Andrew Ullmann ist Medizin-Professor an der Universitätsklinik Würzburg. Sein Fachbereich: Infektiologie. Nun tauscht er für vier Jahre seinen Arbeitsplatz gegen einen Sitz im Bundestag ein. Wie geht er mit der neuen Situation um?
„Das ist alles ultraspannend, wenn man in der Arena sitzt, die man sonst höchstens als Besucher des Bundestages kennt. Ich habe immer noch das Gefühl, ein Erstsemester zu sein, also ein junger Mensch, der von einer kleinen Schule an die große Universität kommt. Ich muss alles kennenlernen und orientiere mich an den Erfahreneren.“
In den Keller geraten
Als neuer Abgeordneter hat er sich prompt auf dem weitläufigen Reichstagsgelände verlaufen, gesteht Ullmann. „Als wir uns zur ersten Sitzung im Paul-Löbe-Haus getroffen haben, wählte ich die falsche Etage, um nach draußen zu kommen. Und da stand ich plötzlich im Keller.
“ Die Gebäude auf dem Gelände sind durch viele unterirdische Gänge miteinander verbunden. „Und genau da bin ich reingeraten. Aber das kenne ich ja von den Kellern der Würzburger Uniklinik. Dort gibt es auch Bereiche mit Versorgungsleitungen.“ Und so fand er seinen Weg ins Freie.
Zum 1. November hat der Bundestags-Neuling eine eigene Wohnung in Berlin-Weißensee: Zwei Zimmer, Küche, Bad. Dort sollen künftig auch Familienmitglieder Platz finden. Für Ullmann gab es zwei Alternativen: Die Häuser gegenüber des Kanzleramtes, so eine Art Studentenwohnheim für Abgeordnete, oder eine eigene Wohnung. „Erfahrene Kollegen haben mir zur eigenen Bude geraten. Sie sagten, das willst du nicht. Du hast sonst mit der Politik Tag und Nacht zu tun. So brauche ich eine halbe Stunde zum Reichstag. Und ab Dezember habe ich eine Monatskarte für Bus und Bahn“. Er richtet sich sein neues Leben in Berlin zügig ein.
Eindrücke der ersten Sitzung
Der Mediziner hat viele Eindrücke aus der konstituierenden Sitzung mitgenommen. „Sehr gemischte Gefühle. Es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Sitzungen in einem Gemeinderat aber auf einem ganz anderen Niveau. Ich saß auf einem Stuhl ohne Tisch und konnte alles gut überblicken. Für mich war bedrückend festzustellen, dass Rechtspopulisten im Bundestag sitzen“, sagt Ullmann mit dem Blick auf die AfD. Er sei auch jetzt noch relativ sprachlos, wie sich eine solche Gruppierung auch durch Provokation immer in den Vordergrund schieben könne: „Wir sollten daran denken, was der Bundestagspräsident gesagt hat, dass wir demokratisch agieren sollen in der Diskussion, auch durchaus mal streiten dürfen, aber nie Menschen diskriminieren.“
Der Würzburger Kreisvorsitzende der FDP – und das will er auch bleiben – hat keinen fest zugewiesenen Platz. „Das ist nicht wie auf Mallorca, dass ich ein Handtuch ausbreite, um meinen Platzanspruch zu sichern. Wer zuerst kommt, setzt sich hin“.
Andere Abläufe
Jahrelang Mediziner in der Uniklinik, jetzt Politiker. Wie schwer fällt die Umstellung? „Die Abläufe sind anders. Ich hatte vorher einen festen Plan in der Klinik, Visite, Besprechungen. Jetzt muss ich umstrukturieren. Wir haben eine Sitzungswoche, um die herum alles verankert ist. Dann kommen die Ausschüsse dazu und viele Besucheranfragen. Das sind beispielsweise Berufsverbände, die das Gespräch suchen.“
Der FDP-Mann ist gut in der Organisation. Er hat schon einen Büroleiter in Berlin eingestellt. Und in Würzburg gibt es jemanden, der das Wahlkreisbüro betreuen wird. Es sind erfahrene Leute, die dem Polit-Neuling helfen können. Nur die Räume fehlen noch.
Hat Ullmann schon einmal die Fahrbereitschaft des Bundestages genutzt, die für die Mitglieder da ist? „Ich habe mich tatsächlich schon mal aus Termingründen von einem Fahrer am Bahnhof abholen lassen.
“ Als Bundestagsabgeordneter hat er nun auch freie Fahrt in der ersten Klasse mit der Deutschen Bahn. „Das ist sehr angenehm, ich muss nicht mehr im Internet nach Sparpreisen schauen. Gestern war ich allerdings in der zweiten Klasse aus Solidarität, weil mein Sohn von Berlin mit zurückgefahren ist.“
Das andere Leben: Für Ehefrau nichts Neues
Auch für seine Familie, die aus Frau, Sohn und Tochter besteht, beginnt jetzt ein anderes Leben. „Naja, wir haben 21 bis 22 Sitzungswochen im Jahr. Meine Frau und ich leben 30 Jahre zusammen. Und wir hatten in der Zeit immer wieder Abschnitte, in denen wir aus beruflichen Gründen nicht zusammengelebt haben“, sagt Ullmann. „Also für meine Frau ist das nichts Neues. Und die Kinder sind fast erwachsen. Momentan ist das Neue das Faszinierende. Und meine Familie freut sich auch darauf, länger in Berlin zu sein.“
Wiedersehen im Bundestag
Simone Barrientos sitzt am Dienstag in der dritten Reihe von hinten. Ganz links, passend zu ihrer politischen Einstellung. Zur konstituierenden Sitzung trägt sie ein selbst geschneidertes rotes Kostüm mit einem schwingenden Rock. Als sie Platz nimmt, winkt ihr jemand von der Zuschauertribüne zu. Der Mann kommt ihr bekannt vor. In einer Pause geht sie dann hoch auf die Empore und trifft dort einen alten Freund wieder. Noch zu DDR-Zeiten hatten sich die beiden kennengelernt. Im Deutschen Bundestag treffen sie sich wieder. Simone Barrientos als neue Abgeordnete der Linken, ihr Bekannter ist Pressefotograf.
