Die Tür ist wie meistens ein Stück weit offen, ein Ständer mit maßgeschneiderten Gürteln davor. Hans Joachim Greis steht wie so oft in den vergangenen 38 Jahren an seiner Schleifmaschine und repariert Absätze. Auf der anderen Seite stapeln sich Schuhe über Schuhe, viele bereits abholbereit mit dem gelben Nummernzettel dran. Ein bisschen chaotisch schaut es für den Außenstehenden aus. "Es ist Wahnsinn, im Moment rennt mir die Kundschaft die Bude ein. Jeder möchte nochmal schnell seine Schuhe neu machen lassen", sagt er und lächelt.
Es ist ein Lächeln zwischen Freude und Nostalgie. Denn Greis arbeitet in dieser Woche zum letzten Mal. Mit fast 70 Jahren geht er nun komplett in den Ruhestand. In den vergangenen Jahren hatte er seine Öffnungszeiten schon auf ein paar Stunden am Morgen beschränkt, in der Hoffnung, noch einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. "Ich hätte alle Maschinen drin gelassen, wenn es weitergegangen wäre." Doch es sei kein Interesse an dem Beruf des Schuhmachers mehr da, leider, sagt er. Auch sein Sohn, der zunächst Schuhmacher gelernt hatte, habe später studiert und zeige kein Interesse.
Verzweifelte Suche nach Nachfolger
Zu wenig Nachfrage, zu wenige Einnahmen, um eine Familie zu ernähren, so seine Einschätzung. Und: Der Schuhmarkt sei zum Teil ein Billigproduktmarkt geworden: "Wer lässt ein Paar Schuhe für 15 Euro reparieren, die nur 30 gekostet haben?" Dass der Beruf komplett ausstirbt, glaubt er aber auch nicht. "Wir werden schon gebraucht, aber vielleicht nicht mehr in der Anzahl wie früher."
Greis ist im Würzburger Frauenland eine Institution, viele kennen den Schuster am Torbogen einfach vom Vorbeilaufen. Vor einigen Tagen sei eine Kundin gekommen und habe sich mit einem Bocksbeutel von ihm verabschiedet, "da sind mir fast die Tränen runtergelaufen". Doch irgendwann sei eben Schluss, sagt er entschlossen. So hat er die Räumlichkeiten in der Brettreichstrasse, die er selbst vor etwa zwölf Jahren gekauft hatte, vor Kurzem verkauft. Ein Steuerbüro soll wahrscheinlich hier einziehen, so sein Wissen.
Eigentlich wollte Greis Schreiner werden
Greis, der eigentlich aus dem Odenwald stammt, machte als junger Mann von 1971 bis 1974 eine Lehre als Orthopädischer Schuhmacher im Würzburger König-Ludwig-Haus. "Eigentlich wollte ich Schreiner werden, aber wegen meiner Behinderung – ein sehr verkürztes Bein – wurde mir davon abgeraten. Weil man da zu viel stehen müsse." Gestanden? Die Stunden, die er im Stehen an seiner Schleifmaschine zugebracht hat, lassen sich heute nicht mehr zählen.
Im Jahr 1986 mietete er den Laden in der Brettreichstraße an und machte sich selbstständig, damals noch mit einer Ausnahmegenehmigung, "da man eigentlich für eine Eröffnung den Meisterbrief brauchte". Den Meister holte er 1987 schnell nach und stellte dann seinen ersten Lehrling ein. Es blieb leider der einzige, "auch damals ist die Nachfrage schon gering gewesen".
Das Schöne an der Selbstständigkeit, so beschreibt Greis, sei, "dass kein Boss über mir ist, der mir irgendetwas vorschreibt". Das Schwierige sei die finanzielle Seite, "denn der Verdienst ist eben nicht jeden Monat derselbe". In Urlaub gefahren ist Greis mit seiner Familie trotzdem. "Das habe ich mir nicht nehmen lassen und meine Kunden wussten dann auch schon Bescheid, wenn der Zettel wieder an der Tür hing." Die meisten hätten mit ihren Aufträgen dann gewartet.
Vorauskasse, weil manche Kunden ihre Schuhe nie abholen
Nachdem Greis die Erfahrung gemacht hatte, dass manche Kunden ihre Schuhe zwar reparieren lassen, aber nie wieder abholen, führte er für sich das System der Vorauskasse ein. Er zeigt auf eine Reihe Schuhe im oberen Regal: "Alles gemachte Schuhe, keiner holt sie." Dabei kennt er zumindest seine Stammkunden zum Teil sehr gut. Da seien auch persönliche Beziehungen entstanden und man habe auch private Worte gewechselt. Er erinnert sich daran, als ein älterer Mann vor ihm stand mit Tränen in den Augen, dass seine Frau kürzlich gestorben sei. "Da fühlt man natürlich mit."
Herausfordernd beschreibt der Schuhmachermeister manchmal die Wünsche seiner Kunden und Kundinnen, die wirklich sehr angegriffenen Lieblingsschuhe nochmal zu reparieren, "obwohl ich beim ersten Hinschauen schon den Gang zur Mülltonne vor mir sehe". Aber Greis hat so einiges noch retten können, manchen Absatz für den Ballabend wieder flott gemacht. Aber auch vielen Ledertaschen hat er die zweite Chance gegeben. Und ist auch seiner Leidenschaft hier und da nachgegangen – dem Herstellen von hochwertigen Ledergürteln, auch mit gestanzten Verzierungen. Und er weiß: "Was teilweise hierzulande als Leder ausgegeben wird, ist wirklich traurig."
UPS-Stelle mit im Laden
Vor fünf Jahren hat der 69-Jährige noch eine UPS-Abhol- umd Abgabestelle mit in den Laden geholt, die das Finanzielle ein bisschen mit auffange. Und es hatte schon den Mehrwert, "dass Leute zum Paketabholen reinkamen und sagten: "Ach, hier gibt's ja einen Schuster!'". Neugierig, so erzählt Greis, hätten auch öfter mal die Kinder aus dem Block ihre Nase ins Geschäft gehalten, langweilig sei es nie gewesen.
Das wird ihm sicher fehlen, wie auch dem Frauenland seine Schuhmacherei fehlen wird. Am kommenden Freitag schließt er ein letztes Mal die Tür ab, seine Schleifmaschine steht zum Verkauf auf eBay – und für ihn beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Er werkele gerne im Garten, auch für seinen Sport Sitzball, den er schon seit 35 Jahren ausübt, habe er dann noch mehr Zeit.
Wer trägt denn heute noch hochwertige Schuhe, bei denen sich eine fachgerechte Reparatur lohnt? Wieder ein Traditionshandwerk weniger ...
Viele Schuhe haben Sie mir wieder „gangbar“ gemacht.
Es waren immer nette Gespräche und Begegnungen mit Ihnen. Sie werden mir fehlen.
Alles Gute für Sie.