junge Naturwissenschaftler vorstellen, auch langfristig als Lehrer zu arbeiten, sich eventuell nachzuqualifizieren? Er wiegelt ab. Die Situation sei noch viel zu neu, um dies schon entscheiden zu können.
Anders sieht es mit den Aushilfslehrern selbst aus. Klar, die können dadurch gleich in der Praxis lernen, wie ihr Beruf aussehen wird, und gute Erfahrungen sammeln.
Aber dass man sie jetzt sozusagen nur aus der Not heraus als "billige Arbeitskräfte" missbraucht werden, die mit eiunem feuchten Händedruck wieder nach Hause geschickt werden, sobald sich die Situation entspannt (oder sich dann bestenfalls in den entwürdigenden Rhythmus von immer wieder befristeten Verträgen einreihen müssen), das ist erbärmlich und undankbar.
Denn was bedeutet denn "pädagogische Vorbildung" in der Praxis? Es gibt Lehrer, die trotz jahrelanger Erfahrung keine wirklichen Pädagogen sind, und es auch nie sein werden.
Und es gibt unter den jungen Aushilfslehrern (ob nun Studenten oder Quereinsteiger) mit Sicherheit etliche, die von ihrer Persönlichkeit her über pädagogisches Talent verfügen, ohne dass man es ihnen erst beibringen muss, und die das auch weitererfahren werden. Was spricht also gegen einen Aushilfslehrer, der sein Fach beherrscht und über eine natürliche Art des Umganges mit Schülern verfügt, denen er auf diese Weise den Stoff dann auch gut vermitteln kann?
(Fortsetzung folgt)