Jeden Tag neue Eindrücke
30 Jahre hat Simone Barrientos in Berlin gelebt. Sie kennt die Stadt.
Nur der politische Betrieb ist ihr noch fremd. „Jeden Tag bekomme ich neue Eindrücke.“ Hautnah ist sie dabei, als sich die beiden Fraktionsvorsitzenden, Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch, mit den zwei Parteivorsitzenden um Machtfragen kippeln. „Ich kam mir vor, wie in einem Paralleluniversum“, sagt Simone Barrientos. „Da kennste die Probleme der Menschen und die haben nichts anderes zu tun, als sich über Machtfragen zu streiten“, berlinert sie leicht. Dann hat sie sich auch zu Wort gemeldet. „Ich habe mir ein bisschen mehr Demut gewünscht.“ Und später am Abend, als die Fraktionsvorsitzenden endlich gewählt wurden, postet sie „Habemus papam“ („Wir haben einen Papst“) auf Facebook.
Nach der Debatte fährt Barrientos nach Hause. Sie übernachtet bis auf weiteres erst einmal im Gästezimmer einer Freundin. „Es gibt jetzt viel Wichtigeres als nach einer Wohnung zu suchen“, sagt sie. Nämlich die Einrichtung und Organisation ihres Büros. „Zum Glück habe ich schon Räume.“ Die Bundestagsverwaltung hat ihr welche zugewiesen. „Das ist schon eine kommode Situation, weil ich gleich losarbeiten kann.
“ Überhaupt ist sie beeindruckt, wie professionell die Verwaltung bei all dem Kommen und Gehen arbeitet. „Das ist schon eine gut geölte Maschine.“
Mit Hund Fide durch Ochsenfurt
Und sie hat auch schon einen Büroleiter. Einen, der sich mit Bayern auskennt und schon lange für die Linken arbeitet. Viel steht noch nicht im Büro. Aber die kleine Schneekugel auf dem Schreibtisch mit dem Ochsenfurter Rathaus auf dem Schreibtisch, die musste sein. Seit dreieinhalb Jahren lebt Simone Barrientos in der Kemenate, gleich neben dem neuen Rathaus. Hier hat sie ihren Verlag Kulturmaschinen. Hier feiert sie Feste mit Flüchtlingen. Hier will sie auch ihre Bürgersprechstunden abhalten. In Würzburg soll ein Wahlkreisbüro entstehen.
Der Wahlkampf und die ersten Wochen als Abgeordnete in Berlin stecken Simone Barrientos noch in den Knochen. Müde ist sie. Erschöpft. Am Donnerstag, kaum aus Berlin und von einem Termin in Würzburg zurück, schläft sie erst einmal auf dem Sofa ein. Danach geht sie mit Hund Fide eine Runde durch Ochsenfurt, ihrer Wahlheimat, aus der sie auch nicht mehr weg möchte. Kennt jemand von den Abgeordneten eigentlich Ochsenfurt? „Mehr als man denkt“, antwortet Barrientos.
„Der Bundestag ist gar kein so elitärer Haufen, wie man manchmal denkt. Es ist ein Umgang auf Augenhöhe.“ Da kommt es schon mal zu einem Plausch mit Sigmar Gabriel, der plötzlich neben ihr steht, um auch seine Wahlkarte abzuholen. Oder zu einem kurzen Gespräch mit Norbert Lammert. „Ich habe ihm gesagt, dass ich es schade finde, dass er aufhört.“
Mit Sigmar Gabriel in der Schlange
Das passt zu ihr. Wer Simone Barrientos kennt, der weiß, dass sie auf Menschen zugeht oder ihren Mund aufmacht, wenn ihr etwas nicht passt. Schnell schließt sie auch in Berlin Bekanntschaften mit anderen Abgeordneten. Und so führte ihre erste parlamentarische Reise nach Katalonien. Abgeordnete Barrientos war im Parlament dabei, als Regierungschef Puigdemont die Unabhängigkeit der Region ausrief, sie aber gleich wieder aussetzte. Die Linkspartei CUP hatte sich an die Linken in Deutschland gewandt, weil sie befürchteten, dass die Guardia civil, eine eher militärisch ausgerichtete Polizeieinheit, die Rede und die Sitzung des katalonischen Parlaments verhindern werde.
Wann sie ihre erste Rede im Parlament halten wird, steht noch nicht fest. Erst einmal muss eine Regierung gebildet werden. Schwarz-rot-gelb werde diese sein, glaubt sie fest. Denn schon bei der konstituierenden Sitzung sei deutlich gewesen, wie geschlossen dieser Block miteinander abstimmt. Mitarbeiten würde Simone Barrientos am liebsten im Ausschuss für Kultur und Sport. Aber auch das stehe noch nicht fest. Und auf Frauenthemen möchte sie sich konzentrieren. Weil erstens die Frauen im Bundestag unterbesetzt sind und sie zweitens immer noch nicht gleichbehandelt werden, beispielsweise beim Lohn.