Ein Jahr vor der "Zauberflöte" kam 1790 in Wien die Oper "Der Stein der Weisen oder Die Zauberinsel" heraus, gemeinsam geschrieben von fünf befreundeten Künstlern, die einem jungen Kollektiv angehörten, das sich nach dem Erfolg von Mozarts "Entführung aus dem Serail" an der neuen Gattung Singspiel versuchte, also der Oper mit gesprochenen Zwischentexten. Es waren dies der Kapellmeister Johann Baptist Henneberg, der Tenor Benedikt Schack, der Bass Franz Xaver Gerl, das Multitalent Emanuel Schikaneder und Wolfgang Amadé Mozart höchstselbst.
Einen Großteil der Musik komponierte Henneberg, Schack und Gerl schrieben sich Arien auf den Leib, und Mozart steuerte ein Duett und wohl Teile des Finales bei. Möglicherweise überarbeitete er auch die Beiträge der anderen, wie sehr, das lässt sich heute nicht mehr feststellen. Sicher ist aber: "Der Stein der Weisen", der dann einige Jahre mit einigem Erfolg tourte, ist kein zu Unrecht vergessener und nun endlich gehobener Schatz – und schon gar keine verkappte Mozart-Oper.
"Der Stein der Weisen" ist musikalischer Alltag des 18. Jahrhunderts, wenn man sich Haydn, Mozart und Beethoven wegdenkt, wie es der Mozartforscher Ulrich Konrad formuliert. Umso sinnvoller war es, das Stück ins Programm des Mozartfests 2023 aufzunehmen. Im Kaisersaal bekam es in der Interpretation der Hofkapelle München unter der Leitung von Rüdiger Lotter, des Chors der KlangVerwaltung und des vorzüglich besetzten Ensembles mit Michael Schade, Sreten Manojlovic, Leonor Amaral, Daniel Behle, Elena Harsányi, Jonas Müller, Theresa Pilsl und Joachim Höchbauer eine faire Chance.
Die "Faszination Mozart" quasi in Abwesenheit
Denn das Stück zeigt einerseits, wie qualitätvoll und gekonnt das war, was damals in den vielen Theatern geboten wurde, und andererseits, wie groß dennoch die Lücke zum Genie Mozarts war, das kurz danach in der "Zauberflöte" einen seiner letzten Triumphe feiern sollte. So kam quasi in Abwesenheit die "Faszination Mozart" (so der Untertitel des Festivalmottos in dieser Saison) zur Geltung.
Denn nicht nur die sehr ähnlich aufgebaute (und sogar noch verworrenere) Handlung mit allerlei Gezauber, dunklen Familiengeheimnissen, Mordplänen und ebenso unlogischen wie glücklichen Wendungen, auch der musikalische Tonfall im "Stein der Weisen" weist auf die heute beliebteste Oper der Welt hin, die ein Jahr später entstehen sollte. Aber es fehlt eben dieses Quantum an Fantasie und Schöpfungskraft, aus dem Ohrwurmarien oder atemberaubende Ensembles entstehen, wie sie die "Zauberflöte" eben doch einzigartig machen.
Die Bausteine der Musik stehen allen zur Verfügung
So konnte man ganz entspannt im Kaisersaal sehr engagiertes Musizieren genießen. Einen vielbeschäftigten, hochpräzisen Chor und Solistinnen und Solisten, die dem Plot auch in der konzertanten Beschränkung einige Dramatik entlockten. Leonor Amaral als Nadine mit lupenreinem Herzen und ebensolcher Stimme, der erfahrene Daniel Behle als typisch unbedarfter Held Nadir, Sreten Manojlovic mit berückend dämonischem Charme oder das Bühnenpaar Elena Harsányi (Lubanara) und Jonas Müller (Lubano) mit einigem komödiantischen Talent, das denn auch beim begeisterten Applaus zum Schluss besonders gewürdigt wurde.
Das ist das vielleicht Faszinierendste an Musik überhaupt: Die Bausteine stehen allen zur Verfügung, die Regeln für ihre Anwendung sind beherrschbar. Aber nur ganz wenige Künstlerinnen und Künstler können daraus Werke erschaffen, die die Jahrhunderte überdauern.
Dann gehen da spiesige Schickies und Mickies zur Aufführung.