Fast ein Jahr nach seiner Festnahme muss sich von Donnerstag (5. März) an ein Logopäde wegen des schweren sexuellen Missbrauchs von kleinen Jungen vor Gericht verantworten. Die mutmaßlichen Taten des Sprachtherapeuten waren im März 2019 ans Licht gekommen. Die Ermittlungen von Cybercrime-Experten hatten ergeben, dass der Mann seit 2008 bis zu seiner Festnahme insgesamt sieben Jungen im Alter von bis zu sechs Jahren in unterschiedlicher Weise missbraucht haben soll. An voraussichtlich elf Verhandlungstagen will das Landgericht um den Vorsitzenden Michael Schaller den Vorwürfen auf den Grund gehen. Teilweise wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, wenn es um schützenswerte Bereiche der Opfer oder des Täters geht. Am 30. April könnte ein Urteil fallen.
Der Logopäde soll ihm anvertraute Jungen im Kindergartenalter missbraucht haben. Der 38-jährige Mann soll sich in 66 Fällen massiv an Kindern vergangen haben, darunter vor allem körperlich und geistig behinderte. Manche von ihnen waren erst zwei Jahre alt.
Pädophile tauschen untereinander oft Bilder und Filme mit kinderpornografischen Inhalten. Die Polizei war dadurch einem anderen Triebtäter in Cloppenburg in Niedersachsen auf die Spur gekommen, von ihm führte die Fährte zum Computer des Würzburger Logopäden. Die Ermittler mussten 23 000 Bild- und Videodateien sichten. Die in Würzburg gefundenen Kinderpornos stammen nicht alle von ihm, sondern wurden teilweise in Tauschbörsen im Darknet gehandelt.
Die für Internet-Ermittlungen zuständige Zentralstelle Cybercrime bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg hat wegen des Vorwurfs von 78 Missbrauchstaten, darunter 45-mal schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, Anklage gegen den Würzburger erhoben. Weitere Anklagepunkte: Das Anfertigen und Tauschen von Kinderpornos mit anderen Pädophilen. Umfangreiche Ermittlungen einer Sonderkommission der Würzburger Polizei ergaben: Der Angeklagte soll sich zwischen 2012 und 2019 sieben männliche Opfer unter sechs Jahren gesucht haben - immer Jungen,"bei denen zu erwarten war, dass sie sich nicht an Eltern oder Erzieher wenden", sagt Generalstaatsanwalt Thomas Janovsky in Bamberg. "In der Regel war es immer nur ein Kind, solange, bis dieses die Einrichtung verließ oder der Behandlungsvertrag endete." Die betroffenen Kinder waren teilweise schwer behindert. Nur eines konnte sprechen.
Das Gesetz sieht für derartige Taten eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren vor. Ob ein Verurteilter auch nach Verbüßen der Strafe eine Gefahr für Kinder – und damit die Allgemeinheit – wäre, sollen Gutachter beantworten. Dann käme eine anschließende Sicherungsverwahrung in Frage.
In vielen Fällen um Kindesmissbrauch schweigen Angeklagte und lassen sich jeden Punkt mühsam beweisen. Hier hat der Angeklagte die sieben Fälle gestanden und den Ermittlern das Codewort für eine Geheimdatei an seinem Computer offenbart. "Wir werden auch im Prozess an der Aufklärung konstruktiv mitarbeiten", sagt der Verteidiger des Angeklagten, Jan Paulsen.
Zwei Kindertagesstätten und zwei Praxen des Sprachtherapeuten in Würzburg sind Tatorte gewesen. Das dortige Personal hat nach den Erkenntnissen der Zentralstelle Cybercrime nichts von den Missbrauchstaten bemerkt.
Die Polizei hat während der Ermittlungen die Eltern von rund 500 Kindern betreut, die der Logopäde in den vergangenen Jahren behandelt hat. Selbst die Soko ist sich nicht sicher, wie viele Kinder der Therapeut missbraucht hat. Nachweisbar sind sieben Fälle. Die Ermittler haben betroffenen Eltern nach Abschluss der Ermittlungen vertraulich Informationen zur Verfügung gestellt. Diese Kenntnisse sollen den Therapeuten bei der Arbeit mit den Kindern helfen. Die Therapie erfordert nach Schilderungen der Eltern großes zeitliches Engagement und finanzielle Anstrengungen, die zunächst von den Betroffenen selbst gestemmt werden müssen.
Der 38-Jährige war nach Einschätzung der Ermittler Alleintäter. der Ehemann wusste nichts vom Tun seines Partners. Die Ermittlungen gegen den Ehemann sind eingestellt, er hat aber seinen Arbeitsplatz verloren und Würzburg verlassen.
Die Nachforschungen haben von Würzburg aus in anderen Fällen zu 42 weiteren Ermittlungsverfahren und zehn Verdächtigen im In- und Ausland geführt. In einem der Fälle, die Generalstaatsanwalt Thomas Janovsky schilderte, zeigten sich erschütternde Details: Ein Täter hatte gezielt die Bekanntschaft der Mutter eines fünfjährigen Buben gesucht. Er plante, den Jungen "am folgenden Wochenende sexuell zu missbrauchen", so der Generalstaatsanwalt. Vorher konnte der Mann festgenommen und "vor allem ein weiterer Missbrauch des Kindes verhindert werden".