"Können Sie mir die reparieren, am besten bis morgen?" Eine Kundin bringt knapp vor Ladenschluss noch ein paar liebgewordene Hochhackige vorbei. Schuhe, die trotz Macke nicht in die Tonne, sondern wieder an die Füße sollen. Wolfgang Schad schiebt seine Brille auf die Nase und mustert das noble Paar Schuhe mit Kennermiene. "Kriegen wir hin", macht er, verbunden mit ein paar launigen Sprüchen, der Kundin Hoffnung, dass die Schuhe bald wieder heil sind. "Nur Schuhe, die man nicht anzieht, halten ewig", meint er. Aber bis Morgen wird es nichts, vielleicht nächsten Donnerstag – man einigt sich auf Samstag. Schließlich hat Wolfgang Schad, Schweinfurts letzter "Schuh-Doktor", der das Schuhmacherhandwerk noch gelernt und ein Meister seines Fachs ist, gut zu tun.
Etwa 12 000 Paar Schuhe hat der heute 64-Jährige vor der Pandemie, damals noch mit einem Mitarbeiter, pro Jahr in seiner Schumacher-Werkstatt am Fischerrain repariert. Neue Sohlen, Absatz ab, ein Riss im Leder – Schad kennt alle Verfallserscheinungen der unterschiedlichsten Fußverkleidungen. Dann der Einbruch, sechs Wochen hatte er im ersten Lockdown zu, jetzt kommen die Kunden wieder vermehrt mit ihren Patienten aus Leder, Stoff oder Plastik. "Seit die Leute wieder raus dürfen, werden die Regale wieder voller". "80-Stunden-7-Tage-Woche, meine Frau hat sich dran gewöhnt", skizziert Wolfgang Schad, der vor 49 Jahren mit seiner Schuhmacher-Lehre begann, seine Arbeit, zumindest vor Corona. Zeit für ein Hobby? Fehlanzeige.
Wenn er um 18 Uhr das Eisengitter vor die Eingangstür zieht, steht er fast immer noch ein paar Stunden in seiner Werkstatt um Schuhe aller Art wieder fit für die Füße ihrer Besitzer zu machen. Auch morgens, bevor der erste Kunde den kleinen Laden betritt, macht er so manchen Schuh wieder flott, selbst am Sonntag ist für ihn häufig Werkstatt-Tag. Zeit, die er braucht, denn nur die Ladenöffnungszeit, in denen Aufträge angenommen und reparierte Schuhe wieder zurückgegeben werden, würde nicht reichen die vielen Paare, von denen oft nur einer kaputt ist, auf Vordermann zu bringen. Kein familienfreundlicher Job, schon gar nicht wenn man kleine Kinder hat, weiß Wolfgang Schad aus eigener Erfahrung. Spät Feierabend, dann nach Hause nach Maßbach, die Kinder waren längst im Bett. Morgens, die Kinder schliefen noch, war der Vater wieder unterwegs in seine Werkstatt.
Das ist nur einer der Gründe, warum Geschäfte in denen Schuhmacher ihre Dienste anbieten, selten werden. Die Alten haben aufgehört, für den Lehrberuf Schuhmacher (drei Jahre) oder orthopädischer Schuhmacher (dreieinhalb Jahre) entscheiden sich kaum noch junge Leute. Das Handwerk hat sich mit Beginn der industriellen Schuh-Produktion stark verändert. Die meisten Schuhmacher, abgesehen von denen, die orthopädisches Schuhwerk herstellen, machen kaum noch Schuhe, sondern reparieren. Der Schuster von heute bleibt nicht mehr, wie es das Sprichwort besagt "bei seinen Leisten", die er als Vorlage für maßgeschneidertes Schuhwerk brauchen würde, sondern er besohlt, klebt, näht, schleift, poliert, bessert aus.
"Genagelt wird schon ewig nicht mehr", heute wird "geschossen", der Schusterhammer, den er auch in der Werkstatt hat, hat eher nostalgischen Charakter. Noch vor etwa 50 Jahren gab es in beinahe jedem Dorf einen Schuster, seit der Globalisierung und dem Massenangebot von Schuhwerk aus Asien, ist das kaum noch der Fall.
Wolfgang Schad, selbst in vierter Generation Schuhmacher, hat viel Verständnis dafür, dass der eigene Sohn sich für einen anderen, auch finanziell lukrativeren Job, entschieden hat. Er selbst trat mit 15 in die Fußstapfen des Vaters, hat es zwar nie bereut, hatte aber auch keine Wahl. "Mein Vater hat meinen Chef gekannt, ich war vom Alter her soweit – aus die Maus", schildert er seinen vorgezeichneten Weg ins Schuhmacherhandwerk. Von den 70 Mark im ersten Lehrjahr bei der Firma Densch in der Schweinfurter Neutorstraße, gingen für die Fahrkarte zum Blockschulunterricht in München schon mal 40 Mark drauf.
