Der Morgen beginnt mit Alkohol - am Steuer. 20 Polizeischüler büffeln Verkehrsrecht. Jeder hat einen dicken Aktenordner mit Gesetzestexten dabei. Alle tragen Uniform. Etwa ein Drittel sind Frauen. Klassenlehrer Andreas Linsmeier erklärt den Unterschied zwischen relativer und absoluter Fahruntüchtigkeit.
"Ich habe vorher nicht gedacht, dass es so viele Rechtsgebiete sind", sagt Marcel über die Polizeiausbildung. Der 28-Jährige arbeitete zuvor als Industriemechaniker. Bei der bayerischen Polizei kann man sich bis 30 Jahre bewerben. Marcel lernt in Würzburg in einer Kaserne der Bereitschaftspolizei, einer von acht Ausbildungsstandorten im Freistaat.
Die "Bepo" kümmert sich neben Aus- und Fortbildung um Einsätze wie das Absichern von Großveranstaltungen. Aktuell gibt es in Bayern laut Bereitschaftspolizei 4140 Polizeischüler. Auf jeden Ausbildungsplatz kommen sieben Bewerber. Knapp 1200 Euro netto gibt es im ersten Jahr.
Vor knapp neun Monaten wurde der Würzburger Schulalltag jäh unterbrochen: Mit einem Schuss aus seiner Dienstwaffe traf ein 19-jähriger Polizeiazubi einen zwei Jahre älteren Mitschüler - tödlich. Vor kurzem wurde Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben.
Der Waffengebrauch ist seit dem Todesfall Ende Februar ein besonders heikles Thema. "Da ist ein Ruck durch die gesamte Polizei gegangen", sagt Bepo-Sprecher Herbert Gröschel über das tragische Ereignis. Ob und wie die Ausbildung seitdem geändert wurde? Manche Führungsperson möchte am liebsten gar nicht darüber reden. Sprecher Gröschel deutet an, dass es keine neuen Ausbildungsteile gebe. Schon seit jeher lerne jeder den Grundsatz: "Verhalte dich stets so, als sei die Waffe geladen." Jetzt werde dafür noch mehr sensibilisiert.
- Lesen Sie auch: Tod eines Polizeischülers in Würzburg: Anklage erhoben
Meist haben die Polizeischüler ohnehin keine Waffe dabei. Jeder hat eine eigene Dienstwaffe, aber nur unter der Woche und ohne Munition. Meist liegt sie im Safe auf dem Zimmer. Herausgeholt wird sie fürs Schusstraining, Wachdienste und kleine erste Einsätze.
Auch zu manchen Übungen legen die Schüler Waffen an. Aber entweder ist es eine Art rote Spielzeugwaffe. Oder in die reale Waffe kommt ein kleiner blauer Stift ins Munitionsfach. Durch die Farbe erkennen die Ausbilder sofort, dass keine Munition in der Waffe sein kann, erläutern sie. Die Waffen würden vor jeder Übung geprüft.
Warum die Vorsichtsmaßnahmen dem erschossenen Azubi nicht halfen, muss die Justiz klären. Für viele Polizeischüler ist der Griff zur Waffe alles andere als leicht. "Viele stammen aus einem behüten Elternhaus. Es ist manchmal eine Herausforderung, die jungen Menschen auf Gewalt vorzubereiten", sagt der Selbstverteidigungslehrer.
Zaghafte Schüler übten Schläge zunächst mit bunten Schwimmnudeln. Die Abwehr eines Messerangriffs wird mit einer Plastikflasche anstelle des Messers trainiert, damit sie sich mehr trauen. In der Fortbildung sollen demnächst Elektromesser zum Einsatz kommen: Messer aus Gummi, die bei einem Treffer leichte Stromstöße geben.
Gewalt und Gefahrenabwehr werden im "Polizeilichen Einsatztraining" geübt: "Aufmachen, hier ist die Polizei", ruft die 20-jährige Marleen und bollert mit der Faust an die Tür. "Was wollt ihr in meiner Wohnung?", schreit von innen ein Mann in Tarnfleckhose. Gefolgt von "Halt die Fresse, du blöde Kuh" zu seiner weinenden Frau. Sie hat sich im Wohnzimmer eingeschlossen und die Polizei gerufen. Als Marleen und ihr Streifenbegleiter Michael in die Wohnung treten, stoßen sie im Flur auf umgefallene Möbel. Bierdosen liegen im Weg.
Danach geschieht alles schnell und dennoch überlegt. Die Polizisten lotsen den Mann in die Küche, sichern währenddessen Gefahrenquellen: Küchenmesser und Bierflaschen - eine Hantel übersehen sie. Als der Mann ausrastet, werfen die Polizisten ihn gekonnt zu Boden und legen ihm Fesseln an. Schließlich beruhigt Marleen die Ehefrau und hilft ihr. Die Frau hat ein blaues Auge und Blut am Mund.
Der gewalttätige Mann und die Frau sind schauspielbegabte Mitschüler. Die verwüstete Wohnung ist ein Nachbau im Keller des Polizeigebäudes, eine Kaserne in Würzburg. Die Einsatzzentrale, mit der Marleen per Funk kommuniziert, mimt eine Mitschülerin im Nebenzimmer.
Der Einsatz war nur ein Rollenspiel, aber täuschend echt. Die beiden Azubis sind sogar mit einem Streifenwagen vorgefahren. Auch eine nachgebaute Wache, eine Zelle und eine Kneipen-Attrappe gibt es für Übungen. Auf dem Tagesplan der Klasse stehen heute noch Sport (teils in kompletter Einsatzmontur), Kommunikation und Selbstverteidigung.
Marleen und Michael sind wie Marcel inzwischen im vierten von fünf halbjährigen Ausbildungsabschnitten. Die jungen Leute sind fast zu einer Familie geworden, wie es Mitschülerin Pauline ausdrückt. Sie lernen und üben nicht nur gemeinsam. Sie leben zusammen.
Unter der Woche wohnen die meisten Schüler in der Kaserne - in Zweierzimmern. Anders als bei einer klassischen dualen Ausbildung, etwa im Handwerk, ist die Polizei Berufsschule und Ausbildungsbetrieb in einem. Geht das ständige Beisammensein nicht auf die Nerven? "Höchstens kurz vorm Urlaub", sagt Pauline. Und Marcel räumt ein, dass er gern mal bei seiner Freundin statt in der Kaserne übernachte.
Warum möchten junge Menschen zur Polizei? Die meisten befragten Azubis antworten, weil die Arbeit vielfältig sei und sie später im Beruf nie wüssten, was der Tag bringe. Viele haben sich die Polizei vorher in einem Praktikum angeschaut.
Für Marcel, Marleen, Pauline und die anderen wird es bald ernst im Polizeialltag: Dann beginnt ein dreimonatiges Praktikum. Nach der Ausbildung müssen sie überlegen, was sie bei der Polizei genau machen wollen: zum Beispiel Hundeführer, Taucher, "Cypercop" - oder bei der Bereitschaftspolizei bleiben.
Und wie reagieren Freunde und Familie? "Ich erzähle neuen Bekannten nicht direkt, dass ich bei der Polizei bin", sagt Pauline. Dann gebe es oft politische Diskussionen. Auch ihre Oma habe zuerst die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: "Das Mädchen will zur Polizei!" Aber, so Pauline: "Es gibt auch eine Menge Respekt und Anerkennung."