Nach der Lehre als orthopädischer Schuhmacher und dem Meisterbrief 1988 zunächst in Diensten eines anderen Betriebes, ist er seit 22 Jahren selbstständig in eigener Werkstatt im eigenen Haus am Fischerrain. Eine Werkstatt, die den Beruf förmlich atmet. Schwer hängt das Aroma des Spezialklebers in der Luft, der keine Sohle mehr loslässt, die ihm mal auf den Leim gegangen ist. "Ein Schuhmacher sollte kein Raucher sein", rät Schad allen, die bei solcher Raumluft, an die er sich längst gewöhnt hat, ihre Brötchen verdienen.
"Rauchen greift die Lunge an, nicht gut, wenn der Klebstoffdampf dazu kommt". "Mein Vater hat bis 75 gearbeitet, hat wie ich nie eine Zigarette geraucht, wichtig um als Schuster fit zu bleiben", so Wolfgang Schad. In seinem Fall fit für den Ruhestand. Neun Monate zeigt das Maßband an, das am Nagel des Kalenders hängt. "Februar 22, dann im 50. Jahr als Schuhmacher, ist Schluss", so Schad. Danach hin und wieder, vielleicht als Hobby, ein Paar Schuhe zu machen, kann er sich vorstellen, "aber ich habe ja auch einen großen Garten".
Wo dann die Kunden hingehen, die teilweise weite Anfahrten für das Wohl ihrer Schuhe in Kauf nehmen? "Das wird sich finden", ist er sich sicher, denn jemand der Schuhe repariert, müsse ja inzwischen den Beruf nicht mehr gelernt haben, um solche Dienste anbieten zu können. Sicher ist, dass es eng wird, eine gute Adresse dafür zu finden. Dazu kommt, dass der Schuhreparatur- und Service-Dienstleister "Mister Minit" im Zuge der Corona-Krise im Frühjahr Insolvenz angemeldet und seinen Geschäftsbetrieb in Deutschland eingestellt hat.
Der Bedarf Schuhe reparieren zu lassen ist da, auch in Zeiten, in denen Menschen gerne zum Billig-Schuh greifen, der nach einer Saison auf dem Müll landet. "Es gibt auch viele andere", so die Erfahrung von Wolfgang Schad. Denn würde tatsächlich die Masse auf Discounter-Schuhwerk setzen, gäbe es all die Schuh-Fachgeschäfte schon lange nicht mehr. "Ein guter Schuh hat seinen Preis", weiß Schad. Qualitätsbewusste Menschen lassen sich – auch im Ausland – für Beträge die vierstellig sein können, ihre Fußbekleidung nach Maß anfertigen. Der richtige Schuh, das sei Tragekomfort und Fußgesundheit und viel länger hält er auch.
Aber nicht nur solches Schuhwerk wird, weil langlebig, bei ihm zur Reparatur vorbeigebracht. "Es sind die Schuhe, die jemand gerne trägt", die Lieblingssschuhe, denen Reparatur und Überarbeitung gegönnt wird, weil man sich nicht von ihnen trennen will. Nicht nur die Pumps, sondern auch Motorrad-Stiefel und überhaupt Schuhe, die ihrem Träger an den Fuß und aus unterschiedlichsten Gründen ans Herz gewachsen sind. Wolfgang Schad erinnert sich noch daran, dass er sich als junger Lehrling Anfang der 1970er-Jahre selbst Schuhe mit hohen zwölf Zentimeter Plateausohlen und 18 Zentimeter Absatz, wie sie damals in Mode waren, zur dazu angesagten Schlaghose gefertigt hat.
Diese Zeiten sind lange vorbei, seither wurde über manche modische Verirrung der Mantel des Vergessens gebreitet. Was in all den Jahren aber abgenommen habe, sei der Wille seine Schuhe zu pflegen, sprich ihnen mit Lappen und Schuhcreme regelmäßig Gutes zu tun. "Vor 22 Jahren habe ich so viele Pflegemittel verkauft, damit hätte ich damals meine Miete bezahlen können", räumt Wolfgang Schad amüsiert ein. Heute wären drei Jahre "Pflegemittelverkauf" für die gleiche Summe nötig.
Im Zuge der Diskussion um mehr Nachhaltigkeit, mache sich aber gerade bei mehr Menschen ein neues Bewusstsein bemerkbar, auch im Hinblick auf die Wertschätzung des Schuhwerks. Barfuß-Schuhe zum Beispiel, angesagt und nicht billig, werden zunehmend zum Reparieren gebracht. Trend, oder Trendwende? Man wird sehen. Wolfgang Schad wird auch diese Entwicklung verfolgen, wie so viele in 50 Jahren und reparieren was zu reparieren ist, auch vermeintlich hoffnungslosen Fällen wieder auf die Füße helfen, oder eben, auch das gehört zur ehrlichen Beratung, wenn es einfach nicht mehr anders geht, zum Wegschmeißen raten.